"Ab Montag ist also auch bei uns alles dicht - Theater, Handel, Schulen und Kitas", so Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) am Donnerstag auf Facebook. Die bundesweite Notbremse greift.
Palmer findet das vorläufige Ende für die Modellstadt enttäuschend. Seine Sorge: Er befürchte, dass die Infektionszahlen in Tübingen nun steigen werden, da weniger Menschen sich testen lassen. Das Testkonzept habe sich als erfolgreicher in der Pandemiebekämpfung erwiesen als die Notbremse. Die Inzidenz sei in der Stadt mit 91 derzeit halb so hoch wie im Landkreis Tübingen.
Sechs Wochen lang konnte man in Tübingen mit Tests ein fast normales Leben führen - einkaufen, essen gehen, ins Theater. Mit der Notbremse aber soll ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner über drei Tage hinweg all sowas nicht möglich sein, Schulen müssen ab einer Inzidenz von 165 schließen.
Tübinger Uni zieht erste Bilanz
In den vergangenen sechs Wochen haben vor allem junge Menschen das Angebot genutzt. Das zeigen Befragungen der Uni Tübingen. Zigtausende ließen sich seit Mitte März in der Modellstadt testen. Gut 4.000 davon haben Studierende der Uni Tübingen befragt. Ergebnis: Die meisten waren zwischen 20 und 30 Jahre alt. Viele auch über 55. Die Altersgruppen dazwischen kamen selten. Fast die Hälfte der Gäste kam vor allem zum „Shoppen“ in die Modellstadt. Und fast die Hälfte waren Einheimische, die in Tübingen leben. Aus dem direkten Umland kamen nur gut zehn Prozent. Sechs Prozent waren aus anderen Bundesländern angereist, der Rest aus Baden- Württemberg.
Nur wenige Infizierte konnten befragt werden
Befragt wurden die Gäste auch nach ihren Lebensumständen. Das sollte Rückschlüsse zulassen, ob zum Beispiel Menschen mit Kindern häufiger infiziert sind als andere. Man habe aber nur wenige Infizierte befragen können, so die Uni. Die Ergebnisse seien deshalb nicht auswertbar. Die Uni hat deshalb zusätzlich Briefe an positiv Getestete verschickt und hofft noch auf Antworten.
Pandemiebeauftragte: So verlieren wir den Überblick über das Infektionsgeschehen
Ohne den Anreiz, normal einkaufen zu können, komme niemand zum Testen, man könne die Teststationen zumachen - so reagierte die Tübinger Pandemiebeauftragte Lisa Federle auf das Aus für die Modellstadt. So werde man den Überblick verlieren, wie viele Leute positiv oder negativ seien. Das ärgere sie, denn es sei kurzfristig gedacht.
Auch Einzelhändler sind sauer
Auch der Tübinger Einzelhandel bedauert das vorläufige Ende der Corona-Modellstadt. Stephan Braun vom Vorstand des Handel- und Gewerbevereins sagte, das Modell habe gut funktioniert und sich auch für einen Großteil der Tübinger Einzelhändler gelohnt.
Das Modellprojekt heißt „Öffnen mit Sicherheit“ und war zunächst bis Anfang April geplant, wurde aber dann verlängert.
Warum gerade Tübingen?
Dass gerade die Stadt Tübingen zur Modellstadt wurde, hat damit zu tun, dass in der Stadt bereits im Vorfeld viel getestet wurde – und zwar präventiv nicht nur in Altenheimen, sondern auch in der Stadt selbst. Bundesweit ging dieses Konzept als „Tübinger Modell“ durch die Schlagzeilen. Das Land begründet die Auswahl von Tübingen damit, dass die Stadt viel Erfahrung mit dem umfangreichen Testen hat. Außerdem könne die Stadt so ein Modellprojekt kurzfristig umsetzen.