Olympia ist vorbei, aber die Debatte reißt nicht ab: Wie geht es Saint Boy, dem Fünfkampf-Pferd? Und ist Fünfkampf nach aktuellen Regeln grundsätzlich Tierquälerei? Wir wollen in dieser wichtigen, aber stellenweise sehr hitzigen Diskussion sachliche Einordnungen geben.

SWR3-Redakteur Klaus Sturm, Fachmann für Reitsport, ordnete bereits direkt nach den erschreckenden Szenen ein:

Das war sicher nicht 'horsemanship' vom Feinsten, aber eben eine Ausnahmesituation, die niemandem zu wünschen ist; nicht dem Pferd und nicht der Reiterin. Meiner Meinung nach wurde der größte Fehler schon viel früher gemacht: Als die Veranstalter Saint Boy für das Springen im Modernen Fünfkampf bereitgestellt hatten.

Bei SWR3 merken wir, dass die Diskussion euch immer noch wirklich umtreibt, die Nachfragen insbesondere in den sozialen Netzwerken ebben nicht ab. Dabei habt ihr uns vor allem diese zwei Fragen immer wieder gestellt, die wir gern sachlich beantworten wollen:

1. Wie geht es dem Pferd Saint Boy?

Große Sorge um das Fünfkampf-Pferd Saint Boy erreichte uns aus ganz SWR3Land:

Wie es Saint Boy jetzt geht, welche Folgen die Situation für ihn hat und ob er beispielsweise spezielle Betreuung braucht, ist für viele Olympia-Zuschauer schwer einzuordnen. Er ist auf jeden Fall wieder zu Hause, schreibt der Fünfkampf-Weltverband nach Rückfrage der Veranstalter der Olympischen Spiele – mit einem Zitat der Besitzer von Saint Boy:

He is in good health, although fatigued from competition. – Es geht ihm gut, aber er ist noch erschöpft vom Wettkampf.

Here is #SaintBoy back home in Shiga Prefecture. Saint Boy's owners at the Minakuchi Riding Club kindly provided an update on his condition after being contacted by @Tokyo2020 officials. They said: "He is in good health, although fatigued from competition." https://t.co/oiACwR1wqx

2. Wie geht es den Pferden beim Fünfkampf?

Schwer einzuschätzen ist für viele ebenfalls, ob Fünfkampf mit den aktuellen Regeln grundsätzlich Tierquälerei ist – man kann die Tiere ja schlecht selbst fragen. Fakt ist: Anders als in anderen olympischen Disziplinen mit Pferd ist es aber einzig beim Fünfkampf so, dass Reiterinnen und Reiter ein Pferd zugelost bekommen, das sie dann nur kurz einreiten und kennenlernen können. Pferd und Reiter sind sich also nicht so vertraut wie beispielsweise in der Dressur, wo oft über lange Jahre ein Vertrauensverhältnis aufgebaut wurde.

Olympia-Siegerin Ingrid Klimke im SWR3-Interview

SWR3 hat die Olympia-Siegerin und renommierte Vielseitigkeitsreiterin Ingrid Klimke kontaktiert. 2008 und 2012 gewann sie Gold, 2016 Silber für Deutschland. Im Gespräch erklärt sie, es sei „nicht das erste Mal, dass das Regelwerk bewiesen hat, dass es für Pferd und Sportler nicht klappt. Innerhalb von 20 Minuten ist eine Partnerschaft unter diesen Bedingungen bei Olympia so nicht möglich.“ Pferde brauchten Vertrauen zum Reiter, damit sie in Harmonie diese Prüfung erfolgreich meistern können. „Man bereitet sich als Team mehrere Jahre auf solche Events vor und da besteht eine vertrauensvolle Bindung. Das gilt aber nicht für den Fünfkampf.

Ihr Fazit im SWR3-Interview: „Beim Fünfkampf sollte kein Lebewesen mehr an den Start gehen – vor allem unter diesen Bedingungen. Das hat nichts mit Reitsport zu tun.

Die ehemalige Olympia-Siegerin Lena Schöneborn war in diesem Jahr in Tokio dabei und sagte:

In dieser Situation waren wir bisher noch nicht, so drastisch ist uns noch nicht vor Augen geführt worden, dass es tatsächlich ein Fehler im Reglement ist.

Ihr war vor fünf Jahren in Rio Ähnliches wie Schleu passiert. Sie war damals als Vierte ins Springen gegangen und war aus dem Parcours genommen worden, nachdem ihr Pferd viermal verweigert hatte. Darauf hatte auch Trainerin Raisner Bezug genommen, als sie nach dem Wettkampf äußerte: „Ich kann kaum glauben, dass uns das zwei Olympische Spiele hintereinander passiert.

Noch deutlicher wurde Dressur-Olympia-Siegerin Isabell Werth: „Das hat mit Reitsport nichts zu tun, wie wir ihn betreiben und kennen“, sagte die erfolgreichste Reiterin der Welt. „Das ganze System muss geändert werden.“ Das Pferd tue ihr leid, betonte die siebenmalige Olympia-Siegerin. Die Tiere seien im Fünfkampf „nur ein Transportmittel“. Ihr tue auch „das Mädchen leid“, das Opfer des Systems ihrer Sportart sei, betonte Werth.

Insofern darf, kann und muss man vielleicht sogar eine kritische Debatte über Regularien speziell beim Fünfkampf führen.

Dem pflichtet auch der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) Alfons Hörmann bei. Er forderte eine „grundsätzliche Überarbeitung der Frage: Ist ein kurzfristiges Zulosen eines Lebewesens überhaupt verantwortbar, wir reden nicht über ein Sportgerät. Es handelt sich um ein Tier aus Fleisch und Blut. 20 Minuten, um dann in den weltwichtigsten Wettbewerb zu gehen, sind im Grunde eine viel zu kurze Zeit.

Der Sportverbund DOSB positionierte sich weiter und meldete:

Zahlreiche erkennbare Überforderungen von Pferd-Reiter-Kombinationen sollten für den internationalen Verband dringend Anlass dafür sein, das Regelwerk zu ändern. Es muss so umgestaltet werden, dass es Pferd und Reiter schützt. Das Wohl der Tiere und faire Wettkampfbedingungen für die Athletinnen und Athleten müssen im Mittelpunkt stehen.

Von der Deutschen Reiterlichen Vereinigung gab es ein ähnliches Statement:

Unser Verständnis der Reiterei liegt in der Partnerschaft zwischen Mensch und Pferd und nicht darin, das Pferd als Sportgerät zu betrachten.

Fünfkampf-Weltverband will dennoch am Reiten festhalten

Dennoch hat der Fünfkampf-Weltverband (UIMP) sich entschieden, dass Pferde in der Disziplin bleiben werden. Bereits am Folgetag hieß es: „Was wir da gestern erlebt haben, das kennen wir eigentlich gar nicht. Wenn dann die Frau Werth und andere sagen, geht doch auf den Roller, das ist alles ein absoluter Unsinn“, echauffierte sich der Präsident des Fünfkampf-Weltverbandes Klaus Schormann.

Am Sonntag teilte die UIPM dann mit, am Reiten grundsätzlich festhalten zu wollen, aber das Geschehen „einer vollständigen Überprüfung“ zu unterziehen und dabei „auch die Bedeutung des Wohlergehens der Pferde und der Sicherheit der Athleten in der gesamten globalen Wettkampfstruktur“ zu berücksichtigen.

OFFICIAL STATEMENT We've been inundated in the past 2 days with messages from people who care passionately about horse welfare and athlete safety in #ModernPentathlon Thank you all - we are listening 🏇💚 Please read the statement 👇 https://t.co/wKPizj14Ia @iocmedia https://t.co/JjyZ9hWfCX

Hintergrund: Das ist beim Fünfkampf in Tokio vorgefallen

Saint Boy sollte die deutsche Athletin Annika Schleu zu Gold bei Olympia führen. Sie hatte in allen Disziplinen bislang eine Top-Leistung gebracht, war ganz nah dran, den großen Traum mit Spitzenleistungen zu erfüllen. Doch dann ging alles schief – für sie selbst eine schlimme Situation, in der sie überfordert gewesen sei, so die Aussage von Schleu im Nachgang.

Schon zu Beginn wollte Saint Boy nicht richtig. Eine Mischung aus Entsetzen und Tränen waren auf Schleus Gesicht zu sehen. „Hau mal richtig drauf! Hau drauf“, rief Bundestrainerin Kim Raisner der Reiterin zu und gab, so ist es auf den Fernsehbildern zu sehen, dem Pferd zudem einen Klaps mit der Faust. Eine Situation die beiden beteiligten Frauen Kritik, sportliche Konsequenzen und teilweise auch blanken Hass vor allem im Netz einbringen sollte.

Irgendwie bekam Schleu es hin, dass Saint Boy loslief. Die ersten paar Hindernisse nahmen Pferd und Reiterin noch. Dann verweigerte das Pferd zum ersten, zweiten, dritten und schließlich vierten Mal. Damit war Schleu raus, der Traum vom Olympia-Gold war geplatzt.

Saint Boy mit der Gerte geschlagen: Schleu und Raisner verteidigen sich

Wenn man das sieht, mag man denken, dass das immer so läuft. Die Erfolge, die wir sonst zwischendurch feiern, sprechen dagegen“, sagte Schleu zu ihrem Einsatz der Gerte, mit der sie Saint Boy mehrfach geschlagen hatte. „Eigentlich sind wir Deutsche als gute und solide und auch einfühlsame Reiter bekannt.“

Auch Bundestrainerin Raisner hatte zu den Vorwürfen Stellung bezogen: „Ich hab gesagt, hau drauf. Aber sie hat das Pferd nicht gequält, in keinster Weise“, sagte Raisner dem Sport-Informations-Dienst. Es sei jetzt „keine Quälerei“, betonte Raisner, „dass man mal mit der Gerte hinten draufhaut. Sie hat dem Pferd nicht im Maul gerissen. Sie hatte keine scharfen Sporen dran. Pferde quälen sieht anders aus.

Raisner von Olympischen Sommerspielen ausgeschlossen

Wegen ihres Verhaltens ist Raisner von den Olympischen Spielen in Tokio ausgeschlossen worden. Das hatte der Weltverband im Modernen Fünfkampf (UIPM) am Samstag mitgeteilt. Einen Tag nach den umstrittenen Szenen beim Finaltag der Frauen. Die Trainerin habe das Pferd anscheinend mit der Faust geschlagen, begründete der Verband den Beschluss. Dies war auf Fernsehbildern zu sehen.

Der Deutsche Olympische Sportbund hatte zuvor bereits mitgeteilt, dass Raisner beim Männer-Wettbewerb am Samstag weder am Parcours noch am Abreiteplatz im Einsatz sein werde. Die Entscheidung sei nach einer Besprechung des Vorfalls mit Schleu, Raisner und der Sportdirektorin des Deutschen Verbands für Modernen Fünfkampf gemeinsam und einvernehmlich getroffen worden. Ob es weitere personelle Konsequenzen geben könne, ließ DOSB-Chef Alfons Hörmann zunächst offen.

Tierschützer sprechen beim Modernen Fünfkampf von Tierquälerei

Moderne Tierquälerei“ oder „Kein Respekt vor dem Tier“ war wenige Minuten nach den ungewöhnlichen Olympia-Szenen bei Twitter zu lesen. Sie habe schon „diverse Hassnachrichten erhalten“, berichtete Schleu bereits kurz nach dem Wettkampf. Die Tierrechtsorganisation Peta forderte die Suspendierung von Schleu und Raisner und sprach von „Misshandlungen“.

Heute wurde bei den Olympischen Spielen erneut deutlich, dass #Pferdesport entgegen ständiger Behauptungen auf #Tierquälerei basiert: Während das Pferd #SaintBoy sich sichtbar wehrte, verlor die deutsche Reiterin #AnnikaSchleu die Fassung. 😠👇 https://t.co/ErXPxvOmHY

Gut eine Woche nach dem Reit-Drama bei Olympia hat der Tierschutzbund Schleu und Bundestrainerin Raisner angezeigt. Die Vereinigung wirft ihnen „Tierquälerei“ und „Beihilfe zur Tierquälerei“ vor. Der Tierschutzbund kritisierte, dass Schleu „das verängstigte und überforderte Pferd mehrfach grob geschlagen und in anschließenden Interviews jede Einsicht vermissen lassen“ habe. Trainerin Raisner habe die Athletin „zu dieser tierquälerischen Handlung“ aufgefordert.

Rasiner und Schleu weisen Tierquälerei-Vorwürfe zurück

Im Nachhinein kann man vielleicht sagen, das war zu harsch. Ich weiß, auch dieser Klaps auf den Hintern, der hätte nicht sein müssen, aber der war nicht doll“, sagte Raisner. „Ich bin weit davon entfernt, Tiere zu quälen. Ich liebe Tiere, ich liebe Pferde, genauso wie Annika. Wir verdreschen unsere Pferde nicht.“ Auch Schleu äußerte sich erneut und sagte: „Ich bin nach bestem Gewissen mit dem Pferd umgegangen“ Weiter: „Es war schon klar, dass man etwas konsequenter werden muss, aber ich war zu keiner Zeit grob.

SWR3-Kommentar: Wer hat da Fehler gemacht?

Diesen Kommentar haben wir direkt nach den Vorfällen bei SWR3 im Radio gesendet, am Freitag, 6. August:

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