Der Fall der 12-jährigen Luise, die von zwei gleichaltrigen Mädchen erstochen wurde, hat in Deutschland eine Debatte über Strafmündigkeit ausgelöst. Zwei 12- und 13-jährige Mädchen hatten die Tat gestanden, doch der Fall wird nicht vor Gericht landen. Der Grund: Sie sind zu jung.
- Wann ist man strafmündig und wann strafunmündig?
- Was bedeutet strafunmündig?
- Was kann der Staat machen, wenn Täter strafunmündig sind?
- Was passiert mit strafunmündigen Kindern oder mit strafunmündigen Mördern?
- Strafmündigkeit ab 14 Jahren – ist die Altersgrenze noch zeitgemäß?
Wann ist man strafmündig und wann strafunmündig?
„Wer bei der Begehung der Tat noch keine 14 Jahre alt ist, ist schuldunfähig“ – so steht es im § 19 im Strafgesetzbuch. Das heißt im Umkehrschluss: Nur wenn die Person alt genug ist (14 Jahre oder älter), wird sie, wenn sie eine Straftat begeht, dafür strafrechtlich verfolgt.
Voll strafmündig ist man in Deutschland, wenn man volljährig, also 18 Jahre alt ist. Trotzdem kann bei Heranwachsenden zwischen 18 und 21 Jahren im Einzelfall auch noch das mildere Jugendstrafrecht angewendet werden. Immer strafunmündig ist man, wenn man unter 14 Jahren ist. Zwischen 14 und 18 Jahren ist man nur zum Teil strafmündig und man wird nach dem Jugendstrafrecht verurteilt, wenn man reif genug ist, das Unrecht der begangenen Tat einzusehen.
Was bedeutet strafunmündig?
Der Gesetzgeber geht davon aus, dass Kinder oder Jugendliche unter 14 Jahren noch nicht die nötige Reife haben, ihr Verhalten zu steuern. Das heißt, sie können es noch nicht abschätzen, welche Konsequenzen ihre Taten für sie selber oder andere haben. Auch wenn ein Kind zum Mörder wird, kann es deswegen nicht bestraft werden.
Was kann der Staat machen, wenn Täter strafunmündig sind?
Im Fall des getöteten 12-jährigen Mädchens aus Freudenberg haben zwei Mädchen die Tat gestanden. Da sie aber noch keine 14 Jahre alt sind, droht ihnen keine Strafe im eigentlichen Sinn. Die Staatsanwaltschaft kann deswegen keine Anklage erheben und übliche Strafen entfallen. Stattdessen sind die Jugendämter zuständig. Diese können gegebenenfalls Maßnahmen zur Erziehungshilfe anordnen. Auch eine Unterbringung in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie ist unter bestimmten Voraussetzungen möglich.
Außerdem dürfen die ermittelnden Behörden wegen des kindlichen Alters auch keine näheren Angaben zum Tathergang, zum Motiv, zum Verhalten vor und nach der Tat sowie zum Aufenthaltsort machen, so Mario Mannweiler, Leitender Oberstaatsanwalt in Koblenz, in der Pressekonferenz am Dienstag.
Der Grund: Wenn Kinder zu Tätern werden, müssen auch sie unter anderem vor der Öffentlichkeit geschützt werden.
Zwölfjährige von zwei Mädchen getötet Fall Luise aus Freudenberg: Familie und Freunde nehmen Abschied
Die Nachricht ist immer noch ein Schock: Zwei Kinder haben mutmaßlich eine Zwölfjährige getötet. Die Familie, Freunde und die Öffentlichkeit trauern.
Was passiert mit strafunmündigen Kindern oder mit strafunmündigen Mördern?
Die Staatsanwaltschaft kann und darf laut Gesetz nichts tun. Kann der Staat also gar nichts tun? Doch. Die Familiengerichte können – auch gegenüber den Eltern – zu verschiedenen Mitteln greifen. Michael-Matthias Nordhardt und Christoph Kehlbach aus der SWR-Rechtsredaktion nennen als Beispiel die Anordnung, Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Anspruch zu nehmen.
Strafmündigkeit ab 14 Jahren – ist die Altersgrenze noch zeitgemäß?
In vielen Lebensbereichen rutscht das Alter nach vorne: Man darf teilweise schon mit 16 Jahren wählen oder auch den Führerschein darf man – wenn begleitet – bereits mit 17 machen. Die reflexartige Forderung, die Altersgrenze der Strafmündigkeit nach vorne zu schieben, findet Jenny Lederer, Fachanwältin für Strafrecht, im SWR3-Interview, nicht zielführend und am Problem vorbeigehend. „Es gibt gute Gründe für diese Untergrenze.“
Die soziale und moralische Reife ist bei Kindern noch nicht so vorhanden. Und es ist eine große Herausforderung, festzustellen oder festzulegen, ob ein Kind reif oder unreif ist.
Mit ähnlichen Argumenten ist auch die ehemalige Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) gegen eine Absenkung des Strafmündigkeitsalters.
Strafrechtliche Verantwortung setzt einen bestimmten Entwicklungsstand voraus, der bei Kindern unter 14 Jahren regelmäßig nicht gegeben ist.
Debatte um Strafmündigkeitsalter gefordert
Der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin (FDP) zeigt sich zum Thema Strafmündigkeit aufgeschlossen. Er könne sich eine Absenkung des Alters von 14 auf 12 Jahren vorstellen, sagte Mertin im SWR.
Es ist nie sinnvoll, im emotional aufgeladenen Umfeld einer solchen Tat, endgültige Entscheidungen zu treffen. Aber vor einigen Jahren habe ich schon angeregt, dass es vielleicht sinnvoll wäre, eine empirische Forschung zu machen, ob die Grundannahmen für die heutigen Mündigkeitsgrenzen noch gegeben sind.
Die Freien Wähler in Rheinland-Pfalz fordern, dass bereits 12-Jährige strafmündig sein sollten. Ein Generalsekretär der Freien Wähler sagte, das Strafrecht müsse der Lebenswirklichkeit angepasst werden. Man müsse davon ausgehen, dass auch 12-Jährige wüssten, dass man andere Menschen nicht töten dürfe. Er verwies auf das Vereinigte Königreich und die Schweiz, wo Kinder bereits ab dem vollendeten zehnten Lebensjahr strafmündig seien.
Auch die Union fordert eine Debatte. Wie seht ihr das? Schreibt es uns in die Kommentare.
Hinweis: In einer früheren Version des Artikels haben wir geschrieben: „Wenn Kinder zu Mördern werden, wie im Fall Luise.“ Der konkrete Tatbestand wird aber noch geklärt, weshalb diese Formulierung falsch ist und korrigiert wurde.