Mehrere Frauen beschuldigten Rammstein-Sänger Till Lindemann, sich nach oder während Konzerten übergriffig verhalten zu haben. Die Staatsanwaltschaft Berlin nahm wegen eines Anfangsverdachts Ermittlungen auf. Diese wurden jetzt alle eingestellt.
- Ermittlungsverfahren eingestellt
- Vorwürfe gegen Rammstein: Was ist passiert?
- So reagieren Till Lindemann und Rammstein auf die Vorwürfe
- Bericht über neue Vorwürfe gegen Rammstein
Staatsanwaltschaft Berlin stellt alle Ermittlungen ein
Die Berliner Staatsanwaltschaft begründet ihre Entscheidung in ihrer Pressemitteilung wie folgt:
Hinzu käme, dass mutmaßliche Geschädigte sich bislang nicht an die Strafverfolgungsbehörden gewandt hätten, sondern ausschließlich und auch nach Bekanntwerden des Ermittlungsverfahrens an Journalistinnen und Journalisten.
Reporterin Oda Tischewski vom RBB Inforadio erklärt, warum die Staatsanwaltschaft trotz möglicher Verdachtsmomente keine Anklage erhebt:
Lindemann-Anwalt sagt: „An den Anschuldigungen war nichts dran“
Auch das Verfahren gegen Alena M. – die Frau, die mehrere Jahre lang Frauen für Lindemann rekrutiert haben soll, wurde eingestellt, so die Staatsanwaltschaft in ihrer Mitteilung.
Lindemanns Anwalt Björn Gercke sieht sich erwartungsgemäß bestätigt: „Die rasche Einstellung des gegen meinen Mandanten geführten Ermittlungsverfahrens belegt, dass die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft keine Beweise bzw. Indizien zutage gefördert haben, um meinen Mandanten wegen der Begehung von Sexualstraftaten anklagen zu können. An den Anschuldigungen war schlichtweg nichts dran.“
Außerdem kritisiert er nochmal das, was er als Vorverurteilung seines Mandanten in den sozialen Netzwerken und in den Medien ansieht. Dagegen werde man auch weiterhin vorgehen.
Heftige Anschuldigungen gegen Rammstein: Was ist passiert?
Am 23. Mai erhob die junge Irin Shelby Lynn auf ihrem Instagram-Kanal Vorwürfe gegen die Band und insbesondere gegen Sänger Till Lindemann.
Lynn berichtet, sie sei vor dem Konzert von einer Agentin der Band angesprochen worden. Diese habe sie zur sogenannten „Row Zero“ direkt vor der Bühne und zu einer anschließenden Party eingeladen – offenbar ein normaler Vorgang, wie es mittlerweile heißt.
Lynn habe extra gefragt, ob es dabei um Sex gehe. Das sei aber verneint worden. Sie und andere Frauen hätten dann in der Konzertpause hinter die Bühne zu Lindemann und den anderen Bandmitgliedern gehen dürfen.
Nach Backstage-Besuch bei Rammstein: Filmriss und blaue Flecken
Später sei sie in einem separaten Raum gelandet, wo Lindemann sie gefragt habe, ob sie Sex mit ihm wolle. Als sie abgelehnt habe, sei er agressiv geworden, habe die Ablehnung aber akzeptiert.
Es seien Drinks verteilt worden, nach denen es ihr schlecht ging: Sie habe Erinnerungslücken und ihr Körper sei am nächsten Morgen voller blauer Flecken gewesen, von denen sie nicht gewusst habe, wo sie herkamen. Man sieht sie auf den Fotos auf dem Instagram-Account weiter oben. Ob sie misshandelt wurde oder vielleicht hingefallen ist, könne sie nicht sagen.
Am 30. Mai twitterte Lynn, sie habe einen fünfstündigen Videocall mit der litauischen Polizei gehabt und ihre Aussage aufnehmen lassen. Der Polizei wirft sie vor, sie zunächst abgewimmelt zu haben. Allerdings sei ein Drogentest am nächsten Tag negativ gewesen.
Ende Juni teilte die Justiz in Litauen dann mit, dass sie keine Ermittlungen aufnimmt. Bei einer Prüfung „keine objektiven Tatsachenbeweise“ ermittelt, die belegen würden, dass die Frau körperlicher oder seelischer Nötigung oder anderen Gewalttaten sexueller Natur ausgesetzt war oder dass sie zum Gebrauch von Betäubungsmitteln gezwungen oder bestohlen wurde.
Lynn war sich unter anderem sicher, dass sie Drogen oder K.O.-Tropfen bekommen hat. Auf ihrem Tequila habe jedenfalls eine Art „Schaum“ geschwommen.
Die Anwaltskanzlei „Schertz Bergmann“, die Lindemann vertritt, berichtete, sie habe die Fotos dem Institut für Rechtsmedizin der Uniklinik Köln gezeigt. Die Experten dort gingen anhand der Bilder nicht von einer Fremdeinwirkung aus.
Shelby betonte: Lindemann hat mich nicht vergewaltigt
Eine Woche nach dem Konzert hatte Lynn auf Twitter deutlich hervorgehoben, dass Lindemann sie nicht angerührt oder vergewaltigt hat:
Das sagt Kayla Shyx im Video zu den „Rammsteinpartys“
In ihrem Youtube-Video „Was wirklich bei Rammstein Afterpartys passiert“ (5. Juni) berichtete auch Influencerin Kayla Shyx von ihren Erfahrungen. Darin erzählte sie, was sie anscheinend bei einem Rammstein-Konzert am 4. Juni 2022 auf einer der sogenannten Aftershowpartys erlebt habe.
Eine Frau soll Kayla und ihre Begleitung in einer Konzertpause angesprochen und sie gefragt haben, ob die beiden auf die Afterparty kommen wollen. Die beiden seien laut Kayla nicht zur normalen Afterparty gebracht worden, sondern zusammen mit anderen jungen Frauen in einen extra Raum. Alle hätten ihre Handys abgeben müssen, erzählt Kayla. Ihnen soll von der Frau gesagt worden sein, dass sie in dem Raum unter anderem auf Rammstein-Sänger Till Lindemann warten sollten.
Kayla erzählte weiter, dass sie sich nicht wohlgefühlt habe und deshalb den Raum mit ihrer Begleitung wieder verlassen habe. Ihr selbst sei dort also nichts passiert.
Zahlreiche Frauen erheben ähnliche Vorwürfe gegen Lindemann
Und es sind nicht nur Shelby Lynn und Kayla Shyx, die Vorwürfe erheben. NDR und Süddeutsche Zeitung haben mit einem Dutzend Frauen gesprochen, die sagen, sie hätten Ähnliches erlebt.
Hier die Zusammenfassung von NDR-Reporter Benedikt Strunz von Anfang Juni:
Rammstein-Sänger Till Lindemann lässt Vorwürfe durch Anwälte zurückweisen
Rammstein-Sänger Till Lindemann, der seine Interessen nun von Anwälten vertreten lässt, ließ am 8. Juni verkünden, dass er alle Vorwürfe gegen ihn zurückweise. „In den sozialen Netzwerken, insbesondere auf Instagram, Twitter und bei Youtube, wurden von diversen Frauen schwerwiegende Vorwürfe zulasten unseres Mandanten erhoben“, heißt es darin.
Die Anwälte kündigten juristische Konsequenzen an. „Wir werden wegen sämtlicher Anschuldigungen dieser Art umgehend rechtliche Schritte gegen die einzelnen Personen einleiten.“
Rammstein-Management wies erste Vorwürfe bereits zurück
Die erste Reaktion von Rammstein, die sich noch ausschließlich auf die Vorwürfe Lynns bezog, lautete am 28. Mai sinngemäß: alles nicht wahr. Es gebe auch keine entsprechende Anzeige.
Band bittet, nicht vorverurteilt zu werden
Am 3. Juni hatte sich die Band auf Instagram mit einem Statement zu den bis dahin bekannt gewordenen Vorwürfen gemeldet, die sich in den Tagen zuvor massiv zugespitzt hatten. Im Post der Band heißt es, man nehme die Vorwürfe „außerordentlich ernst“:
Es sei ihnen wichtig, dass sich ihre Fans sicher fühlen. Gleichzeitig bitten Rammstein darum, nicht vorab zu urteilen – weder über die Frauen, die Anschuldigungen erhoben haben, noch über sie selbst.
Hier findet ihr das komplette Statement:
Vorwürfe gegen Till Lindemann: „Es gibt eine Vielzahl an Berichten, die sich ähneln“
Erster Rammstein-Musiker nimmt Stellung
Mitte Juni hatte sich zum ersten Mal ein Rammstein-Mitglied zu den Vorwürfen geäußert: Christoph Schneider, Schlagzeuger der Band. Er schreibt auf Instagram, es seien Dinge geschehen, die finde er „persönlich nicht in Ordnung“. Das ganze Statement könnt ihr hier lesen:
Christoph Schneider schreibt auf Instagram, strafrechtlich Relevantes wie der Einsatz von K.O.-Tropfen seien seiner Meinung nach wohl nicht geschehen. Aber: „Und trotzdem sind anscheinend Dinge passiert, die – wenn auch rechtlich ok – ich persönlich nicht in Ordnung finde.“ Die Anschuldigungen der letzten Wochen hätten die Band insgesamt und Schneider selbst tief erschüttert. Es sei ein Auf und Ab der Emotionen.
Alles, was er von den Partys mitbekommen habe, sei gewesen, dass erwachsenen Menschen miteinander feierten. Allerdings seien Strukturen gewachsen, die über die Grenzen und Wertvorstellungen der restlichen Bandmitglieder hinausgingen.
Universal Music legt Zusammenarbeit mit Rammstein erstmal auf Eis
Das Plattenlabel Universal Music Entertainment schränkt seine Zusammenarbeit mit Rammstein vorerst ein. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe habe man die Marketing- und Promotion-Aktivitäten für die Recordings der Band bis auf Weiteres ausgesetzt, heißt es in einem Statement des Labels von Mitte Juni.
Die Geschäftsbeziehungen mit der Band umfassen laut Universal das sogenannte Recorded-Music- und Publishing-Business, nicht aber das Live- oder Merchandising-Geschäft.
Bericht über neue Vorwürfe gegen Rammstein
Ein Rechercheteam von NDR und Süddeutscher Zeitung (SZ) berichtete im Juli über neue Vorwürfe gegen Mitglieder der Band Rammstein – diesmal auch gegen den Keyboarder Christian „Flake“ Lorenz.
Zwei weitere Frauen schildern im Gespräch mit NDR und SZ mutmaßliche sexuelle Übergriffe im Zusammenhang mit der Band.
Eine SWR3-Anfrage zu den neuen Vorwürfen blieb von Rammstein unbeantwortet. Wie bisher gilt die Unschuldsvermutung.
Sollten sich die Fälle so zugetragen haben, wie die beiden Frauen sie schildern, dann könnten das mögliche Straftaten sein. Und die wären dann voraussichtlich nicht verjährt, erklärte Elena Kuch vom Rechercheteam im Interview mit SWR3 am 17. Juli: