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Kira Urschinger
Kira Urschinger (Foto: SWR3)

Armut ist noch immer ein Tabu: Wer betroffen ist, schämt sich oft dafür. Auch deshalb sieht man es den Menschen nicht unbedingt an. Wir wollen darüber sprechen. Wir klären, welche Folgen es haben kann, arm zu sein und wie du helfen kannst.

In Deutschland waren im Jahr 2018 rund 15,3 Millionen Menschen von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht und damit 18,7 % der Bevölkerung, das sind die aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts. Eine Person gilt nach EU-Definition als von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, wenn mindestens eine der folgenden drei Lebenssituationen zutrifft:

  • Ihr Einkommen liegt unter der Armutsgefährdungsgrenze
  • Ihr Haushalt ist von erheblicher materieller Entbehrung betroffen
  • Sie lebt in einem Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung

So kannst du Menschen helfen, denen es nicht so gut geht

Folgen von Armut:

Kein Geld zu haben bedeutet oft Ausgrenzung und auch Krankheit

Armut: Vier Menschen, vier Geschichten „Ich kann nicht mehr und will nicht mehr.“

Wie fühlt es sich an, in Armut zu leben? Welche Geschichte steckt hinter Menschen, die zu wenig Geld haben, um sich das Mindeste leisten zu können? Betroffene erzählen von ihren Erfahrungen – vom Weg in die Armut und teilweise von den Auswegen, die sie gefunden haben.

Viele Betroffene reden nicht drüber und versuchen, möglich unauffällig durch den Tag zu kommen – denn Armut bedeutet nicht unbedingt, dass jemand unter der Brücke lebt. Von Armut sind vor allem auch Alleinerziehende, Familien mit sehr vielen Kindern, Menschen mit geringen Bildungsabschlüssen und außerdem auch Menschen mit Migrationshintergrund betroffen.

Die am stärksten betroffene Gruppe sind Erwerbslose. Hier leben etwa 57 Prozent von so wenig Geld, dass es ihnen kaum möglich ist, am gewöhnlichen gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.

Soziale Ausgrenzung ist damit oft eine Folge, unter der arme Menschen leiden, erklärt Armutsforscher Stefan Sell von der Uni Koblenz im Interview für den SWR3-Report: Armut – das große Tabu.

Es schwingt immer mit: Die Leute sind irgendwie selber Schuld an dem Zustand der Armut. Dass aber oftmals hinter diesen Menschen eine lange Geschichte steht, dass auch viele Obdachlose früher ganz normal, sogar in der Mittelschicht gelebt haben und dann durch Schicksalsschläge wie beispielsweise eine Krankheit oder auch eine Scheidung abgestürzt und dann auf der Straße gelandet sind – diese lange Biographie sehen die Leute nicht. Sie sehen nur das Ergebnis.

Zudem sei es eben so, dass der Geldbeutel auch den Gesundheitszustand beeinflusst. Er ist sicher: Armut kann krank machen.

Kinderarmut:

Die Folgen von Armut in der Kindheit sind weitreichend

In Deutschland gilt mehr als jedes fünfte Kind oder Jugendlicher als arm. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbands.

Am stärksten von Armut betroffen sind demnach Minderjährige aus kinderreichen und alleinerziehenden Familien. Ein Sprecher des Verbands erklärte, Armut fange nicht erst an, wenn die jungen Menschen nicht mehr das Nötigste an Kleidung oder Essen erhielten. Sondern schon dann, wenn sie aus finanziellen Gründen nicht mehr beim Sport oder bei Schulveranstaltungen mitmachen könnten. Junge Menschen, die in Armut aufwachsen müssen, hätten unter akuten und langfristigen Folgen zu leiden – vor allem, was den Bildungsweg angehe.

Hier findest du mehr Informationen zu den Folgen von Armut, insbesondere für junge Menschen.

Karte:
Video:

So leben Kinder in armutsbedrohten Familien

Für den SWR3-Report: Armut – das große Tabu haben wir mit Natalya Nepomnyashcha gesprochen. Sie kam selbst mit elf Jahren aus der Ukraine nach Deutschland – ohne Geld, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. Mit 22 machte sie ihren Master im Fach internationale Beziehungen und gründete vor drei Jahren das Netzwerk Chancen, um Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus bildungsfernen oder prekären Familien dabei zu helfen, die gleichen guten Jobs zu bekommen wie die Kinder aus wohlhabenderen Familien.

Menschen aus prekären Verhältnissen sind für Unternehmen Gold wert. Davon ist Natalya überzeugt:

Sie mussten sich Bildung hart erarbeiten. Sie mussten sehr hart kämpfen, um ihre Talente zu verwirklichen, um ihre Potentiale zu entfalten und sind deshalb auch besonders durchsetzungsstark.

Altersarmut:

Die Angst vor Altersarmut wächst – vor allem bei den Jungen

Auch Altersarmut ist ein großes Problem in Deutschland, das alle Generationen angeht: Mehr als die Hälfte aller Rentnerinnen und Rentner in Deutschland hat letztes Jahr weniger als 900 Euro im Monat bekommen – das sind mehr als 9,3 Millionen Menschen. So steht es in der Antwort der Bundesregierung auf Anfrage der Fraktion Die Linke im Bundestag.

Kältebusse in SWR3Land So könnt ihr Obdachlosen bei Kälte helfen!

Kältebusse und Hilfsorganisationen kümmern sich jeden Winter um die Versorgung und Beherbergung von Obdachlosen – dafür müssen sie aber auch gefunden werden. Wie ihr direkt helfen könnt.

Die offizielle Zahl der armen Rentner und Rentnerinnen in Deutschland wird in den nächsten Jahren deutlich ansteigen, da sind sich Experten einig. In 20 Jahren, so eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, werden 20 Prozent aller Neurentner und Neurentnerinnen von Armut betroffen sein.

Bei solchen Prognosen wundert es nicht, dass vor allem immer mehr jüngere Menschen mit Angst und Sorgen in ihre persönliche Zukunft schauen – auch im Hinblick auf ihre eigene finanzielle Situation im Rentenalter oder die ihrer Eltern. Jeder dritte Deutsche hat einer Studie zufolge Angst, sich im Alter nichts mehr leisten zu können. Einsamkeit, Krankheit und Pflegebedürftigkeit gelten zusätzlich als Risikofaktoren dafür, irgendwann in die Armut zu geraten.

Test:

Wie gefährdet bin ich, in die Armut zu rutschen?

Wie viel Rente kriege ich, wenn ich alt bin? Was passiert, wenn meine Eltern alt sind und sie zu wenig Geld zur Verfügung haben? Dieser Test des Sozialverbands Deutschland kann eine Orientierung geben. Im Test werden Fragen gestellt, die typischerweise als Kriterien dafür gelten, später von Altersarmut betroffen zu sein. Die Antworten, die du anonym im Internet beantwortest, werden vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben.

Hier geht's zum Selbsttest: Bin ich gefährdet, im Alter arm zu werden?

Grundrente:

Wird die Grundrente das Problem der Altersarmut lösen?

Nach monatelangen Verhandlungen hat sich die Große Koalition 2019 auf eine Grundrente geeinigt. Statt einer Bedürftigkeitsprüfung solle nun eine umfassende Einkommensprüfung kommen. Mit der Grundrente sollen Rentner einen Zuschlag bekommen, die 35 Beitragsjahre haben und deren Beitragsleistung unter 80 Prozent, aber über 30 Prozent des Durchschnittseinkommens liegt.

Kritiker sagen, dass zu wenige Menschen etwas von der Grundsicherung haben werden. Die Grundrente, auf die sich geeinigt wurde, sei eine „Minimallösung“, so formulierte es SPD-Sozialpolitiker Karl Lauterbach in der Welt. FDP-Chef Christian Lindner kritisierte: „Aus der Idee der Grundrente ist eine Willkürrente geworden: Es fließt Steuergeld, wo im Einzelfall gar keine Bedürftigkeit vorliegt. Wer weniger als 35 Jahre gearbeitet hat, fällt durch den Rost.“ Mehr zum Für und Wider der Grundrente findest du hier.

Spenden und Hilfsangebote:

So kannst du Menschen helfen, denen es nicht so gut geht

  • Wer aus keinem wohlhabenden Elternhaus kommt, fällt oft schon am ersten Schultag auf: keine Schultüte, ein leerer Ranzen. Damit auch arme Kinder mit einer guten Ausstattung in die Schule gehen können, kann man bei Gain Germany einen Schulranzen packen. Die Liste, was genau rein sollte – von Wasserfarben über Schreibblöcke bis zu einer Seife, steht auf der Website genau aufgelistet.
  • Eine warme Mahlzeit am Tag zu haben, ist nicht selbstverständlich. Die Johanniter setzen sich dafür ein, dass jedes Kind etwas warmes auf den Teller bekommt: Sie betreiben bundesweit Kinder- und Jugendhäuser sowie Jugendclubs in sozialen Brennpunkten.
  • Auch die Tafeln in Deutschland sind auf Spenden angewiesen, um Menschen zu versorgen, die nicht genug zu essen haben. Wer möchte, kann sich gezielt Projekte aussuchen, für die man Geld geben will. Unternehmen können langfristig Partner werden.
  • Die Caritas bietet verschiedene Spendeprojekte an, für die man Geld geben kann. Wer selbst nicht so viel hat, aber trotzdem helfen möchte, kann sich auch ehrenamtlich engagieren. Über die Engagementbörse ist vieles möglich: Kindern vorlesen, während die Eltern arbeiten gehen oder Flüchtlingen bei der Jobsuche helfen.
  • Das Deutsche Rote Kreuz hat Anlaufstellen in vielen Städten in SWR3Land. Die DRKler kümmern sich vor Ort beispielsweise darum, dass Obdachlose in eine warme Unterkunft kommen und verteilt Kleidung an Bedürftige. Helfer und Spenden halten die Organisationen am Laufen.
  • Das Deutsche Kinderhilfswerk finanziert aus Spenden eine Reihe von Projekten, die Kindern und Jugendlichen zugute kommen. Dazu gehört es auch, dass sie Nachhilfe bekommen, Ansprechpartner für Probleme haben oder die Möglichkeit kriegen, Theater zu spielen.

Wer Bedürftigen helfen oder Geld spenden möchte und sich noch nicht ganz sicher ist, wie und wo genau, erhält beim Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen umfangreiche Tipps, worauf man bei der Auswahl einer Spendenorganisation achten sollte. Das DZI stellt außerdem eine Checkliste zur Verfügung, die man abarbeiten kann um herauszufinden, ob ein Verein seriös ist.

Du kannst außerdem in der Datenbanksuche nach konkreten Vereinen und Angeboten suchen, die das Spenden-Siegel vom DZI bekommen haben.
Bildungspolitik: Was tun gegen Armut?

Was bringt Hilfe am anderen Ende der Welt?

Deutschland ist insgesamt natürlich ein reiches Land. In anderen Ländern der Erde ist die Armut für noch mehr Menschen traurige Realität. Viele, denen es selbst besser geht, wollen auch weltweit Betroffenen helfen – sich in Projekten engagieren oder spenden. Aber was bringen diese Hilfsangebote am anderen Ende der Welt? Die Forscher Esther Duflo und Abhijit Banerjee untersuchen die Welt der Armen. Sie nutzen wissenschaftlicher Kriterien, um zu überprüfen, ob unsere Hilfe auch ankommt.

Video:

Das bringen weltweite Hilfsmaßnahmen gegen Armut

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