Die Berliner Staatsanwaltschaft sieht bei den Aktivisten der „Letzten Generation“ keine strafrechtliche Verantwortung für den Tod einer Radfahrerin nach einem Unfall. Die Frau war am 31. Oktober von einem Betonmischer überrollt worden und wenige Tage später im Krankenhaus gestorben. Bereits kurz nach dem Unfall war die 44-Jährige für hirntot erklärt worden.
Stau durch Klimaproteste: Rettungskräfte steckten fest
Klimaaktivisten hatten sich auf der Berliner Stadtautobahn A100 festgeklebt, es gab einen Stau, ein Spezial-Rettungsfahrzeug der Feuerwehr kam deshalb stark verspätet an der Unfallstelle an. „Die Rettung hat sich dadurch zeitlich verzögert“, sagte Feuerwehrsprecher Rolf Erbe der dpa. Allerdings räumte er ein, auch die Bildung einer Rettungsgasse sei problematisch gewesen. Dadurch sei es zu Zeitverzögerungen gekommen.
So funktioniert die Rettungsgasse
Staatsanwaltschaft: Keine Anklage wegen Tötungsdelikts
Laut einem internen Vermerk der Feuerwehr hatte die eingesetzte Notärztin allerdings ohnehin entschieden, kein Spezialfahrzeug zur Bergung der Frau einzusetzen. Die Notärztin selbst wurde demnach nicht durch die Blockade aufgehalten.
„Nach dem Ergebnis der Ermittlungen führte die Straßenblockade tatsächlich zu einer zeitlichen Verzögerung von drei Minuten bei einem Einsatzleiterfahrzeug und von acht Minuten bei dem Rüstwagen“, erklärte die Staatsanwaltschaft jetzt. „Auf deren Eintreffen kam es aber nicht an.“ Die Entscheidung der Notärztin, eine sofortige Rettung durch Wegfahren des Lasters einzuleiten und nicht auf den Bergewagen zum Anheben des Betonmischers zu warten, sei korrekt gewesen.
Zudem ergab die Obduktion, dass die Fahrradfahrerin durch den Unfall mit dem Betonmischer bereits so schwere Verletzungen erlitten hatte, dass ihr Leben ohnehin nicht mehr hätte gerettet werden können.
Gegen die beiden 60 und 63 Jahre alten Aktivisten werde keine Anklage wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts erhoben. Verantworten müssen sie sich aber wegen Nötigung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte.
„Letzte Generation“: „Hetze und Unwahrheiten gegen uns“
Die Klimaschutzgruppe „Letzte Generation“ hatte nach dem Vorfall eine Stellungnahme abgegeben und bedauert, dass sie schuld am verspäteten Eintreffen der Feuerwehr am Unfallort sein könnte. „Bei all unseren Protestaktionen ist das oberste Gebot, die Sicherheit aller teilnehmenden Menschen zu gewährleisten. Das gilt selbstverständlich auch für alle Verkehrsteilnehmer:innen“, schrieb die Gruppe auf ihrer Homepage.
Gleichzeitig kritisierten die Aktivisten die „Welle der Vorwürfe, Unwahrheiten und Hetze“ gegen sich. In einem Statement auf ihrer Website schreiben sie, es sei Zeit, „eine Grenze zu ziehen“.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Dass die Radfahrerin im Straßenverkehr verunglückt ist, ist furchtbar. Wir sind bestürzt und in Trauer. Doch es ist an der Zeit, eine Grenze zu ziehen.
Die Medien würden den Unfall der Radfahrerin „instrumentalisieren“. Endlich sei „ein Aufhänger gefunden, unseren friedlichen Protest durch den Dreck zu ziehen“.
Klimaaktivisten schildern Unfall und Situation in Berlin
Der Unfall der Radfahrerin habe mehrere Kilometer von den Aktionsorten der Aktivisten stattgefunden, so die Aktivisten in ihrem Statement. Während die Mitglieder sich auf einer Schilderbrücke befanden, habe die Polizei darunter den Verkehr selbstständig geregelt. „Wir haben in all unseren Protesten immer eine Rettungsgasse“, schreiben die Aktivisten weiter.
Die Gruppe „Letzte Generation“ hatte ihre Protestaktion vor dem Unfall noch auf Twitter angekündigt. Wir sind „wieder auf den Straßen Berlins - #FürAlle!“, schrieb die Gruppe.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat ein härteres Vorgehen oder gar ein Verbot der Klimaaktivisten „Letzte Generation“ gefordert. Angesichts des Unfalls der Radfahrerin in Berlin müsse schnell geklärt werden, wie lange sich der Rechtsstaat noch nötigen lassen wolle, sagt der GdP-Vorsitzende Jochen Kopelke der dpa. „Der Protest der Aktivisten läuft zusehends aus dem Ruder. Wir finden, es reicht.“
Klimaproteste behindern Verkehr: Kritik aus der Politik
Auch aus der Politik gab es scharfe Kritik. Die SPD-Politikerin Katja Mast nannte Teile der Klimaproteste „demokratiefeindlich“. „Unsere Demokratie funktioniert nicht so, dass ich meine persönlichen Ziele im Namen der guten Sache mit jedem Mittel durchsetzen kann“, sagte sie dem Spiegel.
„Klimaproteste dürfen keine Menschen in Gefahr bringen“, hat auch Berlins Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) gesagt. Wenn das so gewesen sei, dann sei das „schlicht entsetzlich“ und dürfe nicht wiederholt werden.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sagte in einem auf Twitter veröffentlichten Statement, dass Demonstrieren zum demokratischen Rechtsstaat gehöre, aber „ein guter Zweck heiligt nicht die Mittel“.
Zwillingsschwester mit Appell an „Letzte Generation“
In einem Interview mit dem Spiegel appellierte die 44-jährige Zwillingsschwester der getöteten Radfahrerin an die Klimagruppe, ihre Protestmethoden zu überdenken. Die Aktivisten der „Letzten Generation“ müssten sich fragen, „ob es nicht vielleicht doch einen anderen Weg gibt, für das Überleben unseres Planeten zu kämpfen, ohne dass andere Menschen möglicherweise zu Schaden kommen“, sagte sie dem Spiegel.
Es verletze sie sehr, „wie ignorant einige Klimaaktivisten den Tod von Menschen in Kauf nehmen, die sich unter Umständen selbst für Umweltschutz und andere Menschen einsetzen“.
Schwester der getöteten Radfahrerin unterstützt Klimaschutz
Aber sie sagte in dem Interview auch: „Meine Schwester und ich teilen die Ziele der Bewegung zu 100 Prozent.“ Sie habe auch kein Verständnis für die extremen Forderungen nach härteren Strafen für Straßenblockaden. Außerdem kritisierte sie die Vergleiche der „Letzten Generation“ mit der RAF und den präventiv polizeilichen Gewahrsam für zwölf Klimaaktivisten in München.
Ich bin jemand, der den sanfteren Mittelweg und ein Miteinander sucht, ohne Fronten zu verhärten, um Probleme zu lösen.
Klimaaktivisten in München 30 Tage in Polizeigewahrsam – als Vorsorge
Nach zwei Festklebeaktionen in München mussten zwölf Klimaaktivisten für 30 Tage in Polizeigewahrsam bleiben – also quasi vorbeugend, ohne Prozess. Sie hatten sich mehrmals auf Straßen festgeklebt und weitere Aktionen angekündigt.
Dieser lange „präventiv polizeiliche Gewahrsam“ ist ein großer Ausnahmefall, bestätigte ein Polizeisprecher der Nachrichtenagentur dpa. Eine solche Maßnahme darf laut Polizeiaufgabengesetz (PAG) nur dann erlassen werden, wenn dies unerlässlich ist, um die „unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder einer Straftat zu verhindern“.
Das PAG ist in Bayern heftig umstritten. Im Raum steht die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Die Grünen im Bayerischen Landtag fordern generell eine Maximaldauer der Präventivhaft von 14 Tagen. Der BR berichtet ausführlich darüber.
Unbekannter greift Betonmischerfahrer mit Messer an
Während des Unfalls kam es noch zu einem anderen Vorfall: Während sich Rettungskräfte um die verunglückte Frau kümmerten, griff ein Unbekannter den 64-jährigen Fahrer des Betonmischers mit einem Messer an. Anschließend floh der Angreifer vom Unfallort. Der 48-jährige Obdachlose wurde festgenommen und aufgrund einer paranoiden Schizophrenie vorläufig in einer Psychiatrie untergebracht. Im März wurde seine dauerhafte Unterbringung angeordnet. Ein Verfahren gegen den Fahrer des Betonmischers begann hingegen noch nicht.