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Marlene Mogk
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Lea Kerpacs
Lea Kerpacs: Website-Redakteurin bei SWR3 (Foto: SWR3, Niko Neithardt)

Bei Sexualstraftaten steht es häufig Aussage gegen Aussage – und das mit sehr wenig Beweisen. Wer lügt also? Eine Frage, die nur schwer – und sehr häufig gar nicht – beantwortet werden kann.

Triggerwarnung: In diesem Artikel geht es um Sexualstraftaten. Falschbeschuldigungen gibt es, sie schmälern aber natürlich nicht die Schwere tatsächlicher Übergriffe und Vergewaltigungen. Solltet ihr selbst davon betroffen sein, könnt ihr euch Hilfe suchen – auch für Prozesse. Anlaufstellen haben wir euch hier zusammengestellt.

Mehr Aufmerksamkeit durch #metoo und andere Berichte

In den vergangenen Monaten und Jahren haben sich Fälle gehäuft, in denen Frauen offen von sexuellen Übergriffen durch in der Öffentlichkeit stehende Männer berichten. In sozialen Medien reichen die Reaktionen von Betroffenheit und Mitgefühl bis zu blankem Entsetzen und Wut auf den Täter und das System, dass ihn zu schützen scheint.

Doch da ist eine weitere Reaktion: Ärger und Wut, aber nicht auf den vermeintlichen Täter, sondern auf die mutmaßlich Betroffenen. Vorwürfe und Zweifel an dessen Darstellung der Ereignisse werden laut, gemeinsam mit dem Verdacht, dass die Frau den Mann zu Unrecht beschuldige. Als Argument werden Statistiken zitiert, die belegen sollen, wie häufig Frauen Falschbeschuldigungen gegen Männer aussprechen.

Wer nachdenkt, dem ist schnell klar, dass Statistiken keine Beweise für Schuld oder Unschuld in Einzelfällen liefern. Trotzdem ist es wichtig zu verstehen, was Statistiken zu diesem Thema aussagen und was nicht.

Zahlen zu Sexualdelikten schwanken stark

Die Zahlen, die zu diesem Thema kursieren, schwanken nicht nur ein bisschen, sondern geradezu abenteuerlich: zwischen drei Prozent und 80 Prozent soll der Anteil an Falschbeschuldigungen betragen – je nachdem, welche Quelle man sich vornimmt. Um zu verstehen, wie solche Angaben zustande kommen, muss man sich ihren Ursprung anschauen.

Woher kommen diese unterschiedlichen Zahlen?

In einem Artikel der Ostsee Zeitung heißt es in der Überschrift: „Acht von zehn Vergewaltigungen sind vorgetäuscht“. Ein weiterer Artikel titelt: „Vergewaltigungen in Rostock sind meist vorgetäuscht“. Auch in diesem Artikel heißt es, dass acht von zehn Vergewaltigungen nicht stattgefunden hätten.

Als Quelle dieser Angabe wird der Leiter der Kriminalpolizeiinspektion in Rostock genannt. Die Zahlen werden allerdings schnell eingeschränkt: Sie beziehe sich nur auf das Jahr 2017. In dem Artikel heißt es, im Rest des Landes sehe es ähnlich aus.

Die Polizei Rostock dementierte diese Aussagen allerdings. Tatsächlich zeigt sich bei genauerem Hinsehen, dass die Zahlen falsch interpretiert und aus dem Zusammenhang gerissen wurden.

So kam es zu den falschen Zahlen

2017 wurden durch die Polizei Rostock 78 Ermittlungsverfahren wegen sexueller Übergriffe gegen Frauen eingeleitet. 63 dieser Verfahren wurden wegen begründeter Zweifel wieder eingestellt.

Begründete Zweifel sind immer dann anzunehmen, wenn der Richter aufgrund von tatsächlichen Anhaltspunkten nicht komplett von der Schuld des Angeklagten überzeugt ist. Nur theoretische Zweifel, die nichts mit konkreten Beweismitteln zu tun haben, die reichen nicht aus, um die Verurteilung zu verhindern. Wenn also solche begründeten Zweifel bestehen, dann muss der Angeklagte freigesprochen werden oder das Verfahren wird vorher schon eingestellt.

Wenn von 78 Verfahren 63 eingestellt werden, dann ergeben sich so die zitierten 80 Prozent. Allerdings besagt diese Zahl nicht, dass es sich bei diesen 63 Fällen um erfundene Fälle oder Falschbeschuldigungen handelt, sondern sie umfasst die Verfahren, bei denen die Tat nicht bewiesen werden konnte oder es keinen hinreichenden Tatverdacht gab.

Aus juristischer Sicht ist zudem der Unterschied zwischen einem eingestellten Verfahren und einem Freispruch zu beachten:

Ein eingestelltes Verfahren ist mit einem Freispruch nicht vergleichbar. Eine Einstellung nach Paragraf 170 Absatz 2 Strafprozessordnung ist nach allgemeiner Ansicht nicht rechtskräftig und führt deswegen nicht zu einem sogenannten Strafklageverbrauch, anders als der Freispruch. Das heißt gegen eine freigesprochene Person kann wegen der gleichen Tat kein weiteres Ermittlungsverfahren oder Gerichtsverfahren eingeleitet werden. Ist das Verfahren nach Paragraf 170 Absatz 2 Strafprozessordnung eingestellt worden, kann nach neuer Sachlage erneut ermittelt werden.

Die Aussage, dass 80 Prozent aller Vergewaltigungsvorwürfe Falschbeschuldigungen seien, ist nicht korrekt. Das sagen weder die Zahlen, noch die Polizei Rostock. Schon alleine, weil die genannten 73 Fälle nicht ausschließlich wegen Vergewaltigung eingingen. Vielmehr umfassten sie sexuelle Übergriffe wie sexuelle Nötigung oder sexuelle Belästigung. Unterschiedliche Straftaten wurden durcheinander geworfen und die Zahlen zudem nicht korrekt eingeordnet.

Korrekte Zahlen: Europaweite Studie kommt zu einem anderen Ergebnis

Eine weitere, häufig zitierte Zahl beziffert den Anteil der Falschbeschuldigungen in Fällen von Vergewaltigungen auf drei Prozent. Sie ist das Ergebnis einer Erhebung auf europäischer Ebene zum Thema Strafverfolgung bei Vergewaltigung.

Die Untersuchung besteht aus zwei Teilstudien, wobei ein Teil sich auf die Statistiken der 33 beteiligten europäischen Länder konzentriert. Dieser Teil beachtet die Meldung, Strafverfolgung und Verurteilung von Vergewaltigungen. Für den zweiten Teil wurden in elf ausgewählten Ländern je 100 Akten von Vergewaltigungsfällen untersucht, unter anderem in Deutschland.

Im Rahmen der deutschen Untersuchung zeigte sich, dass es sich bei drei der hundert untersuchten Fälle um Falschbeschuldigungen handelte. Mit drei von hundert Fällen wurde die Schlussfolgerung formuliert, dass es sich in drei Prozent aller Fälle von Vergewaltigung um Falschbeschuldigungen handelt.

Faktencheck: Falschbeschuldigungen bei Sexualdelikten (Foto: SWR, Faktencheck.de)

Verurteilt wurden 23 Angeklagte. Die übrigen 74 Fälle verteilten sich wie folgt: In zwanzig Fällen konnten die Täter nicht ermittelt werden. In weiteren zwanzig Fällen wurden keine Beweise für sexuelle Übergriffe gefunden. 14 Fälle wurden wegen Mangels an Beweisen eingestellt und in vier Fällen wurden die Angeklagten freigesprochen. In den übrigen Fällen haben die mutmaßlich Betroffenen die Anzeige zurückgezogen, wollte nicht mit Ermittlern kooperieren oder die Gründe für die Einstellung der Verfahren wurden nicht offiziell bekannt gegeben.

Der Grund für eine Einstellung oder einen Freispruch ist hier häufig der Mangel an Beweisen. Als Beweis gibt es oftmals ausschließlich die Aussage der mutmaßlich Betroffenen, doch eine Verurteilung des Angeklagten, die darf nur dann stattfinden, wenn es keine Zweifel an seiner Schuld gibt. Lässt die Anklage also Zweifel an der Tat oder lässt der Angeklagte sie durch eine glaubwürdige Einlassung aufkommen, so bleibt dem Gericht keine andere Wahl als ein Freispruch.

Hinweis: Die geringe Zahl an Verurteilungen kann auf tatsächlich Betroffene abschreckend wirken, einen Vorfall überhaupt zur Anzeige zu bringen. Doch auch wenn es nicht zu einer Verurteilung kommt, heißt das nicht automatisch, dass die betroffene Person gelogen hat; darauf gehen wir weiter unten noch genauer ein. Wem also Gewalt widerfahren ist, darf das anzeigen! Erste Anlaufstellen für Hilfe haben wir hier zusammengestellt; sie können auch über Prozessabläufe informieren und diese begleiten.

Was sagen diese Zahlen? Und was nicht?

In weniger als einem Drittel aller Fälle wurde ein klares juristisches Urteil gefällt, nämlich Falschbeschuldigung, Freispruch und Schuldspruch. Für die Mehrheit der Fälle gilt diese Klarheit allerdings nicht, sie liegen in einem Graubereich, aus dem nicht ersichtlich wird, wer die Wahrheit sagt und wer lügt, wer eine Straftat begangen hat und wer unschuldig ist.

Zu bedenken ist zudem, dass ein Freispruch nicht bedeutet, dass der oder die Betroffene eine Falschbeschuldigung ausgesprochen hat. Ebensowenig ist die Einstellung eines Verfahrens so zu deuten, dass kein Verbrechen stattgefunden hat.

Wenn ein Verfahren nach Paragraf 170 der Strafprozessordnung eingestellt wird, dann heißt das nur, dass die zuständige Staatsanwaltschaft, eine Verurteilung vor dem Gericht als unwahrscheinlich hält. Das kommt aber nicht nur in Betracht, wenn die Ermittler von einer Lüge ausgehen. Sie können der Frau auch persönlich glauben, aus beruflicher Erfahrung aber davon ausgehen, dass eine weitere Verfolgung zum Beispiel aus einem Mangel an Beweisen nicht zielführend wäre. Aus einer Einstellung kann man also nicht darauf schließen, dass eventuell Betroffene auch gelogen haben.

In diesem Graubereich finden sich mit hoher Wahrscheinlichkeit Täterinnen und Täter, denen ein Übergriff nicht nachgewiesen werden konnte. Gleichfalls ist es wahrscheinlich, dass in einigen dieser Verfahren eine Person zu Unrecht beschuldigt wurde. Wer tatsächlich schuldig oder unschuldig ist, lässt sich für Außenstehende nicht erkennen und herausfinden. Besonders im Rahmen öffentlicher oder prominenter Fälle führt dies zu Unverständnis, Ärger oder auch Verbitterung.

Ein wichtiger Punkt für das Verständnis dieser Zahlen und deren Einordnung ist, dass für das Ergebnis von 3 Prozent einhundert Fälle untersucht wurden. Das ist nicht viel: Studien mit einer so geringen Teilnehmerzahl sind nicht repräsentativ, sondern geben nur eine Tendenz. Für die gesamte Teilstudie untersuchten die Forscherinnen und Forscher allerdings jeweils hundert Fälle in elf Ländern untersucht. Insgesamt zeichnet sich zwar ein ähnliches Ergebnis ab, allerdings ergibt sich eine Spanne mit mehr Spielraum statt einer klaren Bezifferung auf drei Prozent: Der Anteil von Falschbeschuldigungen lag dann nämlich bei einem bis neun Prozent.

Trotzdem bilden diese Zahlen lediglich Fälle ab, die polizeilich erfasst, also angezeigt, wurde. Sie beziehen nicht das Dunkelfeld mit ein.

Hilfsangebote Gewalt gegen Frauen gestiegen: „Das ist ein Stück Hilflosigkeit“

141.792 Menschen sind 2019 in Deutschland Opfer von partnerschaftlicher Gewalt geworden. Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Stalking – die Liste ist lang. Die Corona-Pandemie hat die Situation verschärft. So kannst du dich informieren und helfen.

Dunkelziffer oder Dunkelfeld? Definition der Begriffe

Kriminologen unterscheiden zwischen Hell- und Dunkelfeld. Polizeilich erfasste Fälle, wie sie in der PKS, der polizeilichen Kriminalstatistik geführt werden, bilden das Hellfeld. Die nicht polizeilich bekannten Fälle sind das Dunkelfeld.

Um Licht in dieses Dunkelfeld zu bringen, führt man Befragungen durch. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden zufällig ausgewählt und nach ihrer Erfahrung als Betroffene von Straftaten befragt. Das nennt sich eine „Opferbefragung“. Die Ergebnisse aus diesen Untersuchungen ermöglichen Rückschlüsse auf tatsächlich begangene Straftaten und deren Entwicklung. So beispielsweise, ob bestimmte Verbrechen wirklich weniger werden oder ob die Betroffenen nur seltener zu Polizei gehen.

Für eine Untersuchung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aus dem Jahr 2003 wurden mehr als 10.000 Frauen im Alter von 16 bis 85 Jahren bundesweit befragt. Sie kam zu dem Ergebnis, dass in Deutschland jede zweite bis dritte Frau in ihrem Erwachsenenleben Betroffene von körperlichen Übergriffen geworden ist und etwa jede siebte Frau sexuelle Gewalt erlebt hat. In mehr als 85 Prozent aller Fälle wurde die Polizei aber nicht eingeschaltet.

Faktencheck: Falschbeschuldigungen bei Sexualdelikten (Foto: SWR, Faktencheck.de)

In einer EU-weiten Studie von 2014, für die 42.000 Frauen befragt wurden, zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. Jede dritte Frau in Europa hat als Erwachsene körperliche oder sexuelle Gewalt erfahren. Jede zweite hat Erfahrungen mit sexueller Belästigung machen müssen.

Solche Untersuchungen lassen aber nicht darauf schließen, dass das Dunkelfeld aufgedeckt ist. Die Forscherinnen und Forscher gehen davon aus, dass nicht alle Betroffenen an derlei Untersuchungen teilnehmen oder selbst in anonymen Befragungen nicht über Übergriffe sprechen. Bei diesen Fällen spricht man vom absoluten Dunkelfeld, also Fälle, die weder angezeigt noch anderweitig bekannt werden. Die Ergebnisse solcher Untersuchungen werden deswegen als Mindestwerte gesehen.

Untersuchungen wie diese zeigen auch, dass die Mehrheit der Täter aus dem Umfeld der Betroffenen stammt: Partner, Freunde, Bekannte, Kollegen. Nur in etwa 20 Prozent aller Fälle im Rahmen der Untersuchung waren die Täter Fremde.

Kriminologen gehen davon aus, dass bei schweren sexuellen Übergriffen das Dunkelfeld besonders groß ist. Der Weiße Ring gibt an, dass bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung nicht einmal jeder 15. Fall angezeigt wird und beruft sich dabei auf kriminologische Studien.

Statistiken bilden häufig nur das Hellfeld ab

In Bezug auf Angaben wie die oben erwähnten drei Prozent heißt das, dass diese Zahlen sich lediglich auf das Hellfeld beziehen können. Nur ein kleiner Teil der sexuellen Übergriffe wird angezeigt und wiederum nur ein Teil dieser Fälle landet vor Gericht und endet mit einem Schuldspruch.

Faktencheck: Falschbeschuldigungen bei Sexualdelikten (Foto: SWR, Faktencheck.de)

Allerdings gibt es auch ein Dunkelfeld bei Falschbeschuldigungen, also Fälle, bei denen einer Person ein Übergriff unterstellt wird, ohne dass eine Anzeige erfolgt. Das taucht in der Statistik ebenfalls nicht auf. Von der gesamten Thematik ist demnach nur die Spitze des Eisbergs bekannt.

Deutlich wird durch die Dunkelfeldforschung allerdings, dass die Betroffenen nicht leichtfertig Anzeige erstatten oder vorschnell zur Polizei gehen. Viele schweigen und trauen sich offenbar nicht, Übergriffe anzuzeigen.

Juristische Folgen und Unschuldsvermutung

Falschbeschuldigungen sind keine Lappalie, weder menschlich noch juristisch. Sie haben zu Recht juristische Folgen.

Wer jemanden wider besseren Wissens einer Straftat bezichtigt, der begeht selbst eine Straftat. Allerdings muss die Strafbarkeit nach dieser Vorschrift in einem eigenen Prozess nachgewiesen werden. Es reicht nicht, dass das andere Verfahren eingestellt worden ist oder dass da es ein Freispruch für den Angeklagten gab. Bei einem Schuldspruch droht eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren. Also man sollte sich tunlichst vorher überlegen ob man jemanden fälschlicherweise einer Straftat bezichtigt oder nicht.

Allerdings gilt auch in Verdachtsfällen von vermeintlichen Falschbeschuldigungen die Unschuldsvermutung. Diese Situation scheint widersprüchlich, sie ist aber in erster Linie komplex. Denn beschuldigt Person A eine andere Person B, eine Straftat begangen zu haben, dann hat einer der beiden Personen etwas Unrechtes getan: Entweder Person A, weil sie den Übergriff begangen hat. Oder aber Person B, weil sie jemanden fälschlicherweise beschuldigt hat. In beiden Fällen gilt die Unschuldsvermutung, auch wenn rein logisch betrachtet eine Person nicht unschuldig sein kann.

Besonders in den Kommentarspalten der sozialen Medien ist unter Diskussionen zu mutmaßlichen Fällen von sexuellen Übergriffen häufig zu lesen, dass der mutmaßliche Täter nicht vorverurteilt werden darf, wegen der Unschuldsvermutung. Das ist richtig. Umgekehrt gilt das aber genauso.

Die Ausgangslage, die scheint paradox zu sein. Denn zu beachten ist, dass auch für die Anzeigenstellerin die Unschuldsvermutung gilt. Man kann ihr nicht unterstellen in möglicherweise strafrechtlich relevanter Hinsicht gelogen zu haben. Aber die Unschuldsvermutung, die bezieht sich nicht auf Tatsachen, sondern auf die Schuldfrage. Die Tatsache, also ob eine Tat stattgefunden hat und wie, die sind Gegenstand des sogenannten Erkenntnisverfahrens vor Gericht und erst auf deren Grundlage wird dann auch die Schuld bestimmt. Solange ein solches Verfahren nicht abgeschlossen ist und die Schuld eines Täters gerichtlich festgestellt wurde, darf er auch nicht als schuldige Person behandelt werden.

Nüchterne Argumente zu einem emotionalen Thema. Einige Männer befürchten, dass ihnen Übergriffe vorgeworfen werden könnten, die nur schwierig zu widerlegen sind; dass sie zu Unrecht beschuldigt werden. Eine Angst, die natürlich nicht komplett aus der Luft gegriffen ist, denn natürlich gibt es diese Gefahr.

Beschuldigt im juristischen Sinn ist eine Person, gegen die ein Ermittlungsverfahren läuft, das heißt: Wenn die Staatsanwaltschaft oder die Polizei gegen die Person ermittelt. Wird jemandem dann vor Gericht der Prozess gemacht, wird er zum Angeklagten. Falsch beschuldigt werden kann man ganz schnell. Das passiert schneller, als man denkt. Das folgt schon daraus, dass es viele Antragsdelikte gibt. Wenn man also sagt: Ich stelle einen Strafantrag oder eine Anzeige im Volksmund, dann ermittelt die Polizei erstmal. Kann sich der Verdacht dann aber nicht erhärten, weil man offensichtlich zu Unrecht beschuldigt wird, dann wird die Polizei das Verfahren auch schnell wieder einstellen.

Beschuldigt heißt aber nicht verurteilt und auch Fehlurteile sind eine Realität.

Fehlurteile, die sind natürlich unvermeidbar. Der Richter ist für seine Urteilsfindung immer auf Beweismittel angewiesen. Die Beweismittel können fehlerhaft sein. Und die größte Fehlerquelle sind Irrtümer von Zeugen bei der Identifizierung von Verdächtigen. Auch falsche Geständnisse kommen häufiger vor als man vielleicht annehmen mag. Eine Wahrscheinlichkeitsquote für Fehlurteile gibt es nicht. Es wird aber angenommen, dass jedes vierte Urteil fehlerbehaftet ist. Das Risiko, zu Unrecht verurteilt zu werden, gibt es durchaus, allerdings müssen auch dafür genügend Beweismittel vorliegen, die überhaupt einen hinreichenden Tatverdacht begründen. Die Gefahr eines kompletten Fehlurteils ist für völlig Unbeteiligte daher geringer als für diejenige, gegen die tatsächlich schon erste belastende Beweise vorliegen.

Vermeintliche Falschbeschuldigungen und die Angst vor selbigen sind immer wieder Thema in den (sozialen) Medien. Viel seltener wird thematisiert, dass auch Männer Betroffene von sexueller Gewalt werden. Ein Tabuthema, nach wie vor, und auch hier gehen Kriminologen von einer besonders hohen Dunkelziffer aus. In diesem Artikel wurde bereits erwähnt, dass in Bezug auf Statistiken und Zahlenspiele Vorsicht geboten ist. Aber: Rein statistisch gesehen und mit dem Hinweis, dass hier nur das Hellfeld betrachtet werden kann, werden Männer häufiger betroffen von sexuellen Übergriffen, als dass sie fälschlicherweise eines sexuellen Übergriffs beschuldigt werden. Mit diesem Hinweis soll nicht vom Thema abgelenkt oder Ängste marginalisiert werden. Vielmehr wird verdeutlicht, dass ein Aspekt – nämlich sexuelle Gewalt gegen Männer – viel weniger Beachtung findet, als eine Angst vor einer falschen Beschuldigung.

Wissen, dass man es nicht wissen kann

Für Außenstehende ist unmöglich festzustellen, welche Seite die Wahrheit sagt und welche nicht. Die Welt ist nicht schwarz-weiß und Vorverurteilungen führen nicht zu Gerechtigkeit. Dieser Artikel äußert sich aus diesem Grund auch nicht zu bekannten Fällen, weder vergangen noch aktuell.

Diese Situation mag frustrierend sein und sogar verbittern. Und es ist bitter zu wissen, dass es viele Betroffene gibt, die nicht gehört werden und keine Gerechtigkeit erfahren. Oder dass in vielen Fällen Abhängigkeits- und Machtverhältnisse die Täter schützen und die Betroffenen keine Chance haben, sich zu wehren.

Es ist schwer zu akzeptieren, dass einem Menschen Unrecht getan und Leid zugefügt wurde, ohne dass es am Schluss Gerechtigkeit gab. Aber das ist leider die Realität und in vielen Fällen ist Ungewissheit alles, was am Ende bleibt. Daran ändern weder Meinungen noch Überzeugungen etwas. Ein Urteil sprechen nach wie vor nur Richter. Bis dahin gilt die Unschuldsvermutung. Für alle Beteiligten.

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Lea Kerpacs: Website-Redakteurin bei SWR3 (Foto: SWR3, Niko Neithardt)

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