Drei endlose Tage hatte Publius Quinctilius Varus machtlos dem Untergang seiner Truppen zugesehen. Vermutlich auf dem Rückmarsch aus Germanien ins Winterlager hatte er einen Umweg machen wollen: Angeblich war ein kleinerer Aufstand ausgebrochen, den Varus noch vor dem Winter niederschlagen wollte – ein tragischer Fehler.
Cheruskerführer Arminius: böse Falle im germanischen Urwald
Sein Unterführer Arminius, ein Fürstensohn der germanischen Cherusker, der als Geisel in Rom aufgewachsen war, hatte dem römischen Adligen eine Falle gestellt: Im Dunkel der Wälder, nördlich von Osnabrück beim heutigen Kalkriese, hatte Arminius tausende Krieger zusammengezogen. Die warteten dort in aller Ruhe auf die ahnungslosen Legionen.

Roms Militär funktionierte effektiv wie ein Mähdrescher
In offener Feldschlacht hätten die hellhäutigen Kämpfer keine Chance gehabt: Wenn die römische Militärmaschine systematisch eingesetzt wurde, rollte sie in der Regel wie ein Mähdrescher über ihre Feinde hinweg.
Doch die Maschine kam nicht zum Einsatz: Die Legionäre hatten sich in den Hügeln, Tälern und Urwäldern hoffnungslos verfranzt, wie man heute sagen würde. Sich in Kampfformation aufzustellen, war auf den engen Waldwegen unmöglich. So musste jeder Legionär für sich allein kämpfen, statt als Glied in einer mächtigen Maschine, deren Teile eng geschlossen vorgingen – eine Disziplin, die die Germanen offenbar besser beherrschten, als die Legionäre.
Dazu kam: Die Truppen und ihr Tross – vermutlich 15.000 bis 20.000 Leute – bewegten sich langsam wie ein viele Kilometer langer Lindwurm: Zwischen Vorhut und Nachhut dürften bis zu 20 Kilometer gelegen haben.
Die Folge: Wo immer die Germanen punktuell zuschlugen, waren sie in der Überzahl. Und bis Hilfe kam, hatten sie sich bereits wieder zurückgezogen. So folgte Massaker auf Massaker, bis die Legionen praktisch ausgelöscht waren.
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Letzter Sammel-Appell vor dem Selbstmord
Am dritten oder vierten Tag wusste Varus, dass es keine Rettung geben würde: Seine Truppen würden untergehen und er mit ihnen. Vermutlich würde er vor seinem Tod gefoltert. Zu Hause wäre er ohnehin entehrt, befürchtete er. Varus und seine Generäle sammelten sich ein letztes Mal – und stürzten sich in ihre Schwerter. Das war aller Wahrscheinlichkeit nach im Herbst des Jahres 9 n. Chr..
Sechs Jahre sollte es dauern, bis wieder ein römisches Heer an die Orte der Katastrophe kam: Germanicus, Vater des berüchtigten Kaisers Caligula, war auf einen Rachefeldzug ins sogenannte Germanicum geschickt worden. Vor allem die verräterischen Cherusker sollte er das Fürchten lehren.
„An Baumstämmen waren Schädel befestigt“
Als er einen der schrecklichen Schauplätze erreichte, bot sich ihm laut dem Historiker Tacitus folgender Anblick:
Mitten auf dem Feld seien „bleichende Knochen“ von Menschen und Maultieren gelegen – „zerstreut oder in Haufen“, je nachdem, ob sie von Flüchtenden oder noch Widerstand leistenden Truppen gestammt hätten, schreibt Tacitus. In Hainen habe Germanicus demnach Altäre gefunden, auf denen hohe Offiziere ermordet worden seien. Schädel seien an Baumstämmen befestigt gewesen.
Wer genau wurde in Kalkriese hingeschlachtet?
So weit, so schlecht für die Römer. Die Frage aber, die sich deutsche Forscher seit Jahrhunderten stellen: Wo genau hat sich diese Katastrophe ereignet? Wo fand die Hauptschlacht statt? Im Teutoburger Wald, glaubte man lange.
Seit einigen Jahren gilt Kalkriese bei Osnabrück – rund 100 Kilometer nördlich des Teutoburger Waldes – als wahrscheinlichster Ort: Über ein weites Terrain verstreut liegen dort Knochen von Mensch und Tier, römische Waffen, Münzen und Ausrüstungsgegenstände.
Ergebnis: In Kalkriese starben die Soldaten des Varus
Doch halt, sagen viele Forscher: Wer will wissen, ob in Kalkriese nicht Soldaten des Germanicus liegen, denn auch der schlug verlustreiche Schlachten in Germanien.
Jetzt scheint festzustehen: Es waren tatsächlich die Truppen des Varus, die in Kalkriese massakriert wurden und nicht die des Germanicus.
Varusschlacht: Neuer Forschungsansatz bringt deutlichen Hinweis auf Kalkriese hervor
Herausgefunden hat das kein Archäologe, sondern eine junge Chemikerin mit einer brandneuen Methode: Annika Diekmann, Forscherin aus Bochum, hat den sogenannten „metallurgischen Fingerabdruck“ der Waffen in Kalkriese untersucht.
Der Hintergrund: Die Buntmetalle römischer Legionen hätten je nach Standort mit der Zeit eine typische Zusammensetzung angenommen, sagt Diekmann. Hinweise darauf habe es bereits aus archäologischen Forschungen in Großbritannien gegeben. Verantwortlich seien dafür vermutlich unter anderem spezifische Umwelteinflüsse vor Ort.
Übersetzt heißt das: In den Schmiede-Werkstätten der einzelnen Kastelle bildeten sich bestimmte, feste, metallurgische Mischungen heraus. Die kann man noch heute bestimmten Legions-Standorten zuordnen.
In Kalkriese untersuchte Diekmann deshalbt Waffen- und Ausrüstungsteile wie Gürtelschnallen oder Fibeln auf ihre Zusammensetzung. Das Ergebnis war phänomenal: Die meisten gehörten Soldaten der 19. Legion – eine der untergegangenen Varus-Legionen. Die war zuvor im heutigen Dangstetten in Süddeutschland stationiert gewesen, wo man metallische Vergleichsstücke gefunden hatte.
„Kriminaltechnisch wäre jetzt der Täter überführt“
Die Reste der 19. Legion waren dadurch auf dem Teil-Schlachtfeld klar zu identifizieren. Damit ist Kalkriese ziemlich eindeutig der Ort, an dem die zentralen Kämpfe der Varusschlacht tobten.
„Kriminaltechnisch wäre jetzt der Täter überführt“, sagt der Geschäftsführer des Kalkrieser Varusschlacht-Museums, Stefan Burmeister. „Die Spurensicherung hat ein weiteres starkes Indiz für Kalkriese als Ort der Varusschlacht erbracht.“