Der bekannte Afghanistan-Beobachter Bill Roggio von der US-Newsseite Long War Journal hat in einer animierten Grafik die Eroberungen der Taliban zusammengefasst. Die beeindruckende Darstellung beginnt im April und reicht bis zum Samstag, als die Taliban die Stadtgrenzen von Kabul erreicht haben:
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Kabul: Die „Eroberung“ wirkt eher wie eine Wachablösung
Immer schneller lief der Vormarsch zum Schluss – wohl mit der Absprache unter den Gegnern, lieber auf Blutvergießen zu verzichten. Am Freitag hatten die Radikal-Islamisten unter anderem Pul-i-Alam erobert, die Hauptstadt der Provinz Logar sowie große Teile der Provinz selbst. Ergebnis: Sie standen nur noch knapp 50 Kilometer vor der Hauptstadt. Kurz darauf fiel auch der ehemalige Hauptstandort der Bundeswehr, Mazar-i-Sharif ganz oben im Norden.
„Die Belagerung wird bald beginnen“, kündigte Roggio schon da an. Doch selbst er lag falsch: keine Belagerung, kein Gefechtslärm in der Hauptstadt. Der ganze Vorgang wirkt eher wie eine Wachablösung.
Panik in Kabul
In der Hauptstadt, berichteten zahlreiche Beobachter, hatte sich in den Tagen zuvor Panik breitgemacht. Der Grund: Wo die Taliban einmarschieren, machen sie oft Jagd auf Regierungsanhänger oder Helfer fremder Armeen wie der Bundeswehr:

US-Sprecher: Afghanistans Regierung ist nicht bereit zu kämpfen
John Kirby, Sprecher des US-Verteidigungsinisteriums, hatte der agfhanischen Regierung am Freitag „fehlenden Willen zum Kampf“ vorgeworfen.
Die afghanischen Sicherheitskräfte seien den Taliban in Bezug auf Ausrüstung, Training und Truppenstärke überlegen und verfügten über eine eigene Luftwaffe, sagte Kirby. Aber: „Geld kann keinen Willen kaufen.“
Das letzte Kapitel beginnt am Donnerstag: Taliban überrennen mehrere große Städte
Spätestens am Donnerstag war klar, dass nichts mehr zu machen ist: Da überrennen die Milizen erst die Provinzmetropole Herat ganz im Westen des Landes. Nur kurz darauf wird die Einnahme Kandahars unten im Süden gemeldet. Am Freitagmorgen heißt es dann, auch Lashkar Gah im Südosten sei in der Nacht gefallen. Zuvor ist bereits Ghasni im Zentrum des Landes erobert worden. Und überall spielen sich die gleichen Szenen ab.
Afghanistan: Taliban erobern ihre alte Hauptstadt Kandahar zurück
Nach wochenlangen Kämpfen fliehen Soldaten in ihren Fahrzeugen aus der zweitgrößten Stadt des Landes.
Kurz danach patrouillieren die ersten Taliban durch die Straßen:
Kandahar ist vor allem moralisch wichtig: Hier hatte die Taliban-Bewegung Mitte der 90er Jahre ihren Anfang genommen. Hier war auch der legendäre, einäugige Taliban-Gründer Mullah Omar 1996 zum „Beherrscher der Gläubigen“ ausgerufen worden – eingehüllt in den Original-Mantel des Propheten Mohammed aus dem 7. Jahrhundert. Jetzt beherrschen seine „Schüler“, so lautet die Übersetzung des Wortes „Taliban“, die Stadt aufs Neue. Manche Experten gehen davon aus, dass die Bewegung sich seitdem ein wenig modernisiert hat.
Schiiten in Herat zittern vor dem Taliban-Einmarsch
Auch in der drittgrößten Stadt Afghanistans ist wochenlang hart gekämpft worden. Mehrmals steht die Stadt kurz vor der Einnahme. Am Donnerstagnachmittag brechen dann die Verteidigungslinien, die Truppen des Provinzfürsten Ismail Khan fliehen Hals über Kopf aus der Stadt.
Während manche Einwohner die Lage noch gar nicht verstanden zu haben scheinen, wird um sie herum bereits gekämpft:
Nur rund drei Stunden nach dieser Szene filmt einer der Taliban-Kämpfer seine Kameraden in der Zitadelle, der historischen Festung Herats aus dem 15. Jahrhundert. Sie laufen herum und inspizieren Polizeiautos, die sie dort erbeutet haben:
Besonders hart für die Menschen in Herat: Die meisten Bewohner sind Tadschiken. Viele von ihnen haben die überwiegend paschtunischen Taliban immer bekämpft. Jeder dritte Herati ist auch noch schiitisch – für die Hardcore-Sunniten unter den Taliban mehr oder weniger ein „Ungläubiger“. Sie dürften die Ankunft der Islamisten besonders fürchten.
Dann wurde auch noch der langjährige Herrscher Herats gefangen: Ismail Khan, einer der legendären Taliban-Bekämpfer der 90er und 00er Jahre.
Taliban führen berühmten Anti-Taliban-Kämpfer vor
Auf Twitter wird Khan (Mitte sitzend) am Freitag vorgeführt, wie er kleinlaut mit Taliban-Abgesandten verhandelt:
Taliban erobern Ghasni
Aus der Sicht der Kabuler Regierung vielleicht die niederschmetterndste Eroberung des Donnerstags. Der Grund: Die Stadt ist von immenser strategischer Bedeutung.
Sie liegt nur 150 Kilometer von der Hauptstadt Kabul entfernt. Ihre Einnahme gilt als wichtiger Schritt zu einer möglichen Machtergreifung in Afghanistan. Die Stadt liegt nämlich an der Straße, die Kabul mit den südlichen Provinzen verbindet: