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AUTOR/IN
Jessica Brandt
Jessica Brandt (Foto: SWR3)
INTERVIEW
Stefan Hoyer

Der Notstand auf Intensivstationen besteht laut Ricardo Lange, selbst Intensivpfleger, schon lange. Was sich in der Pflege ändern sollte und wie er mit dem Druck auf den Social Media Plattformen umgeht, darüber hat er mit SWR3-Moderator Stefan Hoyer gesprochen.

Pflegenotstand: Instensivstationen am Limit

Mit der Corona-Pandemie wurde der Notstand in der Pflege deutlich; neu sei er da allerdings nicht gewesen. Ricardo Lange ist selbst Intensivpfleger und hat auf diesen Notstand aufmerksam gemacht. Und obwohl er für seine Auftritte wie beispielsweise bei Anne Will immer wieder kritisiert wurde, würde er alles so noch einmal sagen, erklärt er im SWR3-Interview.

Arbeitsbelastung in der Intensivpflege

Als Leiharbeiter ist Ricardo Lange in unterschiedlichen Krankenhäusern tätig und berichtet, dass es nicht erst seit Ausbruch der Pandemie an Personal mangelte:

Es verstauben Beatmungsgeräte und Betten, weil kein Personal vor Ort ist.

Entwicklung der Intensivstationen deutschlandweit

Die Auslastung der Intensivstationen in Deutschland verändert sich dynamisch. Durch Notfälle und geplante Operationen seien die meisten Intensivstationen bereits zu einem Großteil ausgelastet. Darüber hinaus halten die Krankenhäuser freie, sofort verfügbare Intensivbetten bereit. Rechnet man zu allen Intensivpatienten die freien verfügbaren Betten hinzu, zeigt sich die aktuelle Auslastung und maximale Verfügbarkeit von intensivmedizinischen Betten in Deutschland. Der folgende Chart zeigt auf, wie sich diese Kapazitäten entwickeln:

Gab es einen Anstieg an Corona-Patienten auf den Intensivstationen, ging nicht die Kurve der freien Betten nach unten, sondern: Die Kurve der Patienten, die nicht auf der Intensivstation liegen wurde kleiner. Das heißt: Patienten, die beispielsweise eine geplante Operation in einem Krankenhaus hatten, mussten aufgrund des Personalmangels vertröstet werden.

Diese Entwicklung bestätigte Ricardo Lange in unserem Interview. Es führe dazu, dass andere Patienten, die nicht an Corona erkrankt sind, darunter leiden. Beispielsweise seien Krebspatienten in der anfänglichen Phase des Lockdowns aus Sorge vor einer Ansteckung nicht zu ihren Vorsorgeuntersuchungen ins Krankenhaus gegangen. Ebenfalls konnten, so Lange, sie diesen Patienten auch nicht direkt Termine anbieten, da das Personal dafür fehlte.

Ich finde das ganze katastrophal, denn auch diese Patienten haben ein Recht darauf zu leben und diese Menschen haben ein Recht darauf, einen Tumor rechtzeitig erkannt und operiert zu bekommen.

Seine Forderungen sind daher klar: Gesundheit und Leben müsse wieder als eins betrachtet werden. Man dürfe sich nicht nur auf eine Krankheit konzentrieren, sondern müsse das Ganze im Blick behalten. Corona sei ein großes Problem, das stelle er nicht in Frage. Doch es müsse grundsätzlich gewährleistet sein, dass auch andere Krankheiten behandelt werden können.

Mit Blick auf Auswertungen unterschiedlicher Krankenkassen scheint sichtbar: Die Zahl der Krebsdiagnosen sind im ersten Jahr der Pandemie rückläufig gewesen. Doch: Krebserkrankungen sind weiterhin zweithäufigste Todesursache, so ein Bericht der Barmer-Krankenkasse im Juli 2022. Hierbei bezog sich der Bericht der Krankenkasse auf Krebsdiagnosen in Bremen und Niedersachsen.

Personalmangel führt zu wenig Zeit für den Patienten

Neben Patienten, die erst gar nicht im Krankehaus behandelt werden oder nicht zu den Terminen kommen, leiden auch die Patienten im Krankenhaus unter dem Personalmangel. Ob er genügend Zeit für seine Patienten hätte, haben wir Ricardo Lange gefragt. Seine Antwort: Nein. „Im Alltag ist selbst Haarewaschen nicht möglich.“ Das sei vielleicht für Außenstehende nicht so schlimm, doch bei den jetzigen Temperaturen würden sich Patienten sicherlich freuen, auch die Haare regelmäßig gewaschen zu bekommen. Bei Frauen sei es manchmal sogar so, dass die Haare nach mehreren Wochen Krankenhausaufenthalt so verfilzt seien, dass sie abgeschnitten werden müssten. Das sei wohl mehr als ein Zeichen des Personalmangels.

Entlastungsgesetz soll gegen Personalmangel ankämpfen

Das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG) soll für eine Entlastung des Personalmangels in der Pflege sorgen. Hierbei wird eine Personalbemessung vorgenommen. Das heißt: Auf einer Station werden die Arbeiten in Form von Zeitaufwänden und Tätigkeiten des Personals erhoben, sodass eine Ist-Analyse angefertigt wird. Auf der Webseite des Bundesgesundheitsministeriums lautet der Plan wie folgt:

Um die Personalausstattung in der Pflege im Krankenhaus zu verbessern, wird zukünftig jede zusätzliche und jede aufgestockte Pflegestelle am Bett vollständig von den Kostenträgern refinanziert. Das mit dem Krankenhausstrukturgesetz eingeführte Pflegestellen-Förderprogramm wird damit über das Jahr 2018 hinaus weiterentwickelt und ausgebaut.

Ricardo Lange findet: „Ist eine super Sache, aber wir brauchen mehr Anreize, damit die Leute in den Beruf kommen, darin bleiben und wir mehr Personal haben.“ Ein Problem, das nämlich nicht bedacht werde: Zu wenige Menschen wollen den Beruf erlernen. Auf eine Pflegekraft sollen im Normalfall zwei Intensivpatienten aufgeschlüsselt werden. Doch laut Ricardo Lange seien es oftmals mehr als zwei Patienten, eher drei oder gar fünf Patienten, die eine Pflegekraft versorgen müsse.

Personalmangel in der Pflege

Die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie sei in diesem Beruf, aber auch anderen sozialen Berufen äußerst schwer umzusetzen. Nachtschichten und das Arbeiten am Wochenende führen dazu, dass immer weniger junge Menschen den Beruf erlernen wollen. Zudem ist die Belastung enorm hoch, die Wertschätzung hingegen sehr gering.

Man muss den Menschen in dem Beruf zeigen, dass sich (...) in Zukunft was ändern wird.

Daher wünscht sich Ricardo Lange drei Dinge:

  1. Die Gesellschaft müsse wieder zueinanderfinden, statt in Extreme zu flüchten.
  2. Die Politik müsse dafür sorgen, dass im Gesundheitswesen nicht der Profit an erster Stelle stehe, sondern der Patient.
  3. Zudem wünscht er sich, dass die Ausbildungsberufe mehr Anerkennung erfahren:

Wenn wir alle akademisiert sind, wer schneidet uns dann die Haare oder kassiert uns im Supermarkt ab?

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