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Kira Urschinger
Kira Urschinger (Foto: SWR3)

Fake News sollen Menschen gegeneinander aufbringen und das Vertrauen in Politik, Medien und Gesellschaft zerstören. Ex-AfD-lerin Franziska Schreiber berichtet im SWR3-Interview, wie Fake News von dieser Partei systematisch produziert und verbreitet werden, warum wir Falschmeldungen so gerne glauben und welche Fakten sie selbst in ihrer aktiven AfD-Zeit gefälscht hat.

Franziska Schreiber trat 2013 der AfD bei. Ein Jahr später wurde sie Vorsitzende der Jungen Alternative in Sachsen, 2017 dann Mitglied im Bundesvorstand. Unter anderem war sie als Pressesprecherin der Partei tätig, bediente die sozialen Netzwerke der Partei und verfasste die Pressemitteilungen.

Kurz vor der Bundestagswahl 2017 ist sie ausgetreten und hat begonnen, öffentlich die AfD zu kritisieren.
Heute ist sie 29 Jahre alt, nach eigenen Angaben bekommt sie weiterhin Informationen aus der AfD. Ihre Einschätzungen gelten daher ihrer Ansicht nach nicht nur für die Zeit, in der sie Mitglied war, sondern auch für heute.

Die ehemalige Pressesprecherin hält heute unter anderem Vorträge an Schulen, um über Fake News aufzuklären und hat auch ein Buch geschrieben über ihre Zeit bei der AfD. Darin geht es auch um die Falschmeldungen, die sie selbst zu ihrer aktiven Zeit teilweise verfasst und teilweise weiter verbreitet hat.

Falsche Zahlen: „Das wird schon ganz bewusst gemacht“

Im Interview für den SWR3-Report: Fake News erzählt Franziska Schreiber für die Vormittagsshow mit Kristian Thees, was sie konkret für die AfD an falschen Fakten verteilt hat: „Zum Beispiel die Flüchtlingszahlen. Da sind viele verschiedene Zahlen kursiert. Wenn mir das jemand aus einer Quelle weitergeleitet hat, die ich für vertrauenswürdig gehalten habe, habe ich das gar nicht überprüft, sondern habe das direkt rausgeschickt. Mir ist dann später mal aufgefallen: Diese ganzen Zahlen, die haben alle hinten und vorne nicht gestimmt. Wir haben da von zwei, drei Millionen geschrieben. Was natürlich kompletter Unsinn ist.“ Diese hohen Zahlen sind, so sagt es Franziska Schreiber, aber kein Rechenfehler, keine Fahrlässigkeit. Es gehe nicht darum, dass Zahlen ungeprüft übernommen würden – sondern „das wird schon ganz bewusst gemacht“.

„Man spielt ganz bewusst mit den Ängsten der Menschen“

Am Beispiel der Flüchtlingszahlen erklärt sie, wie die Zahlen gezielt berechnet wurden: „Man hat jetzt ein absolutes Hoch, also eine ganz hohe Ankunftszahl von Asylbewerbern und man weiß ganz genau, dass diese Zahl nicht repräsentativ ist für einen Zeitraum von einem ganzen Jahr. Man nimmt aber diesen einen Monat, diesen Spitzenmonat, und rechnet den auf ein Jahr hoch. Und sagt dann: 2017 oder 2018 werden soundsoviele Menschen bei uns eingereist sein. Das ist alles komplett unseriös und das wusste man schon zu dieser Zeit. Dort hat man ganz bewusst mit den Ängsten der Menschen gespielt, man hat gesagt, das wird ein dauerhafter Zustand.“

Franziska Schreiber erzählt, sie hätten in Echtzeit beobachten und auswerten können, wo die Menschen flüchten und durchaus beurteilen können, dass die veröffentlichten Zahlen der AfD die Realität nicht abbilden werden. Ihr Urteil ist eindeutig: „Das ist unverantwortlich, was man da für Ängste in den Leuten ausgelöst hat.“

Falsches Claudia-Roth-Zitat: „Das hat sie nie gesagt“

Ein weiteres Beispiel: Man habe ein Meme veröffentlicht mit einem angeblichen Zitat der Grünen-Politikerin Claudia Roth. Die AfD legte ihr in den Mund, sie würde sich freuen, wenn die Deutschen für immer verschwinden. „Das hat sie nie gesagt und würde sie auch nicht sagen. Und dann kommt aber immer dieses Argument von den Erstellern oder denjenigen, die das teilen: 'Ja, aber hätte sein können. Kann man sich durchaus vorstellen bei ihr'. Und das ist ja kein Argument. Wir können ja nicht danach gehen, was Leute vielleicht mal sagen könnten. Das ist ja reine Spekulation.“

„Es war auch so eine Lust an den hohen Zahlen einfach da“

Heute bereut Franziska Schreiber Vieles von dem, was sie in ihrer Zeit bei der Partei verbreitet hat. Nicht alles auf Anweisung der AfD-Funktionäre, sondern teilweise auch aus eigener Überzeugung: „Mir ist dann erst später aufgefallen, dass ich das gar nicht hätte teilen dürfen, weil es nicht gestimmt hat.“ Die Ex-Politikerin betont, dass es vielen Mitgliedern so gehe, dass sie Inhalte teilen würden, weil sie es wirklich glauben. In ihrer Arbeit als Pressesprecherin und auch als Privatperson habe sie außerdem der Reiz der extremen und überspitzen Nachrichten ergriffen: „Es war auch so eine Lust an den hohen Zahlen einfach da“, räumt sie ein. Je höher die Zahl, je krasser die Nachricht, desto größer die Befriedigung.

„Das hat eine ganz schlimme Eigendynamik bekommen“

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All das hat eine Eigendynamik entwickelt, die gefährliche Konsequenzen haben könnte. „Ganz viele Fake News werden auch von zum Beispiel irgendwelche Rentnern erstellt, die sich da im Verschwörungstheorie-Netz irgendwas zusammenkramen, dann daraus Grafiken machen und das untereinander hin und her schicken. Das heißt, das hat eine ganz schlimme Eigendynamik bekommen, die auch die Funktionäre der AfD nicht mehr im Griff haben.“

Franziska Schreiber unterstreicht, dass es sich hierbei nicht um eine Beobachtung handelt, die auf ihre aktive Zeit zurückgeht und heute ganz anders sein könnte. Ihrer Einschätzung nach wird das im Gegenteil derzeit immer schlimmer. „Diese Radikalisierung breitet sich mittlerweile so weit aus, dass man um dieser Basis zu gefallen, Sachen sagen müsste, die sich ganz klar von dem unterscheiden, was man noch als verfassungsgemäß und als demokratisch ansehen kann.“

Das Problem mit den Falschmeldungen sei aber nicht auf das Verhalten einzelner Mitglieder abzuwälzen, die selbstständig Fake News produzieren. Fake News seien klarer Teil des AfD-Systems – kein Zufall oder Einzelfall, das hebt Franziska Schreiber im Gespräch hervor. In den taktischen Beratungen, in denen sich die Funktionäre treffen, um eine Strategie festzulegen, sei das ganz offen angesprochen worden. „Das ist ganz oft so gewesen, dass es ganz bewusst erstellt worden ist, dass eine Strategie dahinter steckt.“

„Man wird unter Druck gesetzt“

Die Leute, die bewusst Fake News produzieren, fühlten sich dennoch im Recht. Sie erklärten ihr Verhalten darüber, dass es einem Ziel dient: „Da steckt die feste Überzeugung dahinter, dass sich Deutschland tatsächlich in einer gefährlichen Entwicklung befindet. Dass wir also zu viel islamischen Einfluss haben, dass wir zu viel arabischen Einfluss haben, dass die Globalisierung generell nichts Gutes ist. Dass es viel besser wäre, alles beim Alten zu belassen und sich abzuschotten gegen diese neue Entwicklung. Und diese Panik vor allem Neuen und vor der Zukunft, das führt dazu, dass sie alles für gerechtfertigt halten, was dazu geeignet ist, diese Entwicklung aufzuhalten.“

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Diese Denkweise würde insbesondere den jungen Parteimitgliedern auch schon sehr früh beigebracht. Franziska Schreiber beschreibt es als einen Druck, der auf die Mitglieder aufgebaut würde, um kritische Nachfragen früh zu unterbinden. „Damit hat man uns die Bedenken genommen, dass man uns diese Gefahr so groß dargestellt hat, dass man uns so eine Angst gemacht hat – dass man irgendwann gesagt hat: 'Okay, dann muss ich dieses kleine Zugeständnis da machen, da kann ich mich nicht so anstellen. Es wird dann auch ein Klima erzeugt von 'Hast du die Gefahr nicht verstanden? Weißt du nicht, worum es geht? Sind dir das Land und die Menschen so unwichtig, dass du jetzt wegen solchen kleinen moralischen Zimperlichkeiten anfängst, kalte Füße zu bekommen?' Also, da wird ein richtiges Vorwurfsszenario aufgebaut, man wird unter Druck gesetzt.“ Viele würden sich dann gar nicht mehr trauen, Zahlen oder Nachrichten zu hinterfragen und schon gar nicht öffentlich Bedenken an Quellen oder Fakten äußern.

Deshalb glauben wir Fake News: „Das hab ich ja schon von Anfang an gesagt!“

Die Menschen sind natürlich nicht blöd und werden auch nicht gerne dumm gehalten. Dennoch zeigen Studien, dass sich Fake News oft schneller und stärker verbreiten als echte Nachrichten – und bestätigen, dass wir Falschmeldungen oft vorschnell glauben. Franziska Schreiber hat eine Erklärung, warum das so ist: „Weil wir gerne das lesen und hören und uns angucken, was eh schon in unser Weltbild passt. Also dieses ganz Typische: 'Ja, das kann ich mir vorstellen. Das passt jetzt genau rein. Das hat jetzt nur noch gefehlt. Das hab ich ja schon von Anfang an gesagt! Das haben die Leute mir nicht glauben wollen, mein Nachbar hat noch gesagt nee, aber ich habe ihm gesagt, das ist so. Da steht's, jetzt kann er sich das angucken, das schicke ich ihm gleich mal.'“

Die Leute, die genau davon politisch profitieren, würden das bereits einkalkulieren. Sie könnten abschätzen, was die Menschen gerne hören wollen und genau das mit ihren Meldungen bedienen. „Dann werden die Nachrichten, die dazu passen, sehr selektiv ausgewählt, werden sehr radikal aufbereitet, martialisch verpackt und sie werden den Leuten in einfachen, klaren Botschaften um die Ohren geworfen. Und das ist nur der Teil, den ich noch als legal betrachten würde. Dazu kommt dann, dass sich die Basis, teilweise auch die Funktionäre schon, völlig radikalisiert haben. Dahingehend, dass sie sich irgendwelche Quatsch aus unseriösen Quellen zusammensuchen und einfach wild Grafiken in die Welt bringen. Und das ist völlig verantwortungslos dem gegenüber, dass wenn sie das einmal geteilt haben, sie das nie wieder aus dem Internet raus kriegen.“

Franziska Schreiber ist sich sicher, dass es kein großer Anteil der AfD-Wähler ist, der in einem völlig eigenen, geschlossenen Weltbild lebt. Aber es gäbe sie, die Menschen die davon überzeugt sind, dass die Regierung kriminell ist, die Medien und die Wissenschaft gekauft sind und alle lügen. Diese Leute seien nicht mehr zu erreichen, denn Argumente, die man anführt, seien in deren Logik selbstverständlich sowieso nur eine Lüge.

„Das ist, wie wenn ich als Kind lüge“

Aus dieser Perspektive ließe sich auch erklären, weshalb die AfD selbst vielfach Fake News unterstellt, politische Gegner oder die Presse als Lügner bezeichnet oder auch der Polizei Verschleierung unterstellt, wie kürzlich auf dem Twitteraccount der AfD Salzgitter. „Das ist, wie wenn ich als Kind lüge“, so Franziska Schreiber, „dann muss ich das Kind, das was anderes erzählt als ich, empört als Lügner hinstellen und sagen: 'Also Mama, das ist das allerletzte, dass der so frech lügt'. Das gehört ja zusammen. Ich kann ja nicht denjenigen als neutral stehen lassen, der das Gegenteil von dem sagt, was ich gerade behauptet habe.“

Die Jugend gibt Hoffnung bei Fake News und Hate im Netz

Hoffnung besteht für sie vor allem in der Jugend: „Wenn wir uns die Jugend anschauen, dann ist es so: Je jünger die Leute sind, desto mehr Hoffnung kann man eigentlich haben. Es gibt ein unglaublich großes Problembewusstsein, einen ganz starken Willen, eine gerechte, vorurteilsfreie Gesellschaft aufzubauen. Man ist sehr um die Gefühle anderer bemüht. Das erlebe ich ganz stark, dass man sich Gedanken macht, wie man etwas sagt. Dass man also gewaltfrei spricht, dass man sich unverletzend begegnet. Das ist eine unglaublich schöne Entwicklung, die mir ganz große Hoffnung macht. Und wenn wir diese Entwicklung beibehalten können, dann haben wir für die Zukunft auf jeden Fall viel Anlass zur Hoffnung.“

Studie: Jüngere Menschen teilen weniger Fake News

Rache an der AfD? – „Man tut so, als ob es mich nicht gäbe“

Franziska Schreiber: Ex-Afd-lerin zu Fake News (Foto: dpa)
Franziska Schreiber berichtet in einem Buch über die AfD und die Fake News, die sie unter anderem als Pressesprecherin verbreitet hat. Dafür muss sie viel Kritik einstecken. dpa

Insbesondere nachdem Franziska Schreiber ein Buch veröffentlicht hat, in dem sie über die Abläufe der AfD berichtet, hat sie viel Kritik eingesteckt. Sie würde Rache üben an ihrer alten Partei und Aufmerksamkeit generieren wollen, so die Kritiker. Sie selbst sagt dazu: „Zum einen habe ich für Rache keinen Grund. Ich habe durch die AfD nichts verloren. Ich habe alle Posten, auf die ich mich beworben habe, bekommen. Ich hatte großartige Angebote, in den Bundestag zu gehen. Und was ich an dieser Stelle auch sagen muss: Diese Partei hat sich von den vier Jahren, in denen ich dort Mitglied war, so radikal verändert, dass man nicht einmal davon sprechen kann, dass ich mich gegen die Partei wende, in die ich eingetreten bin. Denn die gibt es nicht mehr. Ich wende mich gegen das, was aus der AfD geworden ist. Und das mache ich aus großer Sorge, weil mir die Menschen eben nicht egal sind in diesem Land und weil mir der soziale Frieden nicht egal ist. Deswegen mache ich das.“

Seitens der AfD gäbe es strategische Entscheidungen, wie man mit ihr und ihren Aussagen umgehen solle: nichts dazu zu sagen. „Man tut so, als ob es mich nicht gäbe, um eben diese Aussagen nicht noch bekannter zu machen als sie sind.“

Wie bereits erwähnt, haben wir ausdrücklich die AfD gebeten, mit SWR3 zu sprechen und ihre Sicht der Situation klarzumachen. Auf unsere Anfrage hin kam die Antwort aus der Pressestelle: „Kein Kommentar.“

Interview anhören: Franziska Schreiber über das System der Fake News bei der AfD

Ex-AfDlerin Franziska Schreiber (Foto: privat)

SWR3-Report: Fake News Interview Franziska Schreiber: So verbreitet die AfD ganz bewusst Fake News

Dauer

Interview mit Franziska Schreiber, Ex-AfD-lerin und Autorin.
Wir haben die AfD selbstverständlich angefragt und um ein Statement gebeten, um ihnen die Möglichkeit einzuräumen, auf die Vorwürfe zu reagieren. Die Antwort der Pressestelle, im vollständigen Wortlaut: "Kein Kommentar".

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