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Kira Urschinger
Kira Urschinger (Foto: SWR3)
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Kopf- oder Gliederschmerzen, Gelenkprobleme, Verspannungen? Viele Menschen greifen zum Schmerzmittel. Für ein paar Tage, Wochen oder sogar Monate. Aber Aspirin, Ibuprofen oder Paracetamol sind keine Lutschbonbons. Das sind die Gefahren.

Rund 1,4 Millionen Menschen in Deutschland sind abhängig von Medikamenten mit Suchtpotential, so die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V.. Ganz oben in der Liste der am häufigsten genommenen Medikamente sind Schmerzmittel. Zwei von drei Befragten für den Epidemiologischen Suchtsurvey haben nach eigener Aussage in den letzten 12 Monaten Schmerzmittel genommen. In den letzten 30 Tagen ist es jeder Fünfte. Den Zahlen nach nehmen Frauen etwas häufiger Schmerzmittel ein als Männer.

Das sind die Risiken bei Aspirin, Ibuprofen & Co.

Matthias Ebert von der Uniklinik Mannheim weist daraufhin, dass aber auch die rezeptfreien Medikamente Nebenwirkungen haben können. „Aspirin ist ein Medikament, das die Bildung von speziellen Eiweißen im Magen und in der Schleimhaut des Darms hemmt“, so der Gastroenterologe. „Diese Eiweiße brauchen wir, damit die Schleimhaut im Darm immer wieder regeneriert. Und wenn dieses Eiweiß gehemmt wird und die Schleimhaut nicht regeneriert, entstehen kleine Defekte.“ Im schlimmsten Fall könnten diese Schleimhautverletzungen zu schweren Blutungen führen. Es ist schon länger bekannt, dass Patienten, die regelmäßig Aspirin nehmen, ein erhöhtes Risiko haben, Blutungen im Magen-Darm-Trakt zu erleiden.

Australische Forscher haben in einer großangelegten Studie untersucht, was die Vorteile und Nachteile des ASS-Wirkstoffs sind. Das Ergebnis: Der Nutzen ist gering, auch wenn der Volksmund sagt, dass zwischendurch mal eine Aspirin für den Körper gut sein soll. Allerdings erlitten in der ASS-Gruppe deutlich mehr Personen schwerwiegende Blutungen im Magen-Darm-Bereich und im Gehirn als die Gruppe, die Placebos bekam.

Dieses Ergebnis ist für Kardiologen wie Prof. Thomas Münzel von der Uniklinik Mainz eindeutig: Denn es zeige, dass die tägliche Einnahme von Aspirin gesunde Menschen kaum vor Herzinfarkt oder Schlaganfall schützt, dafür aber einem unnötigen Blutungsrisiko aussetzt.

Insbesondere in der Schwangerschaft sollten Patientinnen nur in Rücksprache mit dem Arzt Schmerzmittel einnehmen.

Das sind die Alternativen zu Schmerzmitteln

Bei Kopfschmerzen können ätherische Öle helfen, auch Akupunktur ist für viele Experten einen Versuch wert, um nicht langfristig auf Schmerzmittel angewiesen zu sein.

Bei Gelenkschmerzen empfehlen Mediziner Gymnastik und Physiotherapie. Auch Wärmetherapie kann bei Patienten mit Verspannungen und Gelenkproblemen helfen.

In der Naturheilkunde gelten auch verschiedene Lebensmittel, Kräuter und Gewürze als förderlich. Schaden jedenfalls kann es nicht: Arnika-Salben können bei Sportverletzungen eingesetzt werden und auch Ingwer soll helfen – vorwiegend bei Übelkeit oder Migräne.

Warnhinweise auf rezeptfreien Schmerzmitteln

Rezeptfreie Schmerzmittel müssen seit Juli 2018 mit Warnhinweisen verkauft werden. Sie sollen darauf aufmerksam machen, dass es sich bei den Mitteln eben nicht um harmlose kleine Helferlein handelt. Das soll Verbraucher davon abhalten, Präparate wie Aspirin oder Ibuprofen länger als vorgesehen einzunehmen. Der Bundesrat hat eine entsprechende Verordnung gebilligt. Auch Werbung für Schmerzmittel steht bei Pharmakologen in der Kritik.

Wer Schmerzmittel länger als empfohlen einnimmt, hat ein höheres Risiko, Nebenwirkungen zu erleiden. Dazu gehören Reizungen, Sodbrennen, Magenblutungen, Leber- und Nierenschäden oder Schlaganfälle. Experten sagen, auch Sehstörungen, Schwindel und Übelkeit, Ohrensausen und ein eingeschränktes Hörvermögen können auftreten, wenn man die Medikamente langfristig einnimmt. Auch allergische Reaktionen sind möglich.

Auf dem Beipackzettel weisen die Hersteller schon lange darauf hin. Nun sind auch prominentere Aufdrucke auf der Verpackung Pflicht.

Wieviel Schmerzmittel für den Körper okay ist und wann es zu viel ist, ist pauschal schwer zu sagen. Die Dosis ist abhängig von Alter und Gewicht. Auch die Dauer der Einnahme ist relevant, aber abhängig von der Erkrankung. Deshalb der Tipp der Experten: Auch wenn die Mittel rezeptfrei sind, mit dem Arzt sprechen und einschätzen, welche Mittel man wirklich braucht und wo es Alternativen und weniger schädliche Lösungen gibt.

So wirken Schmerzmittel

Bei Verletzungen wird im Gewebe ein Botenstoff gebildet, das Prostaglandin. Dieser Botenstoff setzt sich an die Schmerzrezeptoren im Körper und blockiert sie damit. Die leiten über das Nervensystem das Signal: Aua! Der Mensch empfindet Schmerzen, es tut weh. Schmerzmittel wie Aspirin, mit dem Wirkstoff Acetylsalicylsäure (ASS), Paracetamol oder Ibuprofen unterbinden die Herstellung dieses Botenstoffs.

Einige Wissenschaftler gehen davon aus, dass Paracetamol auch im Gehirn wirkt. Und zwar dort, wo der Schmerzreiz von einer zur nächsten Nervenzelle weitergegeben wird. Paracetamol soll an dieser Stelle blockieren, damit das Signal quasi steckenbleibt. Vermutlich kann Paracetamol deshalb auch Müdigkeit im Gehirn auslösen.

Bei starken Schmerzen bekommen Patienten oft Medikamente verschrieben, die mit Opium verwandt sind. Das sind die sogenannten Opioide. Morphin ist eines davon. Diese Medikamente bekommt man aber nicht einfach so und schon gar nicht rezeptfrei – sie sind nur bei schweren Erkrankungen und unter ärztlicher Aufsicht einzunehmen.

Daran kannst du eine Medikamentenabhängigkeit erkennen

Ein gesundheitsschädlicher Konsum von Medikamenten ist oftmals schwer zu erkennen. Die Einnahme erscheint dadurch legitimiert, dass es sich meistens um zugelassene Medikamente handelt, die in der Apotheke frei verkäuflich sind oder in der Arztpraxis verschrieben werden. Zudem fehlen insbesondere bei Schlaf- und Beruhigungsmitteln – die Mittel, die am häufigsten missbraucht werden – die klassischen Suchtkriterien: Die Betroffenen verlieren meistens nicht die Kontrolle über ihren Arzneimittelkonsum.

Wenn du nicht sicher bist, ob Freunde oder Bekannte von dir betroffen sein könnten oder du mit deinem eigenen Verhalten unsicher bist, können folgende Kriterien bei der Einschätzung helfen. Definiert sind sie im Diagnosekatalog ICD 10 (International Classification of Diseases) in sechs Kriterien:

So leiden Kinder unter der Sucht ihrer Eltern „Mutter erzählte mir, dass ich schuld bin.“

Jedes sechste Kind in Deutschland lebt in einer Suchtfamilie, hat Eltern mit Alkohol- oder Drogenproblemen – so die Schätzungen. Wir haben mit einer Frau gesprochen, die als Kind genau das durchleben musste: den Alkohol- und Medikamentenrausch im Elternhaus.

  • man fühlt einen starken Wunsch und/oder Zwang, das Medikament zu konsumieren
  • verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Menge und/oder der Beendigung der Einnahme
  • körperliche Entzugssymptome
  • Toleranzentwicklung (Medikamente wirken nicht mehr so gut) und damit verbundene Steigerung der Dosis
  • erhöhter Zeitaufwand, um die Substanz zu beschaffen oder sich von den Folgen des Konsums zu erholen und damit verbunden: Vernachlässigung anderer Interessen
  • fortgesetzter Konsum trotz Folgeschäden

Hier findest du Hilfe bei Medikamentenmissbrauch und Abhängigkeit

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