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Kira Urschinger
Kira Urschinger (Foto: SWR3)
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Menschen, die alleine leben, bekommen häufiger psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder sind anfälliger für Alkoholismus. Zu diesem Ergebnis kommen französische Forscher. Allerdings gibt es einen Unterschied zwischen Einsamkeit und Alleinsein.

Immer mehr Menschen leben alleine

Insgesamt gibt es in Deutschland laut Statistischem Bundesamt rund 17 Millionen Singlehaushalte (Stand: 2017). Bei insgesamt rund 40 Millionen Haushalten ist das ein bisschen weniger als die Hälfte. Knapp jeder Zweite lebt also allein – und der Trend ist steigend. Experten diskutieren schon lange darüber, woran das liegen könnte. An dem zunehmenden Individualismus, dem vielen Reisen und Umziehen insbesondere in der jüngeren Generation, dem globalisierten Arbeitsmarkt oder auch daran, dass Kinder oft nicht mehr ihr Leben lang bei der Familie wohnen und damit ältere Menschen alleine in Wohnungen oder Häusern zurückbleiben.

Wer alleine lebt, ist nicht gleich einsam

Aber welche Auswirkungen hat das auf den Menschen? Dieser Frage sind französische Forscher nachgegangen. Sie wollten wissen, welche Auswirkungen es auf die psychische Gesundheit hat, wenn wir alleine leben und vielleicht einsam werden. In einer Meta-Studie haben sie verschiedenste Untersuchungen ausgewertet.

Das Ergebnis haben die Wissenschaftler der Universität Versailles im Fachmagazin Plos One publiziert: Alleinlebende würden deutlich häufiger an psychischen Erkrankungen leiden. Männer betreffe das gleichermaßen wie Frauen, das Risiko sei allerdings bei Männern höher. Das könnte daran liegen, dass Männer unter Einsamkeit häufiger verstünden, keinen Lebenspartner zu haben. Die Definition von Frauen sei weitfassender und würde das gesamte soziale Netzwerk und die Beziehungen zu anderen Menschen umfassen.

Depressionen werden immer häufiger

Insgesamt haben die Forscher berechnet, dass das Risiko einer psychischen Erkrankung bei Alleinlebenden um das 1,5- bis 2,5-fache höher sei als bei anderen Menschen. Zu diesen Erkrankungen zählen vor allem Depressionen, aber auch Angststörungen, Alkoholismus oder Zwangsstörungen. Die Forscher weisen allerdings daraufhin, dass es auch Menschen gebe, die gerne alleine leben. Einen statistischen Zusammenhang zwischen Erkrankungen und dem Alleinsein gebe es nur, wenn die Menschen sich dabei auch wirklich einsam fühlen und mit der Situation unglücklich sind.

Die Prognose der Forscher: Erkrankungen wie Depressionen werden immer weiter zunehmen und innerhalb der nächsten 10 Jahre zu einem noch größeren Problem werden.

Die Tendenz jedenfalls bestätigen Zahlen, die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) vor Kurzem zu den weltweiten Erkrankungen von Depressionen bekanntgab. 2017 waren rund 350 Millionen Menschen betroffen – über 4 Prozent der Weltbevölkerung. Die Zahl der Betroffenen steigt von Jahr zu Jahr, Depressionen gehören damit zu den häufigsten Erkrankungen.

Das Unwissen rund um Depressionen

Während Depressionen sich mehr und mehr aus der Tabuthema-Zone zu entfernen scheinen, herrscht immer noch viel Unwissen und Unsicherheit, wie eine Umfrage des ersten Deutschland-Barometers Depression gezeigt hat. Depressionen gelten immer noch als Krankheit der Versager. So findet fast jeder Fünfte der Befragten, dass sich Betroffene zusammenreißen sollten. Ein weiteres knappes Fünftel der 2.000 Befragten gab an, dass Schokolade ein gutes Hilfsmittel bei Depressionen sei.

Wenn jemand sich nicht gut fühlt, heißt es deshalb schnell: „Ach, bestimmt eine Depression.“ Und es kommen Tipps wie: „Iss doch Schokolade und reiß dich zusammen“. Was im Alltag leicht gesagt ist, ist für tatsächlich Betroffene ein Problem. Denn kleine Stimmungsschwankungen sind natürlich nichts gegen das, was jemand durchlebt, der ernsthaft erkrankt ist. Schokolade löst das Problem nicht. Umso wichtiger, dass Betroffene sich trauen, über ihre Erkrankung zu sprechen und klar machen, wie sich das anfühlt:

So kannst du Depressionen erkennen

Wichtig ist bei Depressionen, wie bei den meisten anderen psychischen Krankheiten auch: Wenn sie möglichst früh erkannt werden, sind sie oft gut behandelbar. Auch wegen des Unwissens ist das keine leichte Aufgabe – für Betroffene genauso wie für Angehörige. Eine Faustregel ist:

Aus medizinisch-therapeutischer Sicht ist die Depression eine ernste Erkrankung, die das Denken, Fühlen und Handeln der Betroffenen beeinflusst, mit Störungen von Körperfunktionen einhergeht und erhebliches Leiden verursacht.

Die Deutsche Depressionshilfe bietet eine Möglichkeit zur Einschätzung im anonymen Online-Test:

Depressionen – was tun?

Der wichtigste Hinweis, den Experten Angehörigen oder Erkrankten geben können: Hol dir möglichst schnell Hilfe oder versuche, den betroffenen Menschen dazu zu bringen, sich Hilfe zu holen. Je länger man versucht, selbst Herr der Lage zu werden, desto komplizierter kann es oft werden. Die Deutsche Depressionshilfe warnt vor allem Angehörige davor, selbst Schuldgefühle zu entwickeln, sich verantwortlich zu fühlen oder sogar einen Ärger oder Hass auf Erkrankte zu entwickeln.

Deshalb: nicht googlen, nicht zögern, nicht aussitzen – Hilfe holen. Denn psychische Erkrankungen sind vielschichtig, wie genau sie behandelt werden können (über Verhaltenstherapien, unter Einsatz von Medikamenten), ist extrem unterschiedlich und sollte von Fachleuten beurteilt werden. Als Angehöriger reicht es eigentlich, zu signalisieren, dass man für jemanden da ist. Die Therapie muss jemand anderes professionell leisten.

Wie bei allen schweren Krankheiten sollten Sie so schnell wie möglich ärztlichen Rat einholen. Ergreifen Sie die Initiative und vereinbaren Sie für den Kranken einen Arzttermin. Da depressiv erkrankte Menschen häufig die Schuld für ihr Befinden bei sich selbst suchen und nicht an eine Erkrankung denken, halten sie einen Arztbesuch oft nicht für nötig. Weil Hoffnungslosigkeit zur Depression gehört wie Schnupfen zur Grippe, glauben viele Betroffene auch nicht, dass ihnen überhaupt geholfen werden kann. Auch fehlt vielen Erkrankten die Kraft, sich zu einem Arztbesuch aufzuraffen. Daher ist die Unterstützung der Angehörigen beim Gang zum Arzt oft sehr wichtig.

Hilft Sport gegen Depressionen?

Studien zeigen immer wieder die positive Wirkung von Sport bei Depressionen. Bewegung könne helfen, das Ausbrechen einer Depression zu verhindern oder Menschen das Leben zu verbessern, wenn sie bereits erkrankt sind. Der Grund für die positive Wirkung liegt vor allem in unserem Gehirn. Beim Sport werden bestimmte Botenstoffe in unserem Gehirn ausgeschüttet, die für Wohlbefinden sorgen. Darüber hinaus sehen mehrere Experten das Zielesetzen als förderlich an: Wer sich beim Sport vornimmt, gewisse Dinge zu erreichen und zu schaffen, bricht erst einmal aus dem negativen Gedankenkarussell aus. Werden die Ziele dann auch erreicht, stellt sich eine Zufriedenheit ein, das Gehirn aktiviert das Belohnungszentrum und gibt uns ein gutes Gefühl.

Die Auswertung der Daten konnte belegen, dass Teilnehmer, die sich nur wenig bewegten, ein größeres Risiko hatten, eine Depression zu entwickeln, als die Teilnehmer, die eine hohe körperliche Aktivität aufwiesen.

Wir haben für unsere Recherche mit einzelnen Betroffenen gesprochen. Viele von ihnen berichten aus ihrem eigenen Erleben, dass der Sport subjektiv ihre Situation verbessert oder einen Ausgleich zu depressiven Schüben sowie ein besseres Körpergefühl schafft. Auch eine ausgewogene Ernährung könne helfen, mit sich selbst ein bisschen besser klarzukommen.

Dennoch ist wichtig zu betonen: Der Sport bietet natürlich keine Garantie, er ist kein absoluter Schutz gegen Depressionen. Er kann lediglich das Risiko mindern und erste Stimmungsschwankungen (die übrigens jeder Mensch im Laufe seines Lebens hat) ausgleichen.

Hier findest du Hilfe und Informationen zu Depressionen

  • Info-Telefon der Deutschen Depressionshilfe: 0800 / 33 44 533, erreichbar Mo, Di, Do: 13:00 – 17:00 Uhr und Mi, Fr: 08:30 – 12:30 Uhr.
  • Beratung insbesondere für junge Leute in Foren und Chats bietet auch Jugendnotmail.

Betroffene oder Angehörige finden hier weitere Informationen zum Thema Depressionen:

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