So viele Versuchstiere gibt es in Deutschland
Laut dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft wurden 2019 in Deutschland rund 2,9 Millionen Tiere für Versuche eingesetzt. Davon wurden 700.000 Tiere getötet, um an ihren Organen zu forschen oder ihr Zellmaterial zu verwenden. An 2,2 Millionen Tieren wurden Versuche durchgeführt. Am häufigsten werden Mäuse für Tierversuche eingesetzt. Fast 1,4 Millionen waren es 2019. Es werden zum Beispiel auch Fische, Ratten, Kaninchen, Vögel, Affen und Halbaffen, Hunde, Katzen, Schweine, Kühe, Hamster oder Alpakas für Tierversuche verwendet.
Wofür werden Tierversuche durchgeführt?
Mit 13 Prozent macht der Bereich der Medikamenten-Entwicklung einen vergleichsweise kleinen Anteil an den Tierversuchen aus. Krankheiten wie Diabetes, Demenz, Krebs und Herz-Kreislauferkrankungen werden erforscht, aber auch Operationstechniken oder Transplantationen. Fast die Hälfte aller Tierversuche, nämlich 47 Prozent, dienen der Grundlagenforschung. Diese Experimente sollen Wissen erweitern, etwa über das Nervensystem oder das Immunsystem.

Gesetzlich vorgeschrieben sind lediglich rund 20 Prozent aller Versuche, sie sollen die Qualität und Wirkungen von Chemikalien und Medikamenten sicherstellen, unter anderem von Bioziden, Pestiziden oder Arzneimittel. Tierversuche für militärische Zwecke, wie Waffen oder Munition, aber auch für Waschmittel, Kosmetika oder Tabakprodukte dürfen in Deutschland nicht durchgeführt werden.
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Welche Regeln gibt es für Versuche an Tieren?
Tierschutz ist seit 2002 in unserem Grundgesetz als Staatsziel verankert. Und in unserem Tierschutzgesetz heißt es:
Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.
Dass trotzdem Tierversuche durchgeführt werden, geht auf die Deklaration von Helsinki zurück. Dabei handelt es sich um eine Erklärung des Weltärztebundes, in der die weltweiten Standards der „ethischen Grundsätze für die medizinische Forschung am Menschen“ beschrieben wird. Die Deklaration besagt, dass Versuche am Menschen nur dann ethisch vertretbar sind, wenn Risiken für die Patienten so weit wie irgendwie möglich minimiert werden. Das bedeutet: Wenn es ein Risiko gibt, das durch einen Tierversuch ausgeräumt werden kann, kann dieser Versuch gemacht werden. Aus diesem Grund sind in Deutschland Tierversuche in einigen Bereichen auch gesetzlich vorgeschrieben, sie müssen also durchgeführt werden. Tierversuche sollen dann Menschen vor Gefahren, Schäden und Leiden schützen.
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Wann dürfen Tierversuche durchgeführt werden?
Trotz dieses Grundsatzes gilt, dass Versuche an Tieren wenn möglich immer vermieden werden sollen. Sie sind nur dann eine Option, wenn es keine andere geeignete Alternative gibt, um die Untersuchungsfrage beantworten zu können. Dieser Vorsatz wird unter dem sogenannten 3R-Prinzip zusammengefasst. Das steht für replacement, reduction, refinement – oder auf Deutsch: vermeiden, vermindern, verfeinern. Dieses Prinzip findet sich in deutschen Gesetzen und in den EU-Richtlinien für die Zulassung von Tierversuchen. Das Ziel ist: Tierversuche sollen – wann immer das möglich ist – vollständig ersetzt werden. Für das 3R-Prinzip müssen Forscher nachweisen, dass der Tierversuch unerlässlich ist und es keine andere geeignete Methode gibt. Schmerzen, Ängste und Leiden der Tiere müssen auf „das nicht mehr reduzierbare Maß verringert werden“.
Wissenschaftler berichten So fühlt es sich an, Tierversuche zu machen
Tierversuche gehören in der Wissenschaft an vielen Stellen dazu. Aber wie fühlt es sich an, selbst Tierversuche durchzuführen? Wir haben mit zwei Wissenschaftlern gesprochen, die auf ganz unterschiedliche Weise damit umgehen.
Tierversuche: Pro und Contra
Ein Teil der Wissenschaftler sagt, dass es keine geeigneten Alternativen zu Tierversuchen, also zu Experimenten am lebenden Organismus, gibt. Der menschliche Organismus sei zu komplex und nur Tierversuche würden dieser Komplexität gerecht werden, weil Tiere uns ähneln.
Mittlerweile gibt es eine Reihe von Alternativen, die Tierversuche ersetzen oder sogar besser sein sollen. Eine dieser Alternativen sind MOCs, Multi-Organ-Chips: Miniatur-Organmodelle, die miteinander verbunden werden können und den menschlichen Organismus auf einem Chip imitieren. Diese MOCs gibt es schon und die werden auch eingesetzt, allerdings hat das Modell seine Grenzen: Einen kompletten Organismus kann es noch nicht abbilden – Stand heute.

Kritiker von Tierversuchen vertreten den Standpunkt, dass die Ergebnisse aus Tierversuchen nicht eins zu eins auf Menschen übertragen werden können. Tatsächlich sind Fälle von Nebenwirkungen bekannt, die bei Menschen auftraten, sich im Tierversuch aber nicht zeigte. Das Medikament Contergan, ein Schlaf- und Beruhigungsmittel, dass vor allem viele schwangere Frauen in den 50er- und 60er-Jahren nahmen, galt nach den Versuchen an Tieren als unauffällig. Viele Kinder, deren Mütter das Mittel während der Schwangerschaft eingenommen hatten, kamen aber mit Fehlbildungen zur Welt. Vertreter von Tierversuchen halten dagegen, dass etwa 70 Prozent der Nebenwirkungen bei Menschen bereits im Tierversuch erkannt werden können.
Medizinischer Fortschritt dank Tierversuchen?
Dass Tierversuche die Forschung in der Vergangenheit vorangebracht hat, zeigen Behandlungen wie Organtransplantationen, Bluttransfusionen, Herzschrittmacher, der Einsatz von Prothesen, Zahnimplantaten, Impfstoffen oder Krebstherapien. Für die Entwicklung dieser Methoden waren Tierversuchen ein wesentlicher Bestandteil. Auch das Wissen rund um unseren Organismus konnte durch Tierversuche erweitert werden.
Die Frage ist, ob das auch heute noch so ist. Viele der Tierversuche, die in der Vergangenheit unumgänglich waren, sind heute nicht mehr erlaubt: Es gibt adäquate Alternativen. Zum Beispiel wurde ein Routine-Versuch, der die Qualität zahlreicher Medikamente sicherstellen sollte, in der Vergangenheit vor allem an Mäusen und Meerschweinchen durchgeführt. Heute wird der Test in Vitro durchgeführt – also im Reagenzglas. In Vitro-Tests spielen bei der Entwicklung von Alternativen eine große Rolle. Forscher können immer mehr Versuche an Zellen oder Gewebe durchführen.
Auch Computermodelle werden vermehrt eingesetzt. Oder auch Künstliche Intelligenz. Diese KI-Modelle werden dazu mit Unmengen an Daten trainiert, die die Forscher in der Vergangenheit gewonnen haben. Besonders vielversprechend sind beispielsweise Tests zur Bestimmung der Giftigkeit von Stoffen. Die KI liefert in diesem Bereich bereits teilweise besser Ergebnisse als Tierversuche.
Also: Ein Teil der Wissenschaftler ist der Meinung, dass Tierversuche schon heute komplett überflüssig sind. Andere wollen an Tierversuchen festhalten, bis die Alternativen ausgereifter sind und die Vielschichtigkeit von einem lebenden Organismus abbilden können.
Dass die Alternativen großes Potenzial haben, ist in vielen Einzelfällen schon bewiesen. Dass sie aber die Standards, die wir vorhin bei der Deklaration von Helsinki gehört haben, besser erfüllen als Tierversuche, das sehen nicht alle Wissenschaftler so. Als übergreifendes Ziel gilt dennoch, dass langfristig Versuche an Tieren überflüssig gemacht werden.
Tierversuche: Was erlaubt ist und was nicht
Fazit: Sind Tierversuche unnötig oder unverzichtbar?
- Der Konsens ist, Tierversuche langfristig überflüssig zu machen. Noch sind sie aber fester Bestandteil von Forschung und Wissenschaft, um Experimente an komplexen Organismen durchzuführen.
- Die Ergebnisse aus Tierversuchen können nicht immer vollständig auf Menschen übertragen werden. Daher gibt es auch heute noch Tierversuche, die rückblickend umsonst gemacht wurden. Andererseits wären viele lebensrettenden Methoden und Medikamente ohne Tierversuche höchstwahrscheinlich nicht entdeckt worden.
- Es gibt immer mehr Alternativen. Vor allem in Vitro-Versuche, Computermodelle, Künstliche Intelligenz und Mikrochips haben Potenzial, Tierversuche in der Zukunft überflüssig machen.