In dem Video von Peter Rentzsch zum Beispiel schauen sich tschechische Forscher angeblich ein frisch ausgepacktes Wattestäbchen von einem Corona-Schnelltest unter dem Mikroskop an. Dabei fallen schwarze Fasern an der Oberfläche des Stäbchens auf. Nähert man sich ihnen mit einem Gegenstand, bewegen sie sich. Der scheinbare Beweis: Es handelt sich um einen parasitären Wurm, der beim Corona-Test in die Nase gelangt. Viele behaupten auch, es handele sich um Nano-Roboter, die uns heimlich implantiert werden. Im zweiten Teil des Videos wird der schwarze Faden, der Morgellon, in Spucke gesetzt. Daraufhin bewegt er sich, „fängt an zu leben“, wie es im Video beschrieben wird.
Wir zeigen das Video an dieser Stelle bewusst nicht, um ihm nicht zu mehr Reichweite zu verhelfen.
Morgellonen – ein Jahrhunderte alter Mythos
Den Begriff „Morgellonen“ gibt es schon seit etwa 400 Jahren. Der englische Arzt Sir Thomas Browne hat ihn erschaffen. Vor 20 Jahren wurde der Begriff dann wiederentdeckt und der Mythos der kleinen Tierchen, die unter der Haut leben sollen, wurde darum zusammengesponnen. Er beschreibt kleine parasitäre, unbekannte Lebewesen, die über die Schleimhäute in den Körper gelangen, unter der Haut leben und sich rauskratzen oder -drücken lassen.
Aktuell geht die Theorie rum, dass die Würmer nicht in der Haut sind, sondern dass sie auf Wattestäbchen und in unseren Masken sind. Im Netz behaupten viele, diese Morgellonen oder Morgellons wären der Grund für die Corona-Symptome wie Husten oder Fieber und die vielen Todesfälle, nicht Covid-19. Die Pandemie soll so bewusst ausgelöst worden sein.
Die angeblichen Würmer sind keine Lebewesen
Der Forensiker und Diplombiologe Dr. Mark Benecke aus Köln beschäftigt sich seit fast 20 Jahren mit dem Mythos der Morgellonen. Er erklärt: Es handelt sich nicht um Lebewesen oder Organismen, sondern Gemische aus Fasern, Hautschuppen und Fett – eben alles, was sich auf mikroskopisch kleiner Ebene absetzt. Diese Fasern rollen sich zu länglichen Würstchen, die vergrößert dann an Würmer erinnern. Auch farbige Fäden, zum Beispiel in rot oder lila, sehen unter dem Mikroskop wie Blutgefäße oder Gedärme aus. Mit einem Organismus haben sie allerdings nichts zu tun, so Dr. Benecke.
Wie kommen die Bewegungen dieser „Würmer“ in den Videos zustande?
Die Antwort ist einfach, sagt Dr. Benecke. Textilfasern können zum Beispiel austrocknen. Wenn sie dann Feuchtigkeit aufnehmen, dehnen sie sich aus und bewegen sich. Ähnliche Reaktionen gibt es bei Wärme. Wenn man beispielsweise auf diese Fäden atmet, und damit beides – Feuchtigkeit und Wärme – zuführt, bewegen sich die Gebilde.
Und bei einem länglichen Faden, der sich zusammenzieht oder krümmt, denken natürlich alle an einen Wurm. Im Falle unseres Beispiel-Videos hängt die Bewegung mit elektrischer Ladung zusammen – wie bei einem Luftballon, den wir an den Haaren reiben und an die Decke kleben. Vor allem frisch ausgepackte Masken oder – wie in dem Video – Teststäbchen sind häufig elektrisch geladen. Nähert sich ein Gegenstand wie das Wattestäbchen einem anderen Gegenstand, wird der angezogen. Selbstständige Bewegungen der wurmartigen Gebilde sind aber unmöglich, die Faser-Fett-Gemische reagieren immer nur.
Warum kommt der Morgellons-Hype gerade jetzt?
Vielen aus der Querdenker-Szene spielt der Mythos jetzt gerade in die Karten. In sozialen Netzwerken erreichen die Videos Tausende von Menschen. Und hat man einmal so ein Video gesehen, schaut man sich seine Maske beim nächsten Mal natürlich genauer an, so Dr. Benecke. Auffällig ist, dass die Morgellonen im Netz meistens aus schwarzen Fasern bestehen. Das liegt daran, dass wir schwarze Fasern auf den meist weißen Masken besser sehen, erklärt Dr. Benecke.
Auslöser für die Morgellons-Behauptung sind auch Hautirritationen, die durch das Masketragen auftreten. Grund ist hier allerdings häufig eine Allergie oder eine Unverträglichkeit. Auch Milben oder Insekten können einen Ausschlag auslösen, die kommen aber nicht aus der Maske.
Fazit: Wir sehen die Würmer nur, wenn wir wollen
In Wissenschaft und Medizin werden Morgellonen häufig als Wahnvorstellungen der Patienten abgetan. So einfach ist es nicht. Die Videos beweisen, dass es die kleinen Gebilde gibt, dass sie sich unter den richtigen Voraussetzungen sogar bewegen. Trotzdem handelt es sich nicht um Lebewesen, Parasiten oder Organismen – auch wenn es oft die einfachste Erklärung wäre.