Lange wurden die Mandeln bei Kindern früh entfernt, jetzt zeigen sich die Folgen von überschnellen Eingriffen. „Die operative Mandelentfernung kann später zu gesundheitlichen Nachteilen führen“, das sagt auch SWR-Medizinredakteur Jörg Wolf. „Die Mandeln in unserem Körper haben einen Sinn und ihre Entfernung im Kindesalter hat deshalb wahrscheinlich nicht nur Vorteile.“ Das hat eine neue Studie der University of Melbourne in Australien gezeigt.
Höheres Krankheitsrisiko durch Mandelentfernung
Die Studie zeigt drastische Nachteile von operativen Eingriffen zur Mandelentfernung bei kleinen Kindern, besonders wenn ihnen die Mandeln vor dem 10. Lebensjahr entfernt werden. Die Kinder, denen die Mandeln entfernt wurden, haben demnach im Erwachsenenalter (bis zum 30. Lebensjahr) ein höheres Risiko, an Entzündungen der oberen Atemwege zu erkranken. Das betrifft die Nasennebenhöhlen, den Kehlkopf sowie den Mund- und Rachenraum. Es treten häufiger Lungenentzündungen, Bronchitis, Asthma oder Grippe auf.
Was ist das genau für eine Studie?
Zu diesen Ergebnissen kamen Wissenschaftler in einer großangelegten Untersuchung: Bei fast 1,2 Millionen Dänen (alle geboren zwischen 1979 und 1999) haben sie in die Patientendaten geschaut: Wurde bei ihnen innerhalb der ersten neun Lebensjahre die Gaumen- und Rachenmandeln entfernt? An welchen Erkrankungen litten sie in den Folgejahren?
Warum wurden dänische Patienten untersucht?
Die Forscher aus Australien haben dänische Daten ausgewertet, weil im dänischen Gesundheitssystem die Krankengeschichten von Patienten relativ lückenlos dokumentiert sind. Das wäre in Deutschland so im Moment nicht möglich – denn eine vergleichbar detaillierte und lückenlose Aktenführung von Krankheitsverläufen über mehrere Jahre gibt es bei uns nicht. Vergleichbare Untersuchungen mit deutschen Patienten sind daher nicht möglich.
Wie aussagekräftig sind die Studien-Ergebnisse?
„Trotz der hohen Patientenzahlen bleibt eine gewisse Unsicherheit“, räumt unser SWR-Medizin-Experte Jörg Wolf ein. Denn es gibt verschiedene Faktoren, die in der Studie nicht einbezogen werden konnten: beispielsweise lassen sich die Einflüsse der Umwelt, rauchende Eltern oder ungesunde Ernährung nicht kontrollieren.
Beim Blick in die Zahlen hat unser Experte außerdem festgestellt, dass manche Zusammenhänge zu späteren Erkrankungen statistisch relativ schwach sind. Eventuell könnten sich diese Zusammenhänge auch anders erklären lassen. „Dass beispielsweise Asthma, Allergien und chronische Infektionen häufiger nach einer Mandel-OP auftreten, könnte auch daran liegen, dass chronisch kranke Kinder häufiger zum Arzt gehen – und ihnen dann bei einer Halsentzündung die Entfernung der Mandeln nahegelegt wird“, erklärt Jörg Wolf. Das würde heißen, dass sie auch schon vor der Operation zu diesen Erkrankungen neigten.
Und dennoch: Ein erhöhtes Krankheitsrisiko nach eine Mandel-OP ist denkbar. Deshalb sind viele Länder auch zurückhaltend, wenn es um die Empfehlung zu OP geht.
Wo sitzen eigentlich genau die Mandeln?

Wann raten die Ärzte zur Mandelentfernung?
Die ärztlichen Leitlinie der deutschen HNO-Fachärzte empfiehlt eine Operation nur Personen, die
- an häufigen Mandelentzündungen leiden (vor allem dann, wenn sie gegen Antibiotika allergisch sind).
- in den letzten 12 Monaten mindestens sechs Mandel-Infektionen hatten.
Bei bis zu drei Mandel-Infektionen rät die Leitlinie dagegen von operativen Eingriffen ab. Bei vier bis fünf Entzündungen kommt es auf den Einzelfall an.
Westpfalz-Klinikum: Infos zu Mandel-Operationen
Mandel-Operationen werden immer weniger
Bundesweit werden Mandeln heute seltener entfernt als früher. Dabei gibt es regional aber extrem große Unterschiede: In Tübingen kommen auf 10.000 Kinder im Schnitt 20 Mandel-OPs pro Jahr. In Bad Kreuznach sind es mehr als fünfmal so viele. Diese Unterschiede lassen sich nur schwer erklären.