Wir in Deutschland sind weit weg von der Erdbebenkatastrophe in der Türkei. Und doch haben wir eine Ahnung davon bekommen, welche unbeschreibliche Naturgewalt dort gewütet hat. Istanbul droht auch solch eine Katastrophe.
Die Millionenstadt könnte laut Fachleuten jederzeit betroffen sein, denn die Erdplatten dort drängen gegeneinander, verhaken sich und entladen die Energie immer wieder. Nur 15 Kilometer von Istanbul entfernt verläuft am Grund des Marmarameeres eine geologische Störungszone. Hier schiebt sich die Anatolische Platte seitwärts entlang der Eurasischen Kontinentalplatte. Viel Spannung baut sich also vor Istanbul auf. Der angesehene Geologe Celal Sengör warnt die Bevölkerung: „Ziehen Sie weg aus dem Zentrum!“
Istanbuls Angst vor dem großen Beben
Erdbeben in Istanbul – „Wir haben ein mulmiges Gefühl“
Karin Senz lebt seit 2017 als ARD-Auslandskorrespondentin in Istanbul. In SWR3 NOW beschreibt sie im Gespräch mit SWR3-Moderatorin Nicola Münterfering, wie sich das Leben auf einer tickenden Zeitbombe anfühlt. Immer in ihrer Nähe liegt jetzt ein Rucksack, „der heißbegehrte Erdbeben-Rucksack, in dem so die wichtigsten Dinge drin sind, was zu essen, bisschen Wasser, Kleidung“.
Außerdem achtet man tatsächlich jetzt immer darauf, dass man seine Schuhe neben dem Bett stehen hat, um nicht barfuß in irgendwelche Scherben treten zu müssen.
Karin Senz berichtet, dass sie und ihre Freunde versuchen, sich auf das große Erdbeben vorzubereiten: „Wir überlegen uns Fluchtwege aus den Wohnungen, wenn sie denn noch stehen, oder wo in der Wohnung möglicherweise ein sicherer Ort wäre.“ Große Sorge und Unbehagen bereitet es den Istanbulern, dass die Stadt so eng bebaut ist. Das sagt auch Karin Senz:
Diese gemütlichen kleinen Gassen hier. Die sind bei einem Erdbeben einfach fatal, weil man überhaupt keinen freien Raum mehr hat, wo einem nicht irgendein Gebäude sozusagen auf den Kopf stürzen könnte, wenn man es denn nach draußen geschafft hat.
Was hat sich geändert seit dem letzten Erdbeben in der Türkei?

Nachrichten Karin Senz über das Leben mit Erdbebengefahr in Istanbul
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Karin Senz über das Leben mit Erdbebengefahr in Istanbul
Wann kommt ein Erdbeben in Istanbul? Bürgermeister warnt vor „riesiger Gefahr“
Auch der Bürgermeister Ekrem Imamoglu sagt, man wisse, dass Istanbul eine riesige Gefahr droht. In der Metropole seien rund 90.000 Gebäude gefährdet, auch weil die Bauvorschriften oft nicht eingehalten würden.
Istanbul droht also sicher ein schweres Erdbeben. Fachleute sind sich einig: Die Frage sei nicht ob, sondern lediglich wann es Istanbul trifft. Eine Stärke von über 7,0 gilt als wahrscheinlich. Nach Schätzungen sind bis zu 1,6 Millionen Häuser in der Stadt nicht erdbebensicher.
Das beschreibt auch ARD-Auslandskorrespondentin Karin Senz:
All das sind Probleme, die allen jetzt echt wirklich durch den Kopf gehen. Ganz viele Häuser sind nicht erdbebensicher. Die halbe Stadt neu aufbauen geht nicht. Aber ein Bekannter von mir beispielsweise, der besitzt in Istanbul zwei kleine Wohnungen, und die will er jetzt verkaufen. Und dann will er seine Sachen packen und aufs Land ziehen, weil er sagt, ich möchte nicht in einem mehrstöckigen Haus in Istanbul leben.
Kann man ein Erdbeben vorhersagen?
Karin Senz beschreibt das mulmige Gefühl, wenn man in die U-Bahn in Istanbul steigt, denn eine davon führt direkt unter dem Bosporus durch.
Natürlich ist es im Moment nicht das beste Gefühl. Auf der anderen Seite möchte man sich nicht stundenlang in den Verkehr in einen Bus stellen. Und deswegen wählt man im Zweifelsfall dann doch die U-Bahn und verdrängt eben einfach diese Gefahr des Erdbebens.

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Karin Senz über das Leben mit Erdbebengefahr in Istanbul
Wegen Erdbebengefahr: Gebäude in Istanbul werden untersucht
Der Zustand vieler Gebäude in Istanbul wird in einer groß angelegten Aktion untersucht werden. Wie zum Beispiel im besonders erdbebengefährdeten Stadtteil Bakirköy, auf der europäischen Seite. Hier stehen viele ältere Gebäude neben Neubauten.
Istanbul: Ansturm auf Ausrüstung für Ernstfall
Alles, was im Extremfall benötigt werden könnte, steht gerade hoch im Kurs. Yunus Enre Can betreibt einen Outdoorladen. Gekauft werden Trillerpfeifen, Stirnlampen und vor allem Schlafsäcke. Und Zelte: „Familien bevorzugen zumeist ein großes Zelt für mindestens vier Personen. Aber manche kaufen auch größere Zelt, in denen bis zu acht Personen oder Gegenstände Platz haben“, sagt Can. Viele Artikel seien aber schon ausverkauft.