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Kira Urschinger
Kira Urschinger (Foto: SWR3)
Radio-Interview: Daniel Isengard, SWR3

Emojis, Kürzel und scheinbar verkrüppelter Satzbau: Wie wir uns in den sozialen Medien, bei Facebook oder Whatsapp ausdrücken, ist wirklich oft anders, als wir das im Deutschunterricht mal gelernt haben. Aber ist das schlimm?

Für die SWR3 Morningshow haben wir mit Konstanze Marx vom Institut für Deutsche Sprache (IDS) gesprochen. Die Sprachwissenschaftlerin sagt: Wie wir uns in den sozialen Medien mitteilen, hat eigentlich gar nichts mit dem zu tun, wie wir auf Standarddeutsch schreiben oder reden. „Da kann nichts verloren gehen und nichts kaputt gehen“, fasst die Expertin zusammen – denn es handle sich quasi um zwei Sprachen, die unabhängig voneinander funktionieren. Im Gegenteil, sei es sogar förderlich, wenn Menschen lernten, sich im Internet anders mitzuteilen als beispielsweise in einer formellen Situation im Beruf. „Sie haben jetzt drei Kompetenzen“, erläutert die Sprachwissenschaftlerin:

  1. Kompetenz für formelle, schriftliche Kommunikation. Beispiel: Bewerbungsschreiben, E-Mail ans Finanzamt.
  2. Kompetenz für informelle, schriftliche Kommunikation. Beispiel: WhatsApp-Message oder Insta-Post.
  3. Kompetenz für mündliche Kommunikation. Beispiel: Unterhaltung mit Freunden, Kollegen oder dem Paketboten.

Auch bei der mündlichen Kommunikation kann man weiter unterteilen. Hier unterscheidet ein Mensch genauso ganz selbstverständlich, wie er sich ausdrückt: Mit dem Chef reden wir anders als abends in der Kneipe mit Freunden. Mit Fremden sprechen wir anders als mit unseren Eltern. „Das ist immer angepasst an den Zweck der Kommunikation“, erläutert Expertin Marx. Bei einem Sprecher passiert also unterbewusst ganz viel, wenn er zu reden beginnt. Er überlegt sich: In welcher Situation bin ich, mit wem rede ich, was will ich bezwecken? Wie versteht mich mein Gegenüber am besten, wie vermeide ich Missverständnisse?

Was wir manchmal als unangemessen wahrnehmen, kann genauso ein bewusstes Ziel sein: Jugendliche reden Jugendsprache mit ihren Eltern – nicht OBWOHL die Eltern es nicht verstehen. Sondern WEIL die Eltern es nicht verstehen. Sie nutzen die Sprache vielleicht, um sich abzugrenzen und ihre Identität zu stärken. Einige Eltern kennen die Situation, dass andere Eltern (der Kumpels oder der Freundin) erzählen, wie gut sich das Kind bei ihnen benimmt und ausdrückt. Hier ist das kommunikative Ziel vielleicht einfach ein anderes als bei den eigenen Eltern. Bei fremden Eltern will ein Kind vielleicht nicht ganz so viel Abgrenzung ausdrücken und wählt automatisch einen anderen Sprachgebrauch.

Für Sprachwissenschaftler ist das nicht negativ zu bewerten, sie nennen diese unterschiedlichen Möglichkeiten, zu kommunizieren: Varietäten.

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Es gibt nicht EINE deutsche Sprache

Das heißt: Es gibt nicht EINE deutsche Sprache, es gibt ganz unterschiedliche Gebrauchsformen. Das sind quasi Untersysteme, die gemeinsam die deutsche Sprache ergeben. Dazu gehört beispielsweise das Subsystem der Fachsprachen (wie Juristen reden, Lehrer oder Informatiker), es gibt Dialekte (Hessisch oder Alemannisch) und es gibt eben auch sogenannte Soziolekte. Wissenschaftler untersuchen diese Soziolekte und gucken sich an, was die Sprache kennzeichnet, wenn Frauen miteinander reden, Chefs mit Mitarbeitern, Verliebte beim Flirtversuch – und eben auch, wie Jugendliche untereinander kommunizieren oder wie sie per Messenger miteinander schreiben.

Im Youtube-Kanal Die Merkhilfe ist das anschaulich erklärt – übrigens für Abiturienten, bei denen Sprachwissenschaft teilweise auch im Unterricht behandelt wird:

Sprache ist also ein komplexes System, bei dem man nicht einfach sagen kann: Das Eine wird das Andere kaputt machen, verändern oder verdrängen.

Das gilt übrigens auch für andere Sprachen, für Spanisch, Italienisch oder Französisch, wie Sprachwissenschaftler der Universität Freiburg untersucht haben.

Was machen Abkürzungen mit der Sprache?

Besonders auffällig in der Sprache in den sozialen Medien sind Abkürzungen. Auch die sind laut Experten nicht schlimm: „Wenn es schnell gehen muss, warum soll ich da nicht abkürzen?“, so Marx. Abkürzung gebe es seit jeher in der Sprache, das sei nicht neu. In verschiedenen Fachsprachen sei das weit verbreitet, in der Medizin oder bei der Bundeswehr. Da kommt auch keiner auf die Idee zu fragen, ob das langfristig zu einem Sprachverfall beim Militär oder unter Ärzten führen kann. „Das ist also nichts Neues, das ist etwas Ökonomisches, was wir verwenden.Sprachökonomie, nennen das die Wissenschaftler: Der Sprecher will sich unnötigen Aufwand ersparen.

Was machen Emojis mit der Sprache?

Emojis hätten sogar einen Zusatzwert für unsere Kommunikation, so die Sprach-Expertin im SWR3-Interview: „für diese schriftliche Interaktion, der ja doch ein bisschen was von der Mündlichkeit fehlt.“ Heißt: Wir versuchen zu schreiben, wie wir miteinander reden würden – und dazu gehört natürlich ein Gesichtsausdruck, den Emojis abbilden können.

Wenn wir Nähe signalisieren wollen, Freundlichkeit, eine gute Atmosphäre oder wie wir uns fühlen, das aber vielleicht gar nicht mit Worten ausdrücken können, dann ist so ein kleines Bild doch ganz gut als Ersatz. Es geht aber niemals so weit, dass wir nur noch über Bilder kommunizieren, weil wir dann nicht mehr eindeutig sein können.

Und Eindeutigkeit ist wichtig, weil wir verstanden werden wollen: „Genau das, was wir manchmal als Vorteil empfinden – uns nicht immer ganz eindeutig ausdrücken zu müssen, wenn wir Bilder verwenden –, könnte uns dann zum Nachteil werden, wenn wir nur noch das hätten.“ Da kann es zu Missverständnissen kommen und das würde ausschließen, dass die Emojis irgendwann komplett unsere Sprache einnehmen oder ersetzen.

Verlernen wir Groß- und Kleinschreibung?

In sozialen Netzwerken wird oft die Groß- und Kleinschreibung nicht eingehalten, Punkte und Kommata werden ebenfalls oft weggelassen. Selbst hier sieht die Wissenschaftlerin keine negativen Auswirkungen auf die Sprache. Es habe Studien gegeben, die genau damit befasst haben, „und es gab tatsächlich keine Effekte.“ Die Erklärung: „Wir müssen davon ausgehen, dass Schriftsprache erlernt wird, bevor man überhaupt über soziale Medien agieren kann. Also: Ich brauche die Kompetenz, schreiben zu können, bevor ich überhaupt über Messenger oder auf sozialen Netzwerken schreibe.“ Der Deutschunterricht sei deshalb die Basis, das Fundament. Dies sei nach wie vor sehr wichtig. Und daran ließe sich die Kompetenz messen.

Sprache in sozialen Medien unterscheidet sich auch

Wichtig ist in der Linguistik, also der Sprachwissenschaft: Auch die Sprache in den sozialen Medien ist ausdifferenziert. Es gibt nicht DIE Online-Sprache. „Es ist ein Unterschied, mit wem ich kommuniziere“, so die Sprach-Expertin Marx. Menschen könnten sich genauso extrem gewählt ausdrücken via Messenger, wenn sie das wollen und es für sinnvoll halten. Das gelte genauso auch für Facebook oder andere soziale Plattformen.

Sprache verändert sich immer

Auswirkungen der Kommunikation in sozialen Medien auf die Sprache sind also erst einmal nicht durch Studien zu belegen, so bestätigen es viele Wissenschaftler aus der Linguistik. Das Schreiben in einem Messenger würde nicht unsere Kompetenz betreffen, wie wir uns in Bewerbungsgesprächen ausdrücken – weil es zwei völlig unterschiedliche Anwendungsbereiche im Sprachsystem sind.

Klar ist aber auch: Die deutsche Standardsprache (was wir umgangssprachlich als Hochdeutsch bezeichnen) verändert sich durchaus mit der Zeit. Sprachwissenschaftler sprechen von einem ständig voranschreitenden Sprachwandel, den gibt es aber schon länger als soziale Medien oder die aktuellen Jugendsprachen. Sprache ändert sich, je nachdem, wie Sprecher und Hörer es miteinander aushandeln. Dazu sind zwei Punkte besonders wichtig: Kann ich ausdrücken, was ich sagen möchte? Und: Werde ich verstanden, ist meinem Gegenüber klar, was ich will?

Sprachkritiker sehen einen Sprachverfall

Konservative Sprachkritiker bewerten das anders. Sie kritisieren immer wieder, dass die Jugendsprache – inklusive der Ausdrucksweise im Internet – zu einem Sprachverfall führen könnte. Die meisten Sprachwissenschaftler sehen eher einen Ausbau der Sprache. Gerade das viele Schreiben im Internet wird teilweise als positiver Aspekt verbucht:

Auch wenn allgemein über die schlechter werdende Schreibkompetenz der Jugend geklagt wird, ist vermutlich noch nie so viel geschrieben worden wie heute in den neuen Medien: SMS, Chats und Blogs sind schriftliche Formen des Sprechens, die sehr viel Zeit sehr vieler Menschen in Anspruch nehmen.

Soziale Medien und ihre Auswirkungen auf die Sprache stehen auch bei der 55. Jahrestagung des IDS im Mittelpunkt. Zu dem Treffen von Dienstag bis zum Donnerstag werden rund 400 Germanisten aus 25 Ländern in Mannheim erwartet.

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Radio-Interview: Daniel Isengard, SWR3

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