15. August, 2021 – überall wird seit Wochen gekämpft, Provinzhauptstädte fallen wie Kegel. Da hechtet um die Mittagszeit Präsident Aschraf Ghani mit seinen letzten Mitarbeitern in zwei Hubschrauber. Sie fliehen ohne Ankündigung nach Usbekistan. Am Nachmittag tauchen die ersten Talibankämpfer in Kabul auf.
So rasant ist Afghanistan den Taliban in die Hände gefallen:
Niederlage gegen die Taliban: Biden schiebt es auf Afghanistans Armee
Wenige Tage später sagt US-Präsident Joe Biden: „Amerikanische Truppen können und sollten nicht in einem Krieg kämpfen und sterben, den die afghanischen Streitkräfte selbst nicht zu kämpfen gewillt sind.“ Seitdem gelten afghanische Soldaten als Drückeberger.
Dieses Video zeigt die letzten Kämpfe um Kundus, das lange die Bundeswehr verwaltet hatte – aus Sicht der Taliban:
Aber sind diese Afghanen Drückeberger? Dutzende Milliarden an US-Unterstützung haben sie erhalten. Sogar eine eigene Luftwaffe haben sie aufgebaut. Doch „am Boden“ sieht es anders aus – schon seit Jahren:
Die afghanischen Sicherheitskräfte haben nach und nach das Land und die Straßen geräumt – teils „freiwillig“, nachdem einzelne Kommandanten und ihre Familien monatelang bedroht worden sind, teils unter ständigem Beschuss, manchmal auch gegen Bezahlung. Sie ziehen sie sich in die Provinzhaupstädte zurück. Da sind schon rund 70.000 ihrer Kameraden gefallen.
Aus Mopedkriegern sind Kommandoeinheiten geworden
Doch der Taliban-Vormarsch nimmt 2020 gerade erst richtig Fahrt auf: Gespickt mit Geld aus Pakistan, dem Iran und Russland sind sie bestens ausgerüstet. Die ehemaligen „Mopedkrieger“ haben jetzt auch eigene Spezialeinheiten wie die „Badri 313“, die komplexe militärische Aufgaben lösen können.
Den afghanischen Sicherheitskräften steht gleichzeitig immer weniger zur Verfügung: 2021 ist die US-Luftwaffe weg und fliegt nur noch sporadisch Angriffe aus dem Ausland.
Eine eigene Luftwaffe hat Afghanistan zwar. Doch die ist von US-Technikern gewartet worden. Da die jetzt auch weg sind, fliegt bald nichts mehr. Und Biden hat ultimativ angekündigt, bis zum 11. September alle Soldaten abzuziehen – so oder so.
„Sie rufen wegen Nachschub an, aber es geht keiner mehr ran“
So geht es weiter bergab: Anfang Juli 2021 sind die Städte nur noch kleine, bedrohte Inseln in einem Meer, das von den Taliban kontrolliert wird. Verwundete können nicht mehr evakuiert werden, Munition und Verpflegung kommen auch nicht mehr.
„Sie rufen wegen Nachschub an, aber es geht keiner mehr ran“, beschreibt ein deutscher Sicherheitsexperte, der nicht genannt werden will, ihre Lage. Dass die Armee einfach weggelaufen sei, wie oft kolportiert werde, stimme nicht.
Zuletzt dringen die Taliban heimlich in die Städte ein
Und auch in die Städte dringen ihre Kämpfer ein: inkognito und mit kleinen Stoßtrupps, die sich privat einnisten und irgendwann in den Straßen erste Scharmützel anzetteln – eine Technik, die sie in den Jahren zuvor geübt hätten, sagt Militärexperte Antonio Giustozzi.
Der Italiener gilt international als Fachmann für die Kriegsführung der Taliban. Er bestätigt, dass die Armee kaum eine Chance hatte.
Giustozzi hat erforscht, wie sich die Taliban mit der Unterstützung ihrer internationalen Helfer immer mehr professionalisiert haben und glaubt: Den afghanischen Soldaten seien viele ihrer Einheiten zuletzt weit überlegen gewesen.
Letzte Bastion des afghanischen Staates: die Polizeistation
Am Ende müssen sich die Sicherheitskräfte regelmäßig in Polizeistationen und Regierungssitze zurückziehen – sie sind die letzten Stellungen des afghanischen „Staatsgebietes“.
Manchmal kommt dann doch noch Hilfe: Mit den letzten funktionierenden Helikoptern werden erschöpfte afghanische Eliteeinheiten von Einsatz zu Einsatz geflogen. Doch auch sie können nicht überall zugleich sein.
So fallen auch die Provinzhauptstädte eine nach der anderen. Spätestens ab Anfang August sind es zwei bis drei pro Tag. Bis die Taliban tatsächlich in Kabul stehen. Das „Emirat 2.0“ beginnt.