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Stefan Scheurer
Stefan Scheurer (Foto: SWR3)

Weg mit der Steuer auf Sprit und Lebensmittel, dafür das Geld von den Reichen zu dem Armen umverteilen. Eine gerechtere Gesellschaft kann so einfach sein, sagen uns Politiker oft. Wir ordnen die Argumente ein.

Die folgenden Parolen für eine gerechtere Welt hat jeder schon mal gehört. Sie sind auf den ersten Blick einleuchtend, und dennoch wurden diese Forderungen bisher nicht oder nicht vollständig umgesetzt. Wir stellen die Argumente gegenüber und versuchen zu erklären, warum wir manches noch nicht haben, obwohl es gerechter sein könnte. Wie so oft: Es ist leider komplizierter als man denkt.

Preiserhöhung bei Lebensmitteln: Gibt es eine Lösung?

Die Preise für Obst, Gemüse und andere Lebensmittel nehmen stark zu. Bei Diskussionen zu Lösungsvorschlägen hört man gerne:

Mehrwertsteuer auf Lebensmittel abschaffen!

Wenn man die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel abschaffen würde, käme es sofort den sozial Schwachen zugute. In der Praxis, also im Laden beim Einkaufen, ist das auch so. Würde man die ohnehin geringere Mehrwertsteuer von 7 Prozent auf Grundnahrungsmittel wie Obst, Gemüse, Brot, Milch, Fleisch und Fisch abschaffen, dann würden dem Staat Einnahmen von rund 16 Milliarden Euro durch die Lappen gehen. Das klingt verkraftbar, bei einem erwarteten Steueraufkommen von 890 Milliarden Euro in diesem Jahr.

Das erste Problem allerdings ist, dass man sich auf diese Weise jeden Zuschuss in Deutschland kleinrechnen kann, das würde am Ende den Haushalt sprengen. Man muss sich also gut überlegen, wie viel Sinn eine Befreiung in der Gänze zur Gerechtigkeit beiträgt – und nicht nur allen an der Kasse.

Nächstes Problem: Wer im Supermarkt für 100 Euro ausschließlich subventionierte Lebensmittel einkaufen würde, würde zwar etwa 7 Euro sparen. Von der Senkung würden aber viele profitieren, die es gar nicht nötig haben. Das bedeutet, der Staat würde Geld an einer Stelle ausgeben, die nicht zielgerichtet all die unterstützt, die es nötig haben. Viel Geld würde also auch an jene gehen, die die Unterstützung gar nicht brauchen.

Steuern runter für alle ist oft ungerecht

Das Gieskannenprinzip hat eben immer viele Nachteile: Es würde arm wie reich entlasten, was im Umkehrschluss aber bedeutet: Das Geld muss wieder irgendwo herkommen – am Ende auch von den Geringverdienenden, die man gerade eben an der Kasse im Supermarkt noch entlastet hätte. Das macht es kompliziert.

Ein reales Problem ist auch, dass schon jetzt die Mehrwertsteuersenkung auf Grundnahrungsmittel schräge Realitäten mit sich bringt: Babynahrung muss voll besteuert werden, Katzenfutter nicht. Die einen wollen gesunde Lebensmittel von der Mehrwertsteuer befreien, die anderen Grundnahrungsmittel. Richtig und falsch ist also auch eine Frage des Standpunkts.

Ein Einkauf liegt in einem Einkaufswagen in einem Supermarkt. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance/dpa | Fabian Sommer)
Fällt die Mehrwertsteuer weg, werden Lebensmittel zwar billiger, aber Geringverdiener werden nicht automatisch gefördert.

Je nachdem, was genau man wie von der Mehrwertsteuer befreit – und wie es gegenfinanziert wird – entscheidet darüber, wie gerecht es ist. Und genau das ist in der Praxis schwer gerecht hinzubekommen. Viel sinnvoller wäre es, Bedürftigen Pauschalen zu zahlen, um die gestiegenen Preise abzufedern.

Trotzdem: Sozial Schwache auf diese Weise direkt zu unterstützen wäre sehr wohl möglich, das denken quer durch alle Parteien nicht nur viele in der Politik, sondern auch beispielsweise das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Leider gibt es noch folgenden psychologischen Faktor:

Viele Erleichterungen fallen nicht gut auf

Manche Erleichterungen werden jetzt schon gezielt angeboten, Steuererleichterungen für Geringverdienende oder auch „selbstverständliche“ Dinge wie Kindergeld, Kilometergeld. Allerdings verbinden die Menschen damit nicht, dass es das gibt, wenn sie wieder einmal erleben müssen, dass Lebensmittel teurer wurden. Es ist also neben dem gezielten Handeln auch eine Sache der Kommunikation – und das gilt auch für die drei weiteren Beispiele:

Wie kann der Sprit billiger werden?

Pendler und Menschen auf dem Land haben im Moment sicherlich keinen Spaß an der Tankstelle. Die Preise für Benzin und Diesel sind in diesem Jahr stark gestiegen. Für einige ist klar:

Der Sprit wird billiger, wenn die Energiesteuer abgeschafft wird!

Klingt ebenfalls gut, denn: Gäbe es keine Energiesteuer mehr, würde natürlich auch der Sprit erheblich günstiger. Pro Liter Benzin beträgt die Energiesteuer rund 65 Cent, bei Diesel sind es etwa 47 Cent. Normalerweise, denn durch den Tankrabatt liegt die Steuer bis Ende August 2022 ohnehin nur bei gut 30 Cent. Wäre das gerecht?

Abschaffen wäre zunächst einmal kompliziert, denn weniger geht u. a. aus rein europarechtlichen Gründen (und damit auch aus Gründen der europäischen Fairness) nicht. Belastungen im Energiesektor müssen aus nachvollziehbaren Gründen in Europa einigermaßen vergleichbar bleiben, um Vorteile einiger Staaten gegenüber anderen zu verhindern – das ist ein europäisches Gerechtigkeitsprinzip.

Mehr noch: Selbst wenn sich die Politik darüber hinwegsetzen und die Energiesteuer auf Sprit komplett abschaffen würde: Die Einnahmeausfälle wären beträchtlich, 33 Milliarden Euro würden in der Haushaltskasse fehlen, belohnt würden vor allem Vielfahrer und wieder einmal Menschen, die sich dicke Spritschlucker leisten können. Und warum das Gieskannenprinzip zu weiteren Ungerechtigkeiten führt hatten wir ja gerade schon.

Um Geringverdienende zu entlasten wäre es besser, das Geld beispielsweise gezielt in den Ausbau eines exzellenten und günstigen ÖPNV zu stecken, der sogar im ländlichen Raum super funktioniert – denn derzeit haben Geringverdienende weder das eine noch das andere.

 Gucci Boutique in der Altstadt von Florenz. Aufnahmedatum 07. März 2022. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / Daniel Kalker | Daniel Kalker)
Wenn man den Reichen nur genug wegnimmt, haben die Armen was davon. Stimmt das so?

Ist eine Reichensteuer sinnvoll?

Reiche viel stärker besteuern hilft!

Diese Forderung ist mehr Schein als Sein, erstes Problem: Es gibt schlicht zu wenig Superreiche, die sich das gefallen lassen würden. Im Gespräch ist bei der Reichensteuer immer wieder ein Bündel an Steuern, wie die Erbschaftssteuer oder Steuereinkünfte auf Kapitalerträge, um die Einnahmen für den Staat zu erhöhen.

Aber allein die Einkommenssteuer würde kaum einen nennenswerten Anteil in den Staatshaushalt spülen, man geht von 1 Mrd. Euro aus. Damit der Staatshaushalt mehr spürt, müsste beispielsweise der Spitzensteuersatz gründlich erhöht werden. Und es müssten ihn mehr Menschen bezahlen, was wiederum auch die „nur“ Wohlhabenden trifft. Und auch das schafft neue Ungerechtigkeiten.

Was Steuern angeht, läuft es auch jetzt schon so: Reiche zahlen überdurchschnittlich mehr Steuern als ärmere Menschen. Das System ist in diesem Punkt nur in wenigen anderen Ländern so ausgeprägt wie in Deutschland. Der wahre unsoziale und ungerechte Aspekt steckt woanders:

Reiche haben zu viele Schlupflöcher

Das Kernproblem bei der Diskussion einfach erklärt: Reiche haben es immer gut verstanden, ihr Vermögen vor dem Staat in Sicherheit zu bringen, durch viele Tricks kann man sich (nicht nur) in Deutschland arm rechnen. Beispielsweise haben Reiche sehr leicht die Möglichkeit, das Geld so anzulegen, dass sie wenig Steuern auf das Gesamtvermögen oder Umsätze bezahlen müssen.

Komplex ist es deshalb, weil viele der „Tricks“ auch sinnvoll sind: Wenn eine Elektrofirma zehn Leute einstellen will, Autos und Hallen baut, Kredite dafür aufnimmt, entstehen Arbeitsplätze und Dienstleistungen. Um das zu ermöglichen, kommt der Staat diesen Firmen und Investoren entgegen: Steuern sparen ist möglich. Schwer zu sagen also, ab wann Steuersparmodelle immer grundsätzlich ungerecht sind.

Schaffen Reiche neue Investitionen?

Ein anderes Argument: Lasst den Reichen das Geld, denn durch genau diese Investitionen beispielsweise in Firmen können Arbeitsplätze gehalten werden oder neu entstehen. Allerdings: Nicht jede gesparte Steuer eines Unternehmens wird in eine Investition gesteckt, die Arbeitsplätzen (und damit auch dem Sozialsystem) zugute kommt. Viele Wirtschaftsfachleute halten dieses Argument bei sehr reichen Menschen und Firmen für überholt. Hier steckt also eine Ungerechtigkeit, die nicht angegangen wird.

Was bleibt, ist, dass Vermögen gut versteckt werden kann, und bestimmte Steuermodelle offensichtlich sozial ungerecht sind: Amazon, Google, Apple & Co sparen mit vielen Tricks Steuern, obwohl sie hier ihre Geräte verkaufen. Und hier steckt im Verhältnis zur reinen „Reichensteuer“ tatsächlich viel Geld.

Übergewinnsteuer – wieso gibt es sie nicht in Deutschland?

Klar, wer durch die Krisen gewinnt, soll das zahlen, was der Staat aufgrund der Krise mehr ausgeben muss. Ganz nach der Devise:

Wer an einer Krise verdient, soll den Gewinn abgeben!

Die Idee ist nicht neu, die USA haben es im ersten Weltkrieg erfunden, andere Staaten haben es später in Kriegszeiten nachgemacht: Wer am Krieg Geld verdient, soll es abgeben. Klingt erst mal einleuchtend. Aber wie so oft ist es kompliziert:

Denn bisher ist nirgendwo geklärt, was eigentlich ein „Übergewinn“ ist. Also wie viel eine Firma verdienen darf, sodass es noch ein normaler Gewinn ist – und was in Krisenzeiten darüber hinaus geht. Außerdem stellt sich die Frage, wie man einen Übergewinn erkennt:

Denn wenn eine gebeutelte Firma aus einer eignen Krise gerade herauskommt, einen Aufschwung erlebt, obwohl es gerade Krieg gibt: Ist das dann ein Kriegsgewinn? Und wie weist man das nach? Eine Übergewinnsteuer müsste juristisch wasserdicht sein. Und zu definieren, welche Firma wann und wie zu viel verdient, ist schwer. Eine eine einfache Lösung ist in Fachkreisen umstritten.

Wie machen es die anderen? Italien beispielsweise hat eine Übergewinnsteuer – doch die funktioniert nicht so richtig. Tausende Unternehmen zahlen einfach nicht, und die Gründe sind ebenfalls komplex. Eine schnelle Umsetzung, die gerecht und juristisch einwandfrei ist, nicht die falschen trifft, zeitnah in Kraft treten kann und in jeder Krise sicher und sinnvoll funktioniert, ist also hochkompliziert umzusetzen.

Mit Hilfe von Oliver Neuroth und Uwe Bettendorf

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