Hinweis: In diesem Artikel werden posttraumatische Belastungsstörungen, Traumata und Depressionen angesprochen. Die Behandlung mit psychedelischen Substanzen wird bisher noch erforscht und erfolgt unter klinischen Bedingungen. Solltet ihr psychische Probleme haben, wendet euch an Experten und versucht nicht, euch mit Substanzen selbst „zu therapieren“. Im schlimmsten Fall könnten die Substanzen die Krankheit sogar noch verstärken.
Psychische Erkrankungen nehmen seit Anfang der Corona-Pandemie zu
Die Corona-Jahre mit Lockdowns und Kontaktbeschränkungen, mit Angst und Sorgen waren für viele Menschen belastend. In vielen Fällen rief die Situation auch Depressionen hervor. Vor allem bei Kindern und Jugendlichen beobachten Ärzte immer öfter Symptome einer Depression – das stellt eine Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung fest. Weltweit schätzt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Zahl der depressionskranken Menschen auf 280 Millionen. Und ein besonderes Problem: Konventionelle Therapien und Antidepressiva heilen nicht alle Patienten.

Ein anderes Beispiel für eine mögliche Anwendung von Psychedelika in Therapien sind Posttraumatische Belastungsstörungen, kurz „PTBS“. Sie können Menschen auch erst Jahre nach einem traumatischen Erlebnis treffen. Gewalterfahrungen, Unfälle, sexuelle Misshandlungen: Sie alle können die Psyche langfristig schädigen, und manche Bilder können bis in den Schlaf verfolgen. Das Schwierige bei der Behandlung: Betroffene müssen sich ihrem Trauma stellen und es aufarbeiten. Aber gerade diese Konfrontation fällt oft so schwer. Sind Psychedelika dafür wirklich die Lösung?
Neue, alternative Psychotherapien nach alten Ideen
Bei psychischen Problemen sollen jetzt ausgerechnet Therapien mit Substanzen wie in LSD, MDMA und Co. helfen, sagen einige neue Studien. Die Studien sind zwar neu, die Idee dafür liegt aber schon ein paar Jahrzehnte zurück. Seit einigen Jahren kommt wieder Schwung in die Forschung:
In den 1930er-Jahren stellt der Schweizer Chemiker Albert Hofmann „Lysergsäurediethylamid“ her, besser bekannt als LSD. Auch mit Selbstexperimenten untersucht er die Wirkung auf die Psyche. Mit LSD verstärken sich alle Reize plötzlich. Die Wahrnehmung von sich selbst, aber auch durch die Sinne, verändert sich, es kann zu Halluzinationen kommen, zu guten wie zu schlechten. Die einzelnen Sinneseindrücke können verschmelzen, dann kann man beispielsweise Farben schmecken. Ein Rausch kann aber auch zum Horrortrip werden. Die Folge sind starke Angstzustände und sogar Persönlichkeitsveränderungen.
1949 bringt Hofmann ein LSD-haltiges Medikament auf den Markt. Es sollte Psychiatern eine Möglichkeit bieten, nachzuempfinden, wie es sich anfühlt, wenn die Persönlichkeit gespalten ist und in der Psychotherapie unbewusste Gedanken und Gefühle an die Oberfläche bringen. Allerdings war in den 70ern Schluss: Erst wird LSD weltweit verboten, später auch MDMA, weil sich beide Substanzen immer mehr zu Partydrogen entwickelten. Die Behörden schätzen den medizinischen Nutzen geringer ein als das Missbrauchspotenzial.
Heute blühen Psychedelika in der Medizin wieder auf: Mit Sondergenehmigungen gingen die Studien 2010 in den USA so richtig los – auch wegen der hohen Zahl an Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS), besonders unter Soldaten. Geschätzt haben in den USA ca. 8% der Menschen eine PTBS, in Europa sind es etwa 2%.
Tatort thematisiert PTBS: So schwer kann die Rückkehr für Soldaten sein
Die US-Amerikanische Arzneimittelbehörde FDA gab der Forschung mit MDMA und Psilocybin, dem Wirkstoff der sogenannten Magic Mushrooms, den Status als „breakthrough therapy“, also einem bahnbrechenden neuen Therapieansatz. Damit laufen mehr Gelder und die Zulassungen schneller. Mittlerweile gibt es aber weltweit Forschungen zu Psychedelika.
Wie funktionieren MDMA-gestützte Therapien?
In aktuellen Studien wird MDMA vor allem bei der PTBS-Behandlung eingesetzt: In Vorgesprächen lernen sich Therapeuten und Patienten kennen. In weiteren Sitzungen, sogenannten „Integrations-Sessions“, sprechen sie über das Erlebte ohne Medikamenteneinfluss.
Kern der Therapie sind dann die drei MDMA-Sitzungen. Sie sind über mehrere Wochen verteilt, dauern acht Stunden und beinhalten eine stationäre Kontrolle über Nacht. Die Patienten haben intensive Gespräche, aber auch immer wieder Ruhephasen. Die Droge wirke in der Behandlung als Angstlöser und Stimmungsaufheller. Es helfe den Betroffenen, Vertrauen aufzubauen und die Blockade zu überwinden, sich dem Trauma zu stellen. Durch das MDMA ist nämlich das Angstzentrum im Gehirn weniger aktiv. Dadurch können sich Patient und Therapeut dem Trauma ohne die starken negativen Gefühle nähern.
Anders als bei Alkohol dämpft MDMA aber nicht das Bewusstsein, sondern regt es noch weiter an. So könnten die Patienten die Erinnerungen aufarbeiten und überwinden.
Eine Studie mit 90 Teilnehmern, die in den USA, Kanada und Israel durchgeführt wurde, zeigt erste Erfolge: Zwei Drittel der Patienten hatten nach der Behandlung so wenige Symptome, dass sie als „geheilt“ gelten. Und das, obwohl in der Studie von 2021 explizit auch Menschen teilgenommen hatten, bei denen die Ärzte mit konventionellen Methoden nicht mehr weiter kamen.

Eine Kontrollgruppe hat die gleiche Behandlung bekommen, doch statt MDMA bekamen sie ein Placebo verabreicht. In dieser Gruppe wurden etwa 32% vollkommen von ihren Symptomen befreit, also ungefähr halb so viele wie bei der MDMA-Behandlung.
Macht die Behandlung mit MDMA und LSD süchtig?
Suchtgefahr bestehe bei den geringen Mengen und der Reinheit der Substanz während der Therapie nicht. Nebenwirkungen sind aber möglich: Müdigkeit, Kopfschmerzen, Schlafprobleme, Muskelverspannungen, aber auch vorübergehende Angstzustände sind bei Patienten aufgetreten. MDMA ist nicht das einzige Psychedelikum im Fokus der Forschung. Andere Studien beschäftigen sich mit Psilocybin, besser bekannt als „Magic Mushrooms“. Süchtig mache auch hier die Therapie nicht.
„Der Gangster, der Junkie und die Hure“: So schwer ist der Weg aus einer Sucht
Helfen Magic Mushrooms gegen eine Depression?
Wie MDMA finden sich vielleicht auch Pilze bald im Handbuch für Psychotherapie: Forscher verabreichen in Studien die Halluzinogene bei Depressions-Patienten, die auf keine andere Behandlung angeschlagen haben. Die Wirkung dauert einige Stunden an. In dieser Zeit sind die Patienten dauerhaft von Fachpersonal umgeben. In einer größeren Studie haben die Patienten zwei solcher Sitzungen in weniger als zwei Wochen. Ruhige Musik, bequeme Sofas, eine Schlafmaske: Die Patienten sollen es so angenehm wie möglich haben.
Die Trips sind allerdings nicht immer für jeden angenehm. In den bisherigen Studien gab es zwar keine schweren Komplikationen. Allerdings können Psychedelika auch ungewollte Reaktionen auslösen, Angst- und Panikgefühle beispielsweise. Aus den Studien ausgeschlossen sind deswegen Menschen, die beispielsweise eine Schizophrenie haben.
Psilocybin beeinflusst die Kommunikation zwischen Hirnbereichen und genau da könnte die heilsame Wirkung liegen: Im Psilocybin-Rausch entkoppeln sich einzelne Areale im Gehirn. Die Vermutung der Forscher: Es könnten neue Verbindungen zwischen Nervenzellen im Gehirn entstehen, die auch über die Behandlung hinaus bestehen und langfristig wirken. Das könnte neue Sichtweisen und Empfindungen hervorrufen, die die Depressionen zurückdrängen. Aber sicher sind sich die Forschenden noch nicht, die Erklärungen lassen sich noch nicht in Erklärungsmodelle einordnen.
Bei einigen Patienten hielt der Effekt über viele Monate hinweg an, bis das Monitoring der Studien beendet war. Manche berichten, dass der Effekt schon Jahre anhält. Andere spürten allerdings weniger andauernde und auch schwächere Verbesserungen.
Wann kommt die Zulassung von Therapien mit Psychedelika?
Die Studien zweigen positive Ergebnisse, haben aber nur eine geringe Anzahl an Patienten und unter Studienbedingungen. Eine Zulassung ist trotzdem nicht ganz unrealistisch. Die Forschungen mit MDMA sind aktuell vermutlich am nächsten an der Zulassung: Hier liegen schon die ersten Ergebnisse der Phase-III-Studien vor, also der letzten Testphase vor einer möglichen Zulassung. In dieser Phase sollen an einer größeren Personenzahl die Verträglichkeit und mögliche Wechselwirkungen mit Medikamenten geprüft werden. Außerdem geht es auch noch einmal um die Wirksamkeit: Ist das Medikament besser als die, die es schon auf dem Markt gibt?
MDMA und Magic Mushrooms sind die Substanzen, in denen die Forschung am weitesten ist. Aber auch Ketamine, LSD und andere psychedelische Stoffe werden erforscht, zum Beispiel gegen Essstörungen und Alzheimer.
Essstörung: „Dass das nicht normal ist, habe ich erst am Tiefpunkt wahrgenommen“
Fazit: Kommen bald Psychotherapien mit LSD und Co.?
- Die Behandlung mit psychedelischen Substanzen ist keine vollkommen neue Idee. Seit einigen Jahren gibt es aber vermehrt Studien dazu.
- In einigen Studien zeigen Psychedelika wie MDMA und Psilocybin gute Ergebnisse. Deutlich bessere, als die herkömmlichen Therapiemethoden.
- Die Ergebnisse der ersten Studien sind noch nicht auf den Therapiealltag übertragbar. Dazu fehlen aktuell weitere Untersuchungen.
- Die ersten Therapien außerhalb von Studien könnten vermutlich frühestens 2023 beginnen.