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Andreas Sommer
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Stefan Scheurer
Stefan Scheurer (Foto: SWR3)

Echte Wundermittel oder pure Chemie? Shampoos gegen Haarausfall, für Locken und ganz ohne böse Chemie? Wie machen die das wirklich? Und braucht es dafür Sulfate, Silikone und Parabene?

Um es mit den Worten unserer Großeltern-Generation zu sagen: So was hat's früher nicht gegeben. Hair-Repair, mehr Glanz, mehr Volumen, weniger Haarausfall, gegen Schuppen und idealer Weise alles in einer Packung. Aber ist das deswegen alles Humbug? Oder halten die Pflegeprodukte auch ihre Versprechen?

Das krasse Gegenteil von dieser Flut an Fläschchen im Bad ist der Trend zum „No-Poo“. Dabei verzichten Leute komplett auf Duschgel und Shampoo – mit zum Teil erstaunlichen Effekten.
Was bringt der No-Shampoo-Effekt? Gewöhnt sich der Körper an das Leben ohne Seife oder ist das doch mehr Kopfsache? Hier kommt der Faktencheck.

Wie wirkt Shampoo auf den Haaren?

Für Haut und Haar ist jedes Saubermachen mit Seife erst einmal eine Anstrengung – und die Wirkung von Shampoo ist der von Seife recht ähnlich. Normalerweise umgibt uns ein kompletter Mikro-Zoo aus Bakterien, Pilzen und Milben, auch Mikrobiom genannt. Die Mikroben leben in einer dünnen Schicht aus Wasser, Schweiß und Talg. Diese Schicht ist leicht sauer und hat einen pH-Wert von etwa 5. Klingt unappetitlich, diese Schutzschicht ist aber ganz natürlich.

Haare zu oft waschen? Gesund oder schädlich? (Foto: SWR3, Objectiv Media)
Auf den pH-Wert kommt es an: Damit die guten Mirkoorganismen eine Schutzschicht aufbauen können, sollten wir sie beim Waschen möglichst nicht oder nicht zu oft zerstören.

Die Schutzschicht schützt uns vor den Keimen, die uns tatsächlich krank machen. Jedes Einseifen tötet durch den hohen pH-Wert der basischen Seife aber nicht nur potentielle Krankheitserreger, sondern auch Millionen dieser guten Mikroben ab. Das Abspülen fegt sie dann von unserer Haut. Ist die Haut gesund, erholen sich die Mikroben in ein paar Stunden, und alles ist wie vorher.

Macht zu viel Haare waschen krank?

Waschen wir diesen Schutzschild allerdings zu oft ab, kann er Löcher bekommen und wir werden anfälliger für Infektionen oder Allergien. Dabei ist es egal, ob die Seife fest oder wie die meisten Shampoos flüssig ist. Besser für die Haut sind da Produkte, die den gleichen pH-Wert wie die Haut haben. Ähnlich sieht bei einer kurzen, heißen Dusche aus: Für gesunde Haut ist das zwar auch eine Anstrengung, aber der Säureschutzmantel ist schnell wiederhergestellt. Menschen mit Neurodermitis sollten sich bei hohen Temperaturen dagegen eher zurückhalten.

Haare zu oft waschen? Gesund oder schädlich? (Foto: SWR3, Objectiv Media)
Hände, Achseln, Intimbereich: Oft waschen ist hier ok, das gilt aber nicht für den Rest des Körpers. Und Haare sind ein Sonderfall.

Das heißt jetzt natürlich nicht, dass Waschen allgemein mehr schadet, als es nützt. Gerade die Hände und das Gesicht sollten wir häufig waschen, um Schmutz und Krankheitserreger loszuwerden. Genauso unter den Armen, im Intimbereich und an den Füßen. Aber die Haare? Die brauchen die Intensivpflege zumindest aus hygienischen Gründen nicht unbedingt.

Kann Koffein Haarausfall aufhalten?

Shampoos können heute ja auch schon längst mehr als einfach nur die Kopfhaut säubern, zum Beispiel mit Koffein das Haarwachstum anregen und so Haarausfall verhindern. Oder?

Es gibt eine Reihe von Studien, die sich angeschaut haben, wie genau verschiedene Haarwaschmittel tatsächlich wirken. Leider wurden sie oft von den Herstellern selbst in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse müssen wir also mit Vorsicht betrachten. Die Unternehmen haben ein klares wirtschaftliches Interesse und die Studien sind oft undurchsichtig und nicht wirklich alltagsnah.

Haarausfall ist oft genetisch veranlagt. Die Haarwurzeln reagieren bei der Veranlagung auf ein Abbauprodukt von Testosteron. Daher sind kahle Stellen auch oft – aber nicht immer – eher ein Männerproblem, denn die produzieren mehr Testosteron als Frauen.

Soll ich Shampoo fünf Tage einwirken lassen?

Es gibt bekanntlich manche Shampoos, die zum Beispiel Koffein enthalten und versprechen, damit genau dieses Abbauprodukt zu hemmen. Und tatsächlich: Laborversuche und einige andere Studien zeigen Erfolg!

Aber was genau sagen diese Studien aus? Bei einem Test im Labor wurden Kopfhaut-Proben über fünf Tage hinweg mit einer koffeinhaltigen Lösung eingeweicht. Fünf Tage Shampoo auf dem Kopf? Eher schwer umzusetzen. Und auch wenn bewiesen ist, dass Koffein in die Kopfhaut eindringen kann, hat das Shampoo im realen Leben echt nicht viel Zeit, bevor es wieder ausgewaschen wird.

Andere Studien haben weitere Mängel: Manche haben zu wenige Probanden für aussagekräftige Ergebnisse, manche machen keine Blindtests oder testen keine Kontrollgruppen. So sind die Ergebnisse nicht zuverlässig. Das heißt zwar nicht zwangsläufig, dass Koffein-Shampoo vollkommen wirkungslos ist, aber wissenschaftlich korrekt bewiesen ist der Effekt bisher nicht.

Wie gut funktioniert Hair-Repair im Shampoo?

Ein anderes Beispiel sind Keratine, die die Haarpracht reparieren sollen. Damit wird oft auch geworben. Keratin ist das biologische Material, aus dem auch unsere Haare und Nägel aufgebaut sind. Es soll tiefenwirksam und bis an die Oberflächen reparieren. Leider gilt auch hier: Die Studien sind undurchsichtig und die Einwirkzeit in der Realität nicht vergleichbar mit denen bei Laborversuchen.

Und egal, ob es um Keratin, Vitamine oder Nährstoffe geht: Haare sind tote Zellen! Dass ein paar Minuten Shampoo auf dem Kopf die Struktur dauerhaft reparieren oder tiefenwirksam verändern könnten, ist nicht wissenschaftlich belegt.

Sind Sulfate, Silikone und Parabenen im Shampoo giftig?

Einige Kunststoffe, zum Beispiel Silikone, können sich zum Beispiel durch elektrostatische Ladung festsetzen und das Haar glänzt eine Weile mehr, ist besser zu kämmen und voluminöser. Dieser Effekt verschwindet wieder mit der Zeit. Schlimmer allerdings: Die Stoffe werden mit der Zeit ausgewaschen und verlieren an Wirkung.

Silikone sind in Verruf geraten, denn sie sammeln sich in Abwässern an und schaden so der Umwelt. Deswegen gibt es heute viele silikonfreie Shampoos, aber auch hier muss man vorsichtig sein: Nur weil kein Silikon enthalten ist, heißt es nicht, dass kein anderer Mikro-Kunststoff das Silikon ersetzt. Die sind oft auch nicht besser.

Dass Unternehmen allerdings nicht mit einem Kunststoffüberzug für die Haare und den tatsächlichen Wirkstoffen, im Shampoo werben (also den Tensiden), sondern eher mit natürlichen Inhaltsstoffen, liegt vor allem an unserem Konsumverhalten: Natriumlaurylsulfat klingt eben einfach nicht so verlockend wie Hanfsamen, Avocado oder Argan-Öl.

Wir waschen uns zu viel – wegen der Werbung

Das fängt schon bei einer der grundsätzlichen Eigenschaften an, die wir Verbraucher von Shampoos erwarten: Dass Haarwaschmittel schäumen, ist nicht nur unnötig, sondern das sorgt auch dafür, dass wir unnötig mehr davon verbrauchen. Aber die Werbung macht es uns vor.

Auch das tägliche Duschen ist eine relativ neue Entwicklung. Unsere Großeltern haben sich viel seltener gewaschen. Dann kamen groß angelegte Werbekampagnen: Wer sich nicht täglich wäscht, sei dreckig und unhygienisch. Diese Message nutzen Werbespots. Und das erzeugt gesellschaftlichen Druck. Dabei waren die Erwartungen zuerst vor allem aber noch, dass ein Shampoo die Kopfhaut reinigen soll.

Da das natürlich inzwischen alle Shampoos können, setzt die Werbung immer noch eins drauf: Neue Zutaten und Formeln, auch wenn sie nicht wirklich viel an der Wirkung ändern. So wurde ein großer Markt aufgebaut: Drei Milliarden Euro Umsatz werden allein in Deutschland mit Haarpflegeprodukten jährlich gemacht, und das Feld dominieren vor allem von drei Konzerne: Knapp zwei Drittel der Umsätze fallen auf L’Oréal, Henkel und Procter & Gamble ab.

Warum werden Haare fettig?

Auf der anderen Seite kennen wir es doch alle: Spätestens nach zwei, drei Tagen ohne Dusche und Shampoo fangen die Haare an zu fetten, die Kopfhaut juckt oder wir haben unschöne Schuppen im Haar. Aber wieso eigentlich?

Shampoo gibt es ja schon lange, in Deutschland seit 1927, um genau zu sein. Hatten davor alle immer einen juckenden Schädel? Selbst in Hollywood, wo das Aussehen super wichtig ist, gibt es immer mehr Leute, die überhaupt kein Shampoo mehr nehmen. Mila Kunis und Ashton Kutcher zum Beispiel, aber auch Brad Pitt und einige andere halten duschen inzwischen für „überbewertet“.

Und ihnen sieht man es auch nicht an. Sie duschen seltener und ersetzen konventionelles Shampoo durch natürliche Alternativen wie Roggenmehl, Apfelessig oder Heilerde oder sie verzichten sogar ganz darauf. Dieser Trend nennt sich No-Poo.

Was ist No-Poo?

Die Anhänger der Bewegung sagen, unsere Kopfhaut sei daran gewöhnt, dass wir regelmäßig das körpereigene Fett aus unseren Haaren spülen. Sie trockne durch das Shampoo aus, und die Talgdrüsen in der Haut produzieren danach umso mehr Fett, um das wieder auszugleichen.

Gleichzeitig wollen wir aber nicht, dass unsere Haare trocken und spröde werden und nutzen Conditioner – und der entscheidende Bestandteil davon: verschiedene Öle, um dem Haar die Geschmeidigkeit zurückzugeben und die Haare vorm Austrocknen zu schützen, da fetten wir dann also künstlich nach. Dazu kommen noch die negativen Auswirkungen von Shampoos auf die Umwelt.

Ist No-Poo besser als Shampoo?

Jein ist wie so oft die Antwort. Erst einmal: Ob die Talgproduktion tatsächlich mit der Zeit abnimmt, ist unter Dermatologen umstritten. Einige sagen: Auch nach Jahren ohne Shampoo produziert die Kopfhaut genauso viel oder wenig Fett wie sonst auch. Außerdem bedeutet „kein Shampoo“ natürlich nicht, dass die Haare gar keine Pflege mehr brauchen.

Ein Vorschlag: Ab und zu mit Wasser auswaschen und die Haare bürsten, damit verteilt sich unser eingebautes Haar-Glanz-Mittel, also Talg, automatisch. Aber wie sieht es in der Praxis aus? Angenommen, ab morgen wäscht man sich die Haare nur noch ein bis zwei mal in der Woche mit Wasser aus. Was passiert dann?

Die Übergangsphase ist schon eine harte Prüfung: Man muss sich erst einmal dran gewöhnen, die Haare einfach nicht mehr einzuseifen. Besonders, wenn man den radikalen Weg geht und wirklich nur noch Wasser benutzt. Es fehlen plötzlich die Duftstoffe, Conditioner und das Shampoo-Gefühl. Diese Umstellung kann einige Zeit dauern.

Wer von Natur aus zu Schuppen und sehr fettigen Haaren neigt, oder auch bestimmte Krankheiten hat, sollte besser nicht auf seine Pflegeprodukte verzichten, oder zumindest vorab mit dem Hautarzt sprechen.

Im Internet finden sich aber eben auch eine Menge positive Erfahrungen: Das Haar soll nach der No-Shampoo-Kur schöner sein als je zuvor, gesünder, glänzender. Hautärzte sind sich da nicht einig, wie sie den Verzicht einordnen sollen. Gewissheit gibt also nur das Selbstexperiment.

Fazit: Shampoo – Alleskönner oder alles Lüge?

  • Tägliches Duschen mit Shampoo ist erst einmal nicht schlimm. Eine gesunde Haut steckt das weg. Wir sollten aber darauf achten, Shampoo mit einem hautfreundlichen pH-Wert zu verwenden und auch davon nicht zu viel.
  • Zu häufiges, langes und zu heißes Duschen strapaziert die Haut. Das kann Hautprobleme verschlimmern oder auch erst auslösen.
  • Was andere Effekte angeht, die Koffein, Keratin etc. auslösen sollen: Die sind oft Marketing-Erfindungen, die im Labor unter speziellen Umständen funktionieren, aber unter der Dusche keinen nachweisbaren Effekt haben.
  • Die No-Poo-Bewegung setzt auf Shampooverzicht. Ob die Talgproduktion mit der Zeit weniger wird, ist nicht restlos geklärt. Ob das etwas für euch ist, müsst ihr also ausprobieren – im Zweifel nach einem Gespräch einer Dermatologin oder einem Dermatologen.
  • Unbestritten ist dagegen, dass viele Haarwaschmittel negative Auswirkungen auf die Umwelt haben.


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