Seit dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine gibt es immer wieder Berichte über mysteriöse Todesfälle bei superreichen russischen Oligarchen. Russland beschreibt die Todesfälle meist als Selbstmorde oder Unfälle. Die mögliche Wahrheit ist aber viel spannender.
Anfang September gab es den nächsten Fall: Der Vorstandschef des russischen Ölkonzerns Lukoil, Rawil Maganow, ist beim Sturz aus dem Fenster eines Moskauer Krankenhauses ums Leben gekommen. Das berichtet die Nachrichtenagentur Interfax. Auch bei Twitter macht die Todesnachricht die Runde.
Die Polizei hat Ermittlungen eingeleitet, als wahrscheinlichste Ursache gilt laut Medienberichten ein Suizid. Bei Maganow sei im Krankenhaus neben Herzproblemen eine Depression diagnostiziert worden, heißt es. Nach den mysteriösen Todesfällen unter den Oligarchen in den vergangenen Monaten passt der Fall aber eher in ein anderes Schema.
Es gibt immer wieder Ungereimtheiten und Spuren, die an derselben Stelle zusammenlaufen: im Kreml. Der Zentrale der Macht Russlands – und ihres Chefs, Präsident Wladimir Putin. Steckt Moskau hinter den mysteriösen Todesfällen?
- Welche Rolle spielt der Kreml?
- Tote Oligarchen: Selbsttötungen oder Auftragsmorde?
- Michail Chodorkowski: Russlands berühmter, gefallener Oligarch
- Gift-Anschläge auf Regime-Gegner
Oligarch erschossen im Pool gefunden
Der letzte mysteriöse Todesfall eines steinreichen russischen Oligarchen liegt knapp zwei Monate zurück: Am 4. Juli 2022 wurde Juri Voronov tot im Pool seines Hauses gefunden. Laut verschiedener Medienberichte hatte er eine Schusswunde am Kopf. In der Nähe seiner Leiche sei eine halbautomatische Waffe und im Pool mehrere Patronenhülsen gefunden worden.
Laut der Behörden in Russland lasse sich der Tod des 61-Jährigen auf einen „Streit mit Geschäftspartnern“ zurückführen. Voronov besaß ein Transport-Unternehmen, das mit dem russischen Energieriesen Gazprom Geschäfte in der Arktis gemacht hat.
Der Name des russischen Energieriesen Gazprom, ehemaliger Sponsor des Fußball-Bundesligisten Schalke 04, taucht im Zusammenhang mit den meisten Todesfällen unter den Oligarchen immer wieder auf. Die Spuren führen aber noch weiter – bis an die Spitze des Kreml.
Hat der Kreml etwas mit den toten Oligarchen zu tun?
Es gibt Gerüchte, die sagen, dass sogar Russlands Präsident Wladimir Putin selbst der Auftraggeber der gut getarnten möglichen Morde sein könnte. Der schwedische Ökonom und Autor Anders Aslund sagte der New York Post, er habe Informationen, wonach der russische Geheimdienst zwei Listen mit Namen von Führungskräften in der Energiebranche Russlands erstellt habe.
Alle Personen auf dieser Liste sollen laut Aslund Informationen verraten haben über die Finanzierung von geheimen Operationen der russischen Regierung. Der russische Auslandsgeheimdienst habe die Operationen durchgeführt. Darunter falle unter anderem auch der Krieg in der Ukraine.
Die Liste wurde Putin vom FSB vorgelegt und Putin genehmigte die Liquidierung aller auf der Liste, ohne sie auch nur anzusehen. Putin finanziert einen Großteil seiner Operationen über Gazprom und die Gazprombank, und die Führungskräfte, die dort arbeiten, wissen alles über diese geheime Finanzierung. Der Gassektor ist der korrupteste Sektor in Russland.
Mussten die Oligarchen sterben, weil sie zu viel wussten?
Experten außerhalb Russlands gehen davon aus, dass die Tode der Oligarchen eine gezielte Aktion sind, um Sicherheitslecks „aufzuräumen“. So umschrieb es der russische Bankier German Gorbuntsov in einer Doku mit dem Titel Secrets of the Oligarch Wives. In dem Film geht es um die Oligarchenfrauen und ihre Beziehungen zum Kreml.
Gorbuntsov selbst sagte in der Doku, dass im März in London sechsmal auf ihn geschossen worden sei – und dass die Tode der Oligarchen sicher keine Selbstmorde seien: „Ähnliche Methoden, aber jede etwas anders – hier eine Axt, dort eine Pistole. Sie sind alle gleich tot. Einmal vielleicht, zweimal ein Zufall. Dies ist kein Zufall. Es ist kein Suizid.“
In einem Interview mit der britischen Zeitung The Independent sagte Gorbuntsov, dass vermutlich seine ehemaligen Geschäftspartner hinter den Schüssen auf ihn stecken. Die Männer seien gute Freunde von Putin. Gorbuntsov sei aus Russland geflohen, um sich vor ihnen zu verstecken. „Die Beweise, die ich habe, reichen aus, um sie hinter Gitter zu bringen“, sagte er der Zeitung. „Natürlich haben sie gute Verbindungen, aber ich würde gerne glauben, dass es in Russland Gerechtigkeit gibt.“
Die Jagd auf das Geld der russischen Oligarchen
Tote Oligarchen mit Verbindungen zu Gazprom: Viele Hinweise auf Auftragsmorde
Auch Bill Browder sieht eindeutige Anzeichen dafür, dass der Kreml hinter dem Ableben der Oligarchen steckt. Seine Fonds- und Vermögensverwaltungsgesellschaft Hermitage Capital war jahrelang einer der größten Investoren in Putins Russland. Browder kennt Putin, wurde von seinem Unterstützer zu seinem Feind.
Es gibt genügend empirische Beweise für Attentate, die vom Kreml oder Geschäftsrivalen in Russland organisiert wurden, um es wahrscheinlich zu machen, dass es sich um Morde und nicht um Selbstmorde und andere Erklärungen handelt, die von den russischen Behörden verbreitet wurden. Immer wenn es um viel Geld geht, sollte man vom Schlimmsten ausgehen.
Browder sieht in der Reihe von Todesfällen unter den Oligarchen auch den Energieriesen Gazprom als gemeinsamen Nenner. Auf Twitter schrieb er nach der Todesnachricht über den Oligarchen Juri Voronov, es sei verrückt: „Leute, die mit Gazprom verbunden waren, fallen wie Fliegen“.
Welche Rolle spielen zwei russische Oligarchen in RLP?
Michail Chodorkowski: Beste Connections in den Kreml
Einer der bekanntesten Oligarchen, der bei Putin in Ungnade gefallen ist, ist Michail Chodorkowski. Über die frühere Beziehung des langjährigen Unternehmers zu Russlands späterem und heutigen Präsidenten schrieb der Spiegel 2003: „Die beiden großen Gegenspieler (...) lernten sich gut kennen – und blieben sich doch bis heute zutiefst fremd.“ Beide seien einfach unter zu unterschiedlichen Bedingungen aufgewachsen.
Oligarch Chodorkowski: Korruption, Verhaftung, Auftragsmord?
Im Februar 2003 warf er Chodorkowski bei einem Treffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin einem russischen Staatskonzern öffentlich Korruption vor. Beobachter sehen spätestens dieses Ereignis als Punkt, an dem Chodorkowski die Gunst der russischen Politik verlor und sein Abstieg begann. Kurz danach wurde er verhaftet, ihm wurden Unterschlagung und Steuerhinterziehung vorgeworfen.
Nach zehnjähriger Haft, die manche dementsprechend als politischen Racheakt bewerten, lebt er heute in London. Dort hat er Reportern des Magazins Stern gesagt, er habe keine Angst vor Russlands Präsident Wladimir Putin.
Wenn Putin eine Entscheidung trifft, werde ich kaum überleben. An diesen Zustand bin ich gewöhnt.
Chodorkowski ist auch Gastgeber eines Youtube-Talkformats. In einer Sendung von Chodorkowski live sprach vor Kurzem auch der ehemalige Duma-Abgeordnete und Ex-Geheimdienstler Gennadi Gudkow von „merkwürdigen Übereinstimmungen der Details“ bei manchen Fällen. Der Krimi um die ums Leben gekommenen Oligarchen sehe „fast schon nach einer Art Handschrift von Auftragsmördern aus“, mutmaßte er.
Giftanschläge: Steckt der Kreml hinter mehreren anderen Verbrechen?
Dass der Kreml nicht zimperlich mit Menschen umgeht, deren Meinung ihm nicht passt oder die ihm gefährlich werden könnten, ist in den vergangenen Jahren immer wieder deutlich geworden. Zwar konnte nie nachgewiesen werden, dass die Befehle von Putin oder aus seinem Umfeld kamen – trotzdem führten alle Spuren immer wieder in die Zentrale der russischen Macht.
Bekanntestes Beispiel: Der Oppositionelle Alexej Nawalny. Er wurde am 20. August 2020 im sibirischen Omsk Opfer eines Giftanschlags. Drei Attentäter kontaminierten Nawalnys Unterhose mit dem Nervengift Nowitschok. Nawalny fiel ins Koma und wurde nach langem Zögern der russischen Behörden nach Berlin geflogen, um dort behandelt zu werden. Er überlebte – und wurde später zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Zurzeit sitzt er in einem Straflager bei Moskau ein.
Anschläge mit Nervengift: Nowitschok mehrfach nachgewiesen
Auch der russische Ex-Agent Sergej Skripal und dessen Tochter Julia wurden mit Nowitschok vergiftet. Beide lagen am 4. März 2018 bewusstlos auf einer Parkbank in der britischen Stadt Sailsbury – und überlebten knapp.
Zwölf Jahre zuvor, am 23. November 2006, starb der Ex-FSB-Agent und Überläufer zum britischen Geheimdienst MI6 Alexander Litwinenko an einer Poloniumvergiftung. Kurz vor seinem Tod machte er den Kreml für den Anschlag mit dem radioaktiven Material verantwortlich. Litwinenko brachte eine Reihe von Anschuldigungen an die Öffentlichkeit, die den früheren FSB-Chef und jetzigen Präsidenten Putin diskreditierten. Litwinenkos Behauptungen ließen sich weder bestätigen noch widerlegen.
Auch wenn die Hinweise alle in dieselbe Richtung deuten: Einen tatsächlichen Beweis, dass der Kreml oder sogar Russlands Präsident hinter den mysteriösen Todesfällen der russischen Oligarchen oder den Anschlägen auf Putins Gegner stecken, wird es vermutlich niemals geben.