Mein Name ist Mirja Raff, ich bin 37 Jahre alt und ich leide seit Jahren unter panischer Flugangst. Jedes Mal wenn ich im Flieger sitze, schwöre ich mir selbst, dass wenn ich den Flug überlebe, ich wirklich nicht mehr in dieses Ding steigen werde. Und dann steht da wieder der nächste Urlaub oder die nächste Dienstreise vor der Tür und ich denke mir: Ach, stell dich doch nicht so an. Jedes Mal die gleiche Leier. Spätestens eine Woche vor Abflug fange ich an leicht hibbelig zu werden. Meistens gelingt es mir da noch ganz gut die Angst beiseite zu schieben. Je näher der Tag aber rückt, desto häufiger kreisen meine Gedanken um den Flug und desto mehr Kribbeln im Bauch bekomme ich.
„Wen rufe ich als erstes an, bevor ich sterbe?“
Vor vier Jahren wollte ich mit meinen Mädels einen Trip nach New York machen. Die Vorfreude beim Buchen war riesig. Das Wochenende vor Reisebeginn eine Vollkatastrophe. Ich weiß noch, dass meine Eltern mich besucht hatten und ich Rotz und Wasser geheult habe, dass ich das nicht schaffe. Dass ich es einfach nicht schaffe, sieben Stunden in diesem Ding eingepfercht zu sein. Meine Eltern haben auf mich eingeredet, dass ich ja mal bis Berlin mitfliegen und dann immer noch den Zug nach Hause nehmen könne, wenn ich merke, dass ich es nicht schaffe. Ich bin schlussendlich mitgeflogen.
Bitte einmal den Fensterplatz

Meine Mädels tun mir heute noch leid, dass ich so ein Theater gemacht habe. Sieben Stunden sitze ich apathisch im Flieger. Ablenken lassen? Geht nicht. Schlafen? Auf gar keinen Fall. Jedes Mal, wenn ich ein Auge zumache, fängt das Flugzeug an zu wackeln. Zumindest bilde ich mir das ein. Ich warte schon förmlich darauf. Wenn ich meinen gebuchten Fensterplatz nicht bekomme, mache ich am Terminal Terror. Ich MUSS aus dem Fenster schauen können. Das gibt mir ein Gefühl der Freiheit, das schnürt mich nicht so ein. Außerdem bekomme ich mit, wenn eine Turbine ausfällt. Ich mag auch keine Flieger, in denen es diese Anzeigetafeln nicht gibt. Minütlich kontrolliere ich, ob wir noch die gleiche Reisehöhe haben, wie schnell wir fliegen und wie lange es noch dauert, bis wir da sind. Während des Fluges mache ich mir Gedanken, wen ich als erstes anrufen würde im Falle eines Absturzes. Etwa eine halbe Stunde bevor die Landung eingeleitet wird, fange ich an mich langsam zu beruhigen. Dann sagt mir mein Gehirn: Jetzt sind wir ja gleich da. Und sobald das Flugzeug mit seinen Rädern den Boden berührt hat, fällt ein so unglaublich großer Stein von meinem Herzen, mein Herzschlag verlangsamt sich schlagartig und ich werde hundemüde. Als wir gelandet sind, habe ich zum ersten Mal in meinem Leben den Boden geküsst. Kein Scherz. Voll peinlich. Und ich habe mir geschworen: Das geht so nicht. Ich muss was ändern.
Da hilft nur noch eins: Flugangstseminar!
Es geht in dem Seminar nicht darum, dass man die Angst verdrängt oder wegdrückt, sondern eher versucht herauszufinden, wie ticke ich, wie geht es mir und dann kann man auch Strategien entwickeln, damit umzugehen.
Wir sind etwa 14 Teilnehmer beim Flugangstseminar in Stuttgart. Überwiegend junge Leute. Mit meinen 37 gehöre ich schon zu den Älteren. Therapeutin Marianne Breuer erklärt, dass Stress und Angst im Zusammenhang stehen: „Junge Menschen haben sehr viel mehr Stress im Alltag. Durch diese ganze Informationsflut, die man hat, ist unser Gehirn permanent überfordert.“ Viele hätten in den Seminaren schon feststellen müssen, dass sie im Alltag Stress haben und dieser Stress trage auch dazu bei, dass man Flugangst hat. Oder generell Ängste.
Ängste nehmen zu in der heutigen Zeit
Es ist eine echte Herausforderung heutzutage mit dem Leben zurecht zu kommen. Man muss so viele Dinge gleichzeitig tun und hat nie einen Moment, wo man mal nichts tut. Wer schaut heutzutage mal nur aus dem Fenster? Das Gehirn bräuchte das zur Erholung. Mal kein Input. Das kommt ja gar nicht mehr vor. Bei vielen ist das Erregungsniveau einfach zu hoch. Wir sind aufgewühlt, wir sind gestresst, das ist unser normales Level. Wenn es einem gelingt, da runter zu fahren und im Alltag gelassener zu sein, dann ist die Gefahr, dass man in Angstzustände kommt, geringer.
Dieser Stress führt auch dazu, dass wir tagsüber nicht mehr abschalten können, nachts nicht mehr schlafen. „Das ist wie ein Teufelskreis.“ Unsere natürlichen Ryhthmen, müssen sich immer mehr den äußeren Rhythmen anpassen. X-Stunden am Tag arbeiten, immer erreichbar sein, Leistungsdruck. „Das Gefühl 'wenn ich das nicht schaffe, dann werde ich ersetzt'. Es ist schon existentiell.“ Marianne Breuer ist sich sicher: Wenn man ein gutes Verhältnis hat zum eigenen Körper, zur eigenen Atmung, wenn man ausgeglichen ist, dann gerät man nicht so leicht in solche Situationen. „Es geht nicht nur ums Fliegen, es geht sehr viel mehr um den Alltag.“
Strategien lernen, um mit der Angst umzugehen

Wir sitzen in einem Stuhlkreis beisammen. Jeder erzählt von seinen Ängsten. Manche weinen. In der Mitte liegen Karten von Teilnehmern, die von ihrer Flugangst geheilt wurden. Das macht Hoffnung. Marianne Breuers Therapierichtung ist ein körperorientierter Ansatz. Angst ist Anspannung und dagegen muss man körperlich gegensteuern. Sie wird in der so genannten Amygdala ausgelöst, das ist der Mandelkern im lymbischen System. Bitte was? Das ist so etwas wie unsere körpereigene Alarmglocke. „Wenn einer negative Erlebnisse hatte, dann geht diese Alarmglocke los und dann wird manchmal das ganze Angstprogramm ausgelöst, auch wenn es gar keinen reellen Grund dafür gibt“, so die Therapeutin. „Dann genügt ein Geräusch, ein Flugzeug zu sehen, zack, und das Programm ist wieder da. Und dann muss man Strategien entwickeln, gut damit umzugehen.“
Auf einem Bein hüpfen hilft
Auf verschiedene Arten lernen wir uns jetzt zu entspannen: Da gibt es zum Beispiel die progressive Muskelentspannung, es gibt Atemtechniken, Lockerungsübungen, Bewegung – alles Dinge, die einem helfen sollen mit Angst, Verspannung und Anspannung umzugehen. Längeres Ausatmen beruhigt uns und bringt uns runter. Auch in den Pulli einatmen soll helfen, uns zu beruhigen. Weil dadurch die verbrauchte Luft wieder eingeatmet wird, gelangen größere Mengen an Kohlendioxid in den Lungenkreislauf und damit ins Blut – das fährt uns wieder runter. Zu viel Sauerstoff im Blut macht uns hibbelig, die Atmung wird kurzatmig und flacher. Auf einem Bein hüpfen oder tanzen ist super, generell ist Sport gut gegen Angststörungen. Lieber nicht am Gate rumsitzen und auf den Flieger warten, sondern rumlaufen und sich bewegen. Auch Essen hilft. Ein voller Magen beruhigt. Auch wenn man gefühlt in diesem Moment nichts runter bekommt, es hilft. Die Gedanken auf etwas anderes lenken. Schlimme Angstszenarien verdrängen durch progressive Muskelentspannung. Zum Beispiel indem man die Daumenkuppen beim Einatmen zusammendrückt und beim Ausatmen wieder leicht öffnet. Ehrlich gesagt fällt mir das am Anfang unglaublich schwer. Immer wieder schweifen meine Gedanken ab und denken daran, dass mein Magen knurrt. „Übungssache“, sagt Marianne Breuer. Je häufiger man das macht, meditiert, desto besser kann man es auch in Angstsituationen abrufen. Auch Emotionen können helfen.
Weinen ist eine gute Art Spannung zu lösen, es ist nichts wovor man sich verstecken muss!
Gefühle sollten raus gelassen werden. Wenn die Tränen raus kommen, dann löst sich die Spannung. Auch lachen hilft Stress zu lösen. Emotionen zulassen. Unterdrücken macht es schlimmer. Nicht cool rüberkommen. Es ist gut zu seinen Emotionen zu stehen und sie zu zeigen. Dann geht es einem besser. Man kann nicht auf seinen Verstand zurückgreifen. Ich kann die vernünftige Reaktion im Zustand der extremen Situation nicht abrufen.
Der Pilot erklärt die Technik

Nachmittags kommt Kim Fischer. Er ist Kapitän und erklärt uns ganz ausführlich, wie so ein Flugzeug überhaupt funktioniert, wie es aufgebaut ist und wie es in der Luft gehalten wird. Das lernen wir nicht nur im Seminarraum, sondern wir besichtigen dazu auch ein Flugzeug und bekommen quasi am „lebenden Objekt“ die Technik erklärt. Ich finde das alles unglaublich interessant, zum Beispiel die Tatsache, dass ein Flieger noch 200 Kilometer gleiten kann – ganz ohne Turbinen … und mal ehrlich: Wann fallen schon mal beide Turbinen an einem Flieger aus…
Im Flugzeug ist alles zwei,- meistens sogar dreimal abgesichert.
„Das Flugzeug ist wie eine Hängebrücke“
Auch interessant: Der Flugzeugrumpf und die Flügel sind biegsam. „Was sich biegt, das bricht nicht", so Fischer. Man müsse sich ein Flugzeug vorstellen wie eine Hängebrücke. „Biegsame Sachen sind viel stabiler, wir fühlen uns nur nicht so wohl damit.“ Auch seien viele Dinge in der Luftfahrt sehr laut und nicht Passagiergerecht. Oft piept und flackert es und man weiß die Geräusche nicht richtig einzuordnen. Manchmal schwankt zum Beispiel die Stromversorgung von Flughäfen. Die eigene Stromversorgung im Flieger wird meist ausgeschaltet, weil es Kerosin kostet. Wenn das Stromsystem am Flughafen nicht stabil ist, kann es passieren, dass es an Bord flackert. „Es ist dann nichts kaputt,“ so der Kapitän. Und: Turbulenzen sind nicht gefährlich, sie sind nur ein Komfortproblem!!!
„Fliegen ist ein Medium, indem wir uns normal nicht bewegen“
Was auch hin und wieder mal während eines Fluges passieren kann ist, dass man durch eine Wirbelschleppe fliegt, die von einem anderen Flugzeug verursacht wurde. Solche Wirbelschleppen sind nicht sichtbar, man spürt sie aber deutlich. Es fühlt sich so an, als ob man über Bahngleise fahren würde. „Wir im Cockpit wissen das, aber die Leute wollen natürlich informiert werden. Manchmal sind es Kleinigkeiten, die den Leuten helfen können. Ich mache das persönlich sehr frühzeitig mit Ansagen und Informationen. Gerne auch mal während der Turbulenzen, um darauf hinzuweisen, dass das gerade unangenehm ist, aber nicht unsicher.“
Mit dem Autofahren werden wir groß. Das gehört zu unserem Leben, wir gewöhnen uns daran. Fliegen ist ein Medium, indem wir uns normal nicht bewegen. Damit haben wir wenig Erfahrung. Zumindest ist es für die große Mehrzahl eine unbekannte Umgebung und man muss die Kontrolle abgeben – da tun sich viele Menschen erfahrungsgemäß schwer.

Ein langer Tag geht zu Ende. Wir alle sind erschlagen, aber auch um einige Erfahrungen und Eindrücke reicher. Am nächsten Tag soll die Theorie in die Praxis umgesetzt werden: Wir fliegen von Stuttgart nach München. 25 Minuten Flugzeit – machbar. Natürlich versuchen wir die gelernten Sachen anzuwenden. Manche joggen eine Runde ums Gelände, andere versuchen es mit der Atmung, wieder andere schlendern durch die Läden in der Abflughalle. Ich weiß nicht, ob es an der Gruppe liegt, an dem kurzen Flug oder an den gelernten Sachen, aber ich bin relativ ruhig.
Fazit
Einen Monat später bin ich in den Urlaub geflogen – und hatte leider wieder Angst. So ein bisschen habe ich mir die Sachen, die ich über die Technik gelernt habe, verinnerlicht. Vermutlich hätte ich auch die Übungen besser trainieren müssen, denn wie Marianne Breuer schon sagte: In einer Stress-Situation kann man die Übungen nicht wirklich abrufen. Meditation, die richtige Atmung, progressive Muskelentspannung – das will gelernt sein. Vielleicht sollte ich auch mal wieder anfangen Sport zu machen.
Bei vielen anderen Teilnehmern des Seminars hat es wohl besser funktioniert, wie ich im Nachhinein erfahren habe. Die Zahlen sprechen auch für sich. Nahezu 80% steigen nach einem Flugangstseminar weniger ängstlich in einen Flieger.