Die Grünen-Finanzpolitikerin Lisa Paus soll neue Bundesfamilienministerin werden. Ihre Partei will die Entscheidung um 15 Uhr in einer Pressekonferenz bekanntgeben. Mit der Personalentscheidung geht ein tagelanges Rätselraten zu Ende, wer auf die zurückgetretene Ministerin Anne Spiegel folgt.
„Ich brenne für soziale Gerechtigkeit“ Lisa Paus: Wer ist die neue Familienministerin?
Sie ist 53 Jahre alt und kommt aus Rheine. Bisher war Paus Finanzexpertin der grünen Bundestagsfraktion. Was sind jetzt ihre Pläne als Familienministerin? Und: Warum schlägt ihr Herz für Alleinerziehende?
Ein Mann als neuer Minister kam für die Grünen nicht in Frage
„Es wird eine Frau werden.“ „Die andere Voraussetzung wird Kompetenz sein“, hatte Grünen-Chefin Ricarda Lang schon in den letzten Tagen gesagt. Das Amt habe sehr große Bedeutung für die Modernisierung der Gesellschaft.
Urlaub nach Jahrhundertflut: Anne Spiegel zurückgetreten
Die Flut im Ahrtal mit 180 Toten und Hunderten Verletzten wurde für Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) endgültig zum Verhängnis. Nachdem am Wochenende vor Ostern bekannt geworden war, dass Spiegel zehn Tage nach der Flut zusammen mit ihrer Familie Urlaub gemacht hatte, zog sie am Montag die Reißleine.
Ich habe mich heute aufgrund des politischen Drucks entschieden, das Amt der Bundesfamilienministerin zur Verfügung zu stellen.
Robert Habeck, Annalena Baerbock und die Partei- und Fraktionsvorsitzenden sollen Spiegel am Sonntag bei einer Krisensitzung der Grünen einen Rücktritt nahegelegt haben, berichtete die Bild. Die Ministerin habe das aber abgelehnt und stattdessen darum gebeten, noch eine Chance zu bekommen.
Noch am Sonntagabend hat sie sich für ihr Verhalten entschuldigt – in einer knapp siebenminütigen Videobotschaft:
Urlaub nach Jahrhundertflut: Was Anne Spiegel dazu sagt
Um ein besseres Verständnis für ihre Situation zu bekommen, habe sie mit einer Regel gebrochen und private Dinge erzählt, sagte Spiegel in ihrer Erklärung.
Ihr Mann habe im März 2019 einen Schlaganfall gehabt. Ihre vier Kinder hätten die Corona-Pandemie nicht gut verkraftet und sie selbst habe sich zu viele Jobs gleichzeitig aufgeladen. Das alles habe dazu geführt, dass Spiegel und ihre Familie zehn Tage nach der Flut für vier Wochen in den Urlaub gefahren sind.
Anne Spiegel: Bin im Urlaub immer erreichbar gewesen
Was Spiegel in ihrer Videobotschaft immer wieder betonte: Während ihres Urlaubs sei sie immer erreichbar gewesen, habe Telefonate geführt und sich informiert. „Wenn es irgendeinen Anlass gegeben hätte, den Urlaub abzubrechen, dann hätte ich das sofort getan“, sagte Spiegel.
Falsche Angaben in der Bild am Sonntag
Was Spiegel auch einräumte: Sie habe im Interview der Bild am Sonntag (BamS) falsche Angaben zur Teilnahme an Kabinettssitzungen während ihres Urlaubes gemacht. Anders als ursprünglich mitgeteilt, habe sie sich nicht aus dem Urlaub zu den Kabinettssitzungen zugeschaltet.
Die Sitzungen seien zwar in ihrem Kalender eingetragen gewesen. Eine Überprüfung der Kabinettsprotokolle habe aber am Sonntag ergeben, dass sie nicht teilgenommen habe. Die falschen Angaben im BamS-Interview erklärte Spiegel damit, dass sie die Fragen auf ihrer Polenreise am Wochenende zwischen Tür und Angel beantwortet habe.
Bundeskanzler Olaf Scholz wollte Spiegel nicht entlassen
Spiegels Chef, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) stand weiter zu seiner Familienministerin. „Er arbeitet eng und vertrauensvoll mit ihr zusammen“, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann noch am Montagvormittag.
Scholz habe das Statement der Grünen-Politikerin am Sonntagabend gesehen. Der Auftritt habe ihn bewegt und betroffen gemacht. Er sei persönlich sehr beeindruckt von dem Auftritt gewesen. „Was die Zusammenarbeit angeht, so schätzt der Bundeskanzler ihre Arbeit“, sagte Hoffmann.
Nachdem Spiegel nun ihren Rücktritt verkündet hat, äußerte sich der Kanzler auf Twitter:
Dreyer: Spiegel wurde im Kabinett vertreten - Opposition in RLP fordert weiter Rücktritt
Mehrere Politiker verlangten Spiegels Rücktritt
Schon vor der Erklärung der Ministerin forderte CDU-Chef Friedrich Merz die Entlassung Spiegels. Auch mehrere andere Unions-Politiker und der familienpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Martin Reichardt, verlangten Spiegels Rücktritt.
CSU-Generalsekretär Stephan Mayer blieb ebenfalls dabei: Spiegel müsse zurücktreten. „Ich glaube, auch wenn man Frau Spiegel gestern erlebt hat, ich glaube, sie tut sich selbst auch keinen Gefallen, wenn sie weiterhin darauf beharrt, im Amt zu bleiben“, sagte Mayer im Deutschlandfunk.
Die Frage sei, „ob sie ihr Amt als Bundesfamilienministerin jetzt so ausüben kann, wie es auch gerade angesichts der derzeitigen Herausforderungen erforderlich ist“.
Grünen-Politiker Lehmann steht hinter Spiegel
Rückendeckung bekam Spiegel dagegen von ihrem Parteikollegen Sven Lehmann. Der Grünen-Politiker verteidigte Spiegel auf Twitter: An ihrem Beispiel sehe man, wie menschlich Politik sein dürfe. „Politiker*innen sind Menschen. Menschen können Fehler machen oder in harten Abwägungen Entscheidungen treffen, die sie später bereuen.“
Wer in der Politik keine Maschinen will, bekommt Menschen.
Reaktionen auf Spiegel-Entschuldigung in SWR3Land unterschiedlich
Die Reaktionen auf Spiegels Entschuldigung waren in SWR3Land verschieden. Manche fanden, Spiegel hätte ihren Urlaub verschieben müssen – wie zum Beispiel Jitka4463 auf Instagram: „Augen auf bei der Berufswahl! Sie hat einen Eid geschworen und in Krisen und Notsituationen 24/7 da zu sein, wie alle Helfer, Feuerwehr, Rettungsdienst und Ersthelfer.“
Sonja schrieb aber zum Beispiel, dass sie Verständnis für den Spiegel-Urlaub habe: „Ich finde, wer weiß, was Familie bedeutet, mit drei oder vier Kindern, wird mit ihr fühlen können.“ Sie habe sich die Krankheit ihres Mannes schließlich nicht ausgesucht.
Und auch Lisi_2705 hat Verständnis für die Ministerin: „Ganz ehrlich, es steht jederzeit jeder Frau zu, die eigenen Grenzen zu setzen und zu wahren. Die wenigsten hier scheinen zu verstehen, welche Last auf einer berufstätigen Mutter mit erkranktem Mann lastet. Für mich ist sie ein richtiges Vorbild!!! ❤️ #mehrmenschlichkeitaufinstagram“
Mehr als 180 Tote nach Jahrhundertflut
Bei der Flutkatastrophe Mitte Juli 2021 sind in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen mehr als 180 Menschen ums Leben gekommen, davon 134 im Ahrtal. Rund 750 Menschen wurden in Rheinland-Pfalz verletzt und große Teile der Infrastruktur sowie Tausende Häuser zerstört. Viele Menschen leben noch immer in Not- oder Ausweichquartieren.