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Philip Wegmann
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Stefan Scheurer
Stefan Scheurer (Foto: SWR3)

Die Atomkraft ist plötzlich wieder cool? Aus Klimaschutz-Gründen? Wir checken die Fakten – und die haben uns selbst ganz schön überrascht.

Atomausstieg bis Ende 2022 geplant

Am Die letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland sollen bis Ende 2022 vom Netz gehen. Bis 2045 will die Bundesregierung den Strom in Deutschland CO2-neutral bekommen. Mit fossilen Brennstoffen ist das schwierig, mit erneuerbaren Energiequellen allein aber auch. Die Entwicklungen rund um den Krieg in der Ukraine haben die Energiekrise weiter verschärft. Kommt der Atomausstieg zu früh?

Pro und Contra Atomkraft im Faktencheck

Grohnde, Gundremmingen C und Brokdorf verabschiedeten sich Ende 2021, Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland dann Ende 2022 – die letzten Kernkraftwerke, die in Deutschland in Betrieb sind und vom Netz genommen werden sollen.

Wir in Deutschland verbrauchen am meisten Energie in Europa. Im Bereich Strom waren es 2020 rund 500 Milliarden Kilowattstunden. Mit einer Kilowattstunde Strom kann man zum Beispiel – abhängig vom Fernseher – etwa sieben Stunden fernsehen.

Faktencheck: Ist der Atomausstieg richtig? (Foto: SWR)

Nach Angaben des Bundesministeriums für Energie und Wirtschaft setzte sich der Strom 2020 wie folgt zusammen:

  • Fossile Energie wie Braun- und Steinkohle, Mineralöl und Erdgas, sowie sonstige Energieträger machen 44,4 Prozent aus.
  • Genauso viel steuern erneuerbare Energien bei, also zum Beispiel Wind- und Wasserkraft.
  • Das fehlende Puzzleteil: Kernenergie mit knapp 11 Prozent.

Der Anteil der erneuerbaren Energie ist in den letzten Jahren damit stark gestiegen, während die Anteile der fossilen Energieträger sowie der Kernkraft gesunken sind. Aber warum will Deutschland nochmal endgültig aus der Atomenergie aussteigen?

Was spricht für den Atomausstieg?

Der wichtigste Punkt ist der Sicherheitsaspekt. Um das nachzuvollziehen, richten wir den Blick über ein Jahrzehnt zurück: März 2011 – die Atomkatastrophe im japanischen Fukushima. Durch ein Erdbeben und dem daraus folgenden Tsunami kollabierten in dem Atomkraftwerk die Kühlsysteme und radioaktive Partikel und Strahlung werden freigesetzt. Die Folgen waren Tod, Flucht und Umsiedlung – und das teilweise von mehreren hunderttausenden Menschen. Das Gebiet rund um die Katastrophe ist so groß wie das Gebiet der Stadt München und ist noch heute Sperrgebiet.

Die frühere Bundesregierung beschloss daraufhin, dass bis Ende 2022 alle Atomkraftwerke abgeschaltet werden sollen. Fukushima ist ein Beispiel aus der jüngeren Geschichte. Eines der bekanntesten ist sicherlich Tschernobyl. 1986 kommt es zu diesem Unglück, das alle in Europa betrifft: Die Explosion eines Reaktors setzt radioaktive Stoffe frei. Wie viele Tote, Verletzte und vor allem gesundheitlich Betroffene es gegeben hat, ist nie ganz geklärt worden.

10 Jahre danach Wie hat die Katastrophe im Atomkraftwerk Fukushima die Welt verändert?

Erst kam das Erdbeben, dann der Tsunami, der auch das Kernkraftwerk Fukushima Daichii trifft – es kommt zur Katastophe. Zehn Jahre ist das diesen Donnerstag her. Was hat sich seither getan?

Der Super-Gau hatte auch einen erheblichen Einfluss auf die Umwelt, die durch die freigesetzten Giftstoffe verpestet wurde. Auch in Deutschland durften damals keine Kinder im Garten spielen, speziell in Bayern. Obst und Gemüse war teilweise radioaktiv verseucht. Tschernobyl ist über 1.300 Kilometer von Deutschland entfernt und hatte dennoch solche Auswirkungen.

Sicherheitsaspekte wie dieser werden immer wieder als Argument gegen Atomkraft genannt. Ganz unabhängig von Störfällen oder Unfällen an sich können außerdem Umwelteinflüsse wie Erdbeben oder auch Terroranschläge Risiken für die Atomkraftwerke sein.

Gibt es ein Endlager für Atommüll?

Nein. Das ist eines der größten Probleme: Teilweise strahlen die Abfälle mehrere zehntausende, hunderttausende, ja sogar mehr als eine Million Jahre noch. In Deutschland gibt es noch kein geeignetes Endlager.

Probleme bei der Suche sind zum Beispiel, dass dieses Lager wegen der schädlichen Strahlung länger als eine Million Jahre Tauglichkeit haben soll. Es muss den radioaktiven Müll auch dann noch sicher einschließen, wenn sich Gesteinsschichten verformen. Und den Müll im Labor in weniger strahlendes Material umzuwandeln funktioniert noch nicht richtig.

Wie teuer ist Atomkrafft wirklich?

Atomkraft hat einen „günstigen“ Ruf, allerdings ist das Augenwischerei. Atomenergie ist sehr teuer. Genau genommen ist sie die teuerste aller Energiearten. Zumindest wenn man die „realen“ Strompreise betrachtet. Gemeint ist, dass zur Herstellung des Stroms an sich Kosten zum Transport, des Baus der Kraftwerke oder eben der Müllentsorgung dazukommen. In den letzten zehn Jahren sind die Kosten gestiegen. Atomkraft wurde rund ein Drittel teurer, während erneuerbare Energien teilweise 90 Prozent günstiger geworden sind. Der World Nuclear Report arbeitet mit Werten aus Nordamerika, die sich jedoch weltweit anwenden lassen.

Faktencheck: Ist der Atomausstieg richtig? (Foto: SWR)

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung nennt in einer Untersuchung Atomkraftwerke „marktwirtschaftlich nicht wettbewerbsfähig“. Im „besten“ Fall habe ein Atomkraftwerk einen Verlust von 1,5 Milliarden Euro. Grund sind unter anderem die Instandhaltung und Kosten durch Müll und Lagerung. Mal ganz davon abgesehen, dass man die Kosten von Müll-Folgeschäden in den kommenden Millionen Jahren nicht kennt.

Dazu kommt: Wenn die geplanten Laufzeiten zum Beispiel nach 40 Jahren auslaufen und verlängert werden müssen, wird das ebenfalls teuer, weil umfangreiche Umrüstungen anstehen. Für den Ausstieg muss die Bundesregierung den Energieversorgern allerdings eine Entschädigung von 2,5 Milliarden Euro zahlen. Und damit sind wir bei den Punkten, die gegen einen Atomausstieg sprechen.

Was spricht für Atomkraft?

Sachlich betrachtet muss es einen absolut brutalen Grund geben, Atomkraft weiterzubetreiben. Das Hauptargument ist der Klimaschutz und die CO2-Emission. Kohle und Co. machen noch einen erheblichen Teil der Emission aus, sind aber mit Blick auf die Umwelt die schädlichste Art Energie zu gewinnen. Eine Kilowattstunde, die mit Kohle hergestellt wird, sorgt für rund 1.150 Gramm CO2 – Wind sorgt für 86 Gramm. Kernkraft sorgt für zwölf Gramm CO2-Ausstoß pro Kilowattstunde – also auch mit Blick auf Bau, Instandhaltung und Entsorgung. Kernkraft hat also im Vergleich wirklich extrem wenig CO2-Verbrauch.

Diese Zahlen des Weltklimarats sind nicht allein für Deutschland gültig. Sie zeigen trotz Unterschieden zwischen Ländern dennoch eine Tendenz auf. Und im Februar 2022 hat die EU Atomkraft (genau wie Gas) als „nachhaltig“ eingestuft, vor allem, weil damit weitreichende Möglichkeiten zur Finanzierung und Förderung entstehen.

Wohin entwickelt sich Atomkraft?

Diese Entscheidung „pro Nachhaltigkeit von Atomkraft“ spielt einem weiteren Argument in die Karten: die Chancen durch neue Generationen von Reaktoren und Kraftwerken.

Tatsächlich wird an Technologien gearbeitet, um Atomkraft effizienter zu nutzen – mit geringerem Sicherheitsrisiko, wenig CO2-Emissionen und ohne Müllschwierigkeiten. Das Problem ist die Zeit. Es gibt zum Beispiel Pläne von Microsoft-Gründer Bill Gates oder dem Projekt Myrrha.

Warum agiert Deutschland nicht wie Frankreich?

Reaktoren sollen kleiner werden, weniger Müll produzieren oder sogar beim Abbau noch Strom erzeugen. Der Fachbegriff in diesem Zusammenhang ist Transmutation. Allerdings sind das bisher Pläne oder im besten Fall Prototypen – erfolgversprechend, aber noch nicht massenkompatibel umgesetzt. Außerdem bleibt das Thema Kernfusion bisher nicht mehr als eine teure Forschung und ein Wunsch für die Zukunft.

Die USA und China halten weiter an Atomkraft fest. Aber auch unsere direkten Nachbarn die Niederlande oder Belgien lassen die Meiler weiterlaufen. In Frankreich wird sogar vermehrt investiert. Atomkraft genießt in der Bevölkerung einen höheren Stellenwert als in Deutschland: Mehr als 70 Prozent des Stroms kommt hier von Atomkraftwerken.

Wie viele Atomkraftwerke hat Frankreich?

Unglaubliche 57 Atomanlagen sind derzeit in Frankreich allein zur Stromproduktion in Betrieb und Frankreich möchte weiter ausbauen. Einer unserer engsten politischen Verbündeten schlägt in Sachen Atomkraft also eine komplett andere Richtung ein. Mit Blick auf Klimaschutz lohnt sich das zurzeit. Allerdings zeigt eine aktuelle Studie, dass es auch in Frankreich ohne erneuerbare Energien nicht geht. Außerdem gibt es in Frankreich noch kein Endlager für den radioaktiven Müll und auch die Sicherheitsproblematik bleibt.

Warum ist Frankreich überzeugt von der Atomkraft?

Für Julia Borutta, Leiterin des ARD-Hörfunkstudios in Paris, ist es nicht nur die verbesserte CO2-Bilanz, die sich Präsident Emmanuel Macron damit erhofft. Als weitere Gründe nennt sie neben einem Know-How die Unabhängigkeit. Frankreich will nicht abhängig von anderen Lieferanten sein. Entscheidend sei dabei auch eine politische Strategie, die Julia Borutta bei Emmanuel Macron vermutet. Vor den Präsidentschaftswahlen sagte sie:

Er [Emmanuel Macron] muss vor allem befürchten, dass er sich nicht gegen die Konservativen und Rechtsaußen wird durchsetzen können. Und die sind eben traditionell Atomkraft-Befürworter. Und wenn er da jetzt auf eine komplett grüne Linie einschwenken würde, würde er sich sehr angreifbar machen.

Frankreich braucht den Atomstrom und kann nicht so einfach und schnell auf erneuerbare Energien umstellen. Und mit Blick auf die europäischen Klimaziele – und auch auf eine anstehende Wahl – wird vermehrt auf die Kernkraft gesetzt.

Fazit: Ist der Atomausstieg ein Fehler?

Gründe, die für den Ausstieg sprechen:

  • Nicht zu 100 Prozent kalkulierbare Risiken: Das zeigen Unfälle und Katastrophen wie Fukushima oder Tschernobyl.
  • Müll: Es gibt bisher kein Endlager, das sicher eine Million Jahre dicht hält. Wahrscheinlich ist sogar, dass es nie ein sicheres Lager für diesen Zeitraum geben kann.
  • Viele nachfolgende Generationen müssten sich also mit unserem Müll beschäftigen.
  • Kosten: Sie entstehen zum Beispiel durch Umrüstungen, die bei Laufzeitverlängerungen anstehen.

Gründe, die gegen den Ausstieg sprechen:

  • Atomkraft ist mit Blick auf den CO2-Ausstoß erheblich umweltfreundlicher als fossile Energieträger. Und das hat eine ganz erhebliche Bedeutung für den Klimawandel.
  • Viele setzen darauf, dass die Stromproduktion aus Kernenergie in Zukunft weiterentwickelt wird und besser funktioniert.

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