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AUTOR/IN
Judith Schneider
Judith Schneider (Foto: SWR3)
INTERVIEW
Manuela Rid

Jessica wurde von ihrem Mann fast zu Tode geprügelt. Ihre Ehe wurde zum Alptraum. Doch mittlerweile erzählt sie ihre Geschichte, um anderen Frauen Mut zu machen. Der Weg bis dorthin war lang und schmerzhaft.

„Ich wache auch heute manchmal noch nachts auf, weil ich das Gefühl habe, ich kriege keine Luft und seine Hände noch auf meinem Hals spüren kann. Das werde ich nicht mehr los.“
Der Mann, der Jessica das angetan hat, war für 13 Jahre ihr Ehemann. Nachdem das Verhältnis zu ihren Eltern schon extrem schwierig war, stürzte sie sich in eine Beziehung mit einem Mann, der ihr das gab, wonach sie sich so sehr sehnte.

Damals, als wir uns kennengelernt haben, war ich extrem liebesbedürftig.

Sie wollte Liebe – er gab sie ihr

Für Zuneigung und Anerkennung hätte sie alles getan und ihr Ex-Mann wusste genau das auszunutzen. „Im Prinzip war ich für ihn auf dem Silbertablett. Der hat gesehen, da ist eine unsichere junge Frau, die kaum Selbstwert hat. Der muss ich nur ein bisschen was von Liebe erzählen und so tun, als wäre ich der Ritter auf dem Pferd. Also grob gesagt. Und dann habe ich die, und das hat funktioniert. Der hat mich im Sturm erobert. Das hätte mir zu denken geben müssen. Aber damals habe ich das so nicht realisiert.“ Ihr Ex-Mann hatte bereits einen Sohn mit einer anderen Frau, die versucht hat, Jessica vor ihm zu warnen. Doch sie erkannte es nicht – genauso wenig, wie die besorgten Stimmen ihrer Freunde.

Von Familie und Freunden getrennt, um den Schein zu wahren

Die ersten zwei Jahren in der Beziehung liefen noch sehr gut. Er gab sich viel Mühe, beide waren glücklich, bis er Schluss machte, erzählt Jessica. Sie kämpfte um ihn, gewann ihn zurück und weiß heute: Das war ihr allergrößter Fehler. Er sorgte dafür, dass sie sich weiter von ihren Freunden entfernte, redete das Verhältnis zu ihrer Familie noch schlechter, als es ohnehin schon war, und band sie an sich, indem er ihr vormachte, dass bei ihm alles besser sei. Er selbst war in der Feuerwehr, im Theaterverein, war Lokalpolitiker. „Da hat keiner infrage gestellt, dass er nicht der charmante, hilfsbereite Mann von nebenan ist“, erzählt Jessica.

Gewalt in ihrer Ehe: Jessica fürchtete um ihr Leben

Doch dann fängt er an, sie immer wieder zu erniedrigen. Erst mit Worten, bald darauf wird er auch körperlich gewalttätig. „Diese Gewalt ist dann immer massiver geworden. Das ist im Prinzip wie eine Spirale. Er hat einmal die Grenze überschritten. Danach war relativ lange nichts. Dann gab es ein Gespräch, wo ich nicht so reagiert habe, wie er wollte. Dann hat er eben mit Waffengewalt dafür gesorgt, dass ich ihm zuhöre.“
Schubsen und Faustschläge reichten ihm irgendwann auch nicht mehr. Er ging bis zum Äußersten, sodass Jessica um ihr Leben fürchten musste – zweimal. Womöglich hätte sie nicht überlebt, erzählt sie, wenn sie nicht plötzlich ihre einzige Chance erkannt hätte.

An dem Abend hat er das erste Mal seit Wochen die Badezimmertür zugemacht. Ich weiß nicht, ob es Sekunden oder Minuten waren. Aber das war der Zeitraum, wo ich geflohen bin. Mein Körper hat einfach den Fluchtinstinkt nach vorne gestellt, was aus heutiger Sicht auch richtig war, denn wahrscheinlich hätte er mich sonst an diesem Abend umgebracht.

Die Flucht vor ihrem Ex-Mann in ein neues Leben

Sie rannte los, ohne Schuhe, fünf bis sechs Kilometer weit, bis sie morgens um 6 Uhr ein Tagungshotel erreichte. Eine Mitarbeiterin erkannte ihre Not und gab ihr die Nummer eines Frauenhauses. Endlich war sie in Sicherheit. Sie fing an, mit einer Therapeutin die traumatischen Erlebnisse aufzuarbeiten. „Mein Körper hat sich mit allem, was er hatte, dagegen gewehrt. Ich weiß nicht, wie viele Papierkörbe ich ihr vollgespuckt habe, weil mein Körper sich einfach gewehrt hat. Ich habe Albträume gehabt, Panikattacken, Angstattacken. Ich habe ganz viele Sitzungen, kein Wort rausbekommen.“
Die Therapien waren hart, aber schlussendlich der Weg zu ihrem neuen Leben.

Das war ein sehr großer Kampf, der zweite große Kampf nach meiner Ehe. Der war mit mir selber und er musste auch sein, weil ich sonst heute nicht an dem Punkt wäre, an dem ich bin. Und das war extrem schwierig.

Jessica baute wieder ein Verhältnis zu ihrem Vater und ihrer Schwester auf. Sie wurden Teil von ihrem neuen Umfeld, auf das sie sich mittlerweile verlassen kann und in dem sie sein kann, wie sie sich fühlt.

Vergewaltigung und schwere Körperverletzung – der Prozess mit ihrem Ex

Monatelang musste Jessica immer wieder zum Prozess fahren, um gegen ihren Ex-Mann auszusagen. Er wurde nicht in jedem Punkt zur Rechenschaft gezogen, denn teils stand Aussage gegen Aussage. Er versuchte, ihr Alkoholabhängigkeit und Drogensucht zu unterstellen. Doch sie konnte alles widerlegen. Je länger der Prozess ging, desto mehr Kraft hatte sie, ihm zu zeigen, dass sie nicht mehr sein Opfer war. Am Ende wurde er wegen schwerer Körperverletzung verurteilt. „Es war keine Genugtuung. Es war, und das ist es auch heute noch, der Beleg dafür, dass ich mich ihm widersetzen konnte.“

Ihr neues Leben zwischen Albträumen und Stolz

Während manche Täter ihr Leben irgendwann einfach weiterleben können, bleibt die Gewalt für die Opfer eine lebenslange Bürde, sagt Jessica. Zwischen dem Ärger über die vielen Ungerechtigkeiten, mischt sich aber auch ein bisschen Stolz.

„Ich bin mit nichts aus dieser Ehe herausgegangen. Ich hatte nur das, was ich am Leib hatte. Und jedes Mal, wenn ich latent wütend werde über diesen Fakt, dass er einfach in diesem Leben geblieben ist, was ich erwirtschaftet habe, dann halte ich mir vor Augen: Okay, ich habe mir ein neues, eigenes Leben aufgebaut. Alles, was ich heute besitze, gehört mir. Und das ist tatsächlich viel mehr wert als irgendein Schuldspruch.“

Vom Opfer zum mutigen Vorbild für andere Frauen

Mittlerweile liegen hunderte Kilometer zwischen ihr und ihrem Ex-Mann. Es gibt nichts, was sie noch mit ihrem alten Leben verbindet. Sie hat beschlossen, mit ihrer Geschichte in die Öffentlichkeit zu gehen, um anderen Frauen zu helfen. Neben der Freude über das viele anerkennende Feedback, bleibt aber auch die Angst, von ihm gefunden zu werden. Doch Jessica ist vorbereitet und fest entschlossen.

 „Wenn er kommen sollte, wenn er reagieren sollte – was er bisher nicht getan hat – dann kämpfe ich den Kampf aus. Den werde ich auch diesmal wieder gewinnen.“

Informationen, Hilfsangebote und Anlaufstellen

(ZC = Zonta Club) Bayern: ZC Alzenau, ZC Aschaffenburg, ZC München I, ZC München II, ZC München City, ZC München Friedensengel, ZC Fränkisches Seenland, ZC Garmisch Partenkirchen, ZC Herzogenaurach, ZC Murnau-Staffelsee, ZC Bad Kissingen-Schweinfurt, ZC Würzburg, ZC Würzburg Electra, Baden-Württemberg: ZC Offenburg, ZC Freiburg-Schauinsland, Berlin: ZC Berlin Mitte, Brandenburg: ZC Potsdam, Hessen: ZC Rheingau-Rheinhessen, ZC Bad Soden-Kronber, Rheinland Pfalz: ZC Koblenz, Sachsen: ZC Leipzig, Schleswig-Holstein: ZC Lübeck, Nordrhein-Westfalen: ZC Bonn, ZC Dortmund, ZC Dortmund Phönix, ZC Essen, ZC Hamm-Unna, ZC Mönchengladbach, ZC Niederrhein, ZC Oberhausen Rheinland, ZC Siegen Area, ZC Wuppertal, Niedersachsen: ZC Leer Ostfriesland

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