Am Freitag war die erste Ballett-Premiere ohne Marco Goecke. Doch es war auch das erste Mal, dass sich das Ballett-Ensemble öffentlich positioniert hat. Denn nachdem der Vorhang gefallen war, kamen einige Tänzer und Tänzerinnen des Ballett-Ensembles der Staatsoper Hannover nochmal auf die Bühne und lobten den ehemaligen Ballett-Chef.
Er ist der Künstler, der uns aus 17 verschiedenen Nationen hier in Hannover zusammengebracht hat. Und der Künstler, der in diesem Theater unbestrittene Meisterwerke geschaffen hat.
Das Publikum applaudierte. Da nach der Hundekot-Attacke einige Balletthäuser Goeckes Stücke absetzten, bedankte sich das Ensemble bei Laura Berman, der Intendantin der Staatsoper Hannover, dass sie keine zensierenden Maßnahmen vorgenommen hätte.
Wie der NDR schreibt, sagten die Tänzer in Richtung Publikum, die gesamte zeitgenössische Tanzszene hätte unter dem Verlust der Werke eines „der größten Choreografen unserer Zeit gelitten – wegen des einzigen Fehlers“.
Was war passiert?
Ein Samstagabend im Februar: Der Ballettabend „Glaube – Liebe – Hoffnung“ feiert an der Staatsoper Hannover Premiere. Es ist gerade Pause nach dem ersten Stück. Im Foyer begegnen sich Marco Goecke, Chefchoreograph und Direktor des Staatsballetts Hannover, und Wiebke Hüster, Tanzkritikerin bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ).
Goecke drohte Journalistin mit Hausverbot
Laut der Zeitung attackierte Goecke die Journalistin zunächst verbal. Demnach habe sich der Ballettchef Hüster in den Weg gestellt, um sie zu fragen, was sie in der Premiere zu suchen habe. Er habe ihr mit Hausverbot gedroht und sie für Abo-Kündigungen verantwortlich gemacht.
Nach Goeckes Schilderung gegenüber dem NDR sei er zu ihr gegangen, um mit ihr über ihre Kritiken zu sprechen. Sie seien sich zum ersten Mal persönlich begegnet. „Ich bin ein Mensch“, habe er zu ihr gesagt. Ihre Reaktion sei „aggressiv, arrogant, herablassend“ gewesen, so Goecke.
Hundekot-Attacke ins Gesicht
Dann eskalierte die Konfrontation: Goecke habe dann eine Tüte mit Hundekot aus der Tasche gezogen und diese Hüster mit der offenen Seite ins Gesicht gerieben, wie die Geschädigte am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur berichtete. Hüster habe Anzeige erstattet. Die Polizei ermittelt nun wegen des Verdachts der Körperverletzung und Beleidigung.
Mich hat es sehr erstaunt, denn Tanz ist ja eine hochästhetische Kunstform. Und das Mittel des Kotes steht dazu in totalem Kontrast. Auf mich, wenn ich spekulieren dürfte, macht es den Eindruck, als ob bei Marco Goecke die Sicherung durchgebrannt ist.
Staatsoper trennt sich von Ballettchef Goecke
Der Vertrag mit Ballettdirektor Marco Goecke sei mit sofortiger Wirkung und im gegenseitigen Einvernehmen aufgelöst worden, sagte Intendantin Laura Berman. Goecke sei aufgrund seines Fehlverhaltens als Führungskraft nicht mehr tragbar. Zuvor hatte ihn die Staatsoper suspendiert. Seine Stücke sollen aber weiter in Hannover aufgeführt werden, so Berman.
Goecke entschuldigt sich bei FAZ-Kritikerin Hüster
„Ich möchte mich bei allen Beteiligten, an erster Stelle bei Frau Hüster, für meine absolut nicht gutzuheißende Aktion aufrichtig entschuldigen“, steht in einem Statement, das das Management des Ballettdirektors Marco Goecke veröffentlicht hat. Und weiter: „Im Nachhinein wird mir klar bewusst, dass dies eine schändliche Handlung im Affekt und eine Überreaktion war.“
In seinem Statement bittet er aber auch „um ein gewisses Verständnis zumindest für die Gründe, aus denen dies geschehen ist“. Laut Goecke lag es an der „nervlichen Belastung zweier kurz aufeinanderfolgender Premieren (9.2. Den Haag, 11.2. Hannover)“. Er warf der Journalistin Wiebke Hüster von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) erneut vor, „oft gehässige Kritiken“ zu schreiben. Die Kulturkritik müsse sich trotz der geltenden Pressefreiheit fragen, „wo sie die Grenze zur Beleidigung, Verunglimpfung der Werke, zum Mobbing, zum Versuch negativer Meinungsmache und zur Geschäftsschädigung verletzt“.
Hüster schockiert über Goeckes Entschuldigung
Hüster hatte über den von ihm choreographierten Ballettabend in Den Haag geschrieben. Sie sagte, vor der Attacke habe der Ballettchef ihr vorgeworfen, Kritiken mit persönlichen Angriffen zu schreiben. Zwei der neun Kritiken, die sie in der Vergangenheit über Goeckes Stücke geschrieben hatte, seien „überschwänglich positiv“ gewesen, sagte Hüster im 3sat-Magazin Kulturzeit.
Goeckes Entschuldigungsstatement habe ihr nochmal einen Schock versetzt. Da heiße es am Anfang, er wolle sich entschuldigen, – „aber dann schaltet er sofort um und verstärkt die Vorwürfe, die er ohnehin gegen mich erhoben hat, nochmal“.
Was für eine Art von Entschuldigung soll denn das bitte sein? Das ist eine Rechtfertigung. Plus: Wir reden hier über einen Straftatbestand. Das ist Beleidigung und Körperverletzung.
Goeckes erste Äußerung zur Hundekot-Attacke
Bereits in einem ersten offiziellen Statement von Marco Goecke wurde klar: Er fühlte sich verletzt und persönlich angegriffen von der wiederholten Kritik der Tanzexpertin Wiebke Hüster an seinen Stücken. Mit nachvollziehbarer Kritik könne er umgehen. Der von ihm angegriffenen Journalistin wirft er eine Vernichtungskritik vor.

Nachrichten Goecke: „Kein hart arbeitender Mensch würde sich das auf Dauer gefallen lassen“
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Goecke: „Kein hart arbeitender Mensch würde sich das auf Dauer gefallen lassen“
Warum Goecke Hundekot dabei hatte, erklärt er so:

Nachrichten Goecke über seinen Dackel
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Goecke über seinen Dackel
„Die Wahl der Mittel“ sieht Goecke selbst kritisch:
Hundekot-Attacke: „Einschüchterungsversuch“ und „Attacke auf die Pressefreiheit“
Der Landesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) Niedersachsen, Frank Rieger, sieht den Vorfall als „Attacke auf die Pressefreiheit“ und forderte eine „deutliche Reaktion der Verantwortlichen“:
Auch die FAZ findet deutliche Worte für den Angriff auf ihre Journalistin:
Aber wir, das Feuilleton dieser Zeitung, werten den demütigenden Akt über den Tatbestand der Körperverletzung hinaus auch als einen Einschüchterungsversuch gegenüber unserer freien, kritischen Kunstbetrachtung. Goeckes Grenzüberschreitung offenbart das gestörte Verhältnis eines Kunstschaffenden zur Kritik.