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Christian Kreutzer
Christian Kreutzer (Foto: SWR3)

Das Regime des syrischen Diktators Baschar al-Assad gilt als das schlimmste Folterregime der Welt. Ein Mann aus Rheinland-Pfalz war dort gefangen und hat jetzt Anzeige erstattet – und SWR3-Redakteur Christian Kreutzer hat eine eigene, ähnliche Geschichte zu erzählen.

Qamischli, Syrien - Stadtzentrum: Mitten in der Stadt an der türkischen Grenze stoßen die Machtbereiche des Assad-Regimes und der kurdischen YPG aneinander. Mit den Kurden bin ich im Dezember 2015 für mehrere deutsche Zeitungen und Online-Portale als Kriegsberichterstatter im Einsatz. Ich will ihren Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ beobachten.

Es ist früher Abend und ich bin ganz nah an einem Assad-Checkpoint. Ich mache ein paar Fotos, umrunde einen Platz. Dann geht alles ganz schnell: Jemand ruft von hinten: „Hey!“.

„Ich entscheide mich loszurennen“

Mir schwant Übles, aber ich gehe weiter – und ahne, dass Assads Leute gar nicht wie erwartet hinter ihrem Checkpoint sitzen. Sie sind in Wahrheit über den Platz verteilt, der eigentlich den Kurden gehört. Die haben einen Großteil von Nord-Syrien erobert. Assads Leute besitzen aber noch kleinere Gebiete dort oben.

Wieder ertönt das „Hey!“. Diesmal lauter und aggressiver. Im nächsten Moment packt mich ein kleiner, kräftiger Kerl von hinten am Arm. Schlagartig fallen mir die Geschichten der Reporter ein, die auf diese Weise gefangen genommen wurden und in den Kerkern des Regimes gelandet sind. Ich entscheide mich loszurennen.

„Zu dritt heben sie mich hoch und tragen mich hinter ihren Checkpoint“

Doch der Kerl hat damit gerechnet: Mit seinem ganzen Gewicht hängt er sich an meinen Arm. Plötzlich legt mir ein weiterer Typ von hinten den Arm um den Hals und drückt zu. Ein Dritter steht plötzlich vor mir. Zu dritt heben sie mich hoch und tragen mich quer über den Platz in den Bereich hinter ihrem Checkpoint.

Keine zehn Sekunden hat es gedauert und ich bin aus der Öffentlichkeit verschwunden – in der Hand des Assad-Regimes. Die, die mich gefangen haben, sind Angehörige einer christlichen Miliz, erfahre ich später.

Dann stehen wir vor einer Mauer mit einer winzigen Tür darin. Durch die wollen sie mich schieben. Ich spüre Panik, stemme einen Fuß gegen den Türrahmen und stoße mich ab. Wir fallen alle vier zusammen hin.

„Nie aufgeben, immer eigene Entscheidungen treffen“

Als wir schließlich doch drinnen sind, halten mich zwei von hinten fest, und der, der mich zuerst angesprochen hat, holt weit aus. Bevor der Schlag mich trifft, ziehe ich den Kopf zur Seite und er trifft den Mann links hinter mir.

Nie einfach aufgeben – das habe ich beim Bundeswehr-Kurs für Krisenreporter gelernt. Immer die Gedanken weiterlaufen lassen und – wenn möglich – irgendwelche eigenen Entscheidungen treffen, selbst wenn sie noch so unbedeutend erscheinen und womöglich zu noch mehr Schlägen führen. Das wirkt dem späteren Trauma entgegen.

Meine eigene Entscheidung für heute war die, den Kopf wegzuziehen. Danach fühle ich mich wirklich etwas „besser“. Doch Assads Schläger fängt gerade erst an: Ich muss mich hinknien und die Hände an die Mauer legen. Dann werden mir die Taschen ausgeräumt.

Der Schläger macht sich derweil einen Spaß daraus mit meinem Kreuz Fußball zu spielen: Immer wieder nimmt er Anlauf und tritt mir mit voller Wucht in den Rücken. Dazwischen schlägt er mir mit der Faust oder der flachen Hand ins Gesicht. Schmerzen spüre ich in diesem Moment keine – dazu habe ich zu viel Adrenalin im Blut.

Ein junger Geheimdienstler lässt mich frei

Irgendwann endet das Ganze mit dem Auftreten eines jungen Geheimdienstlers. Der spricht Englisch und ist höflich. Nach kurzer Zeit versteht er, dass ich kein IS-Kämpfer bin, der einen möglichen Anschlagsort ausspioniert, sondern ein Reporter, der mit den Kurden unterwegs ist.

Ich darf gehen, der Schläger muss sich sogar entschuldigen. Später erst merke ich, dass er mein ganzes Geld behalten hat – und doch bin ich froh, da raus zu sein und in mein Hotel zurückgehen zu dürfen.

Rheinland-Pfälzer zieht vor Gericht

Aus syrischen Gefängnissen geschmuggelte Fotos von Folteropfern. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance/AA)
Aus syrischen Gefängnissen geschmuggelte Fotos von Folteropfern.

Das Assad-Regime gilt als eines der schlimmsten Folterregime weltweit: Bilder, die aus Kerkern in Damaskus herausgeschmuggelt wurden, zeigen Berge von toten Menschen – teils verhungert, teils mit unglaublicher Grausamkeit zu Tode gefoltert.

Das wäre mir als Deutschem mit Sicherheit nicht passiert. Was mir aber hätte passieren können, wird jetzt gerade wieder deutlich: Erstmals geht gerade ein deutscher Staatsbürger juristisch gegen Verantwortliche des syrischen Regimes vor – wegen Folter. Das berichten WDR, SWR und Süddeutsche Zeitung.

Martin Lautwein alles Gute - und danke für den Mut, öffentlich über Foltererlebnisse zu reden! <3 Und die #Innenminister sollten das lesen, bevor sie überlegen, Abschiebungen in den Folterstaat #Syrien zu ermöglichen. #SyriaNotSafe -> https://t.co/prVsh83OFf https://t.co/zIS75deqjo

Zwei Jahre nach seiner Haft in einem syrischen Gefängnis hat sich Martin Lautwein mit Hilfe des „European Center for Constitutional and Human Rights“ (ECCHR) einer Anzeige mehrerer Syrer angeschlossen. Die Strafanzeige beim Generalbundesanwalt, die WDR, SWR und Süddeutscher Zeitung vorliegt, richtet sich gegen namentlich benannte hochrangige Mitglieder des syrischen Geheimdienstes. In der Anzeige sind zahlreiche Verbrechen aufgeführt, unter anderem Folter, Tötung und Vergewaltigung.

 „Die Folter war ständig da“

Knapp sieben Wochen lang war Lautwein 2018 nach eigener Aussage in einem Gefängnis des syrischen Militärgeheimdienstes in Damaskus inhaftiert. Getroffen hat es ihn - wie mich - in Qamischli. Zuvor arbeitete er im Irak und in Syrien für eine Hilfsorganisation, die dort medizinische Infrastruktur aufbaut.

Im Interview mit WDR, SWR und Süddeutscher Zeitung hat er gesagt, in Verhören habe man ihm vorgeworfen, für einen ausländischen Geheimdienst zu arbeiten - ein üblicher Vorwurf im Nahen Osten.

Martin Lautwein war 48 Tage in einem syrischen Geheimdienstgefängnis inhaftiert. Als erster Deutscher erstattet er Anzeige gegen Verantwortliche des Regimes. Er ist ein wichtiger Zeuge in den Ermittlungen wegen systematischer #Folter. #Syrien @LenaKampf https://t.co/5OSE2qRxzr

Im Gefängnis sei der damals 27-Jährige gefoltert worden, sagt er, will aber über Details nicht sprechen. Außerdem habe er miterleben müssen, wie andere Häftlinge brutal misshandelt, vergewaltigt und getötet worden seien.

„Die Folter war ständig da“, sagte Lautwein. "Der Umgang mit den Menschen dort ist einfach nur verachtend. Es geht darum, die Menschen mit allen Mitteln zu brechen." Auch die hygienischen Bedingungen seien unmenschlich gewesen. "Nach zwei Tagen habe ich mich gefühlt wie ein Tier", sagte Lautwein im Interview.

 Menschenrechtsorganisation unterstützt Lautwein

 „Durch den Fall von Martin Lautwein, durch die Strafanzeige und auch durch die Beweise, die er zuliefern kann, erhoffen wir uns neuen Schwung für die Ermittlungen und damit weitere Haftbefehle“, sagte Patrick Kroker von der Menschenrechtsorganisation ECCHR im Interview mit WDR, SWR und Süddeutscher Zeitung.

Auch Martin Lautwein will, dass die Täter vor Gericht kommen. "Als Überlebender bin ich in der Verantwortung darüber zu sprechen, was dort den Menschen passiert und alles zu tun, damit da ein Funken Gerechtigkeit eintritt." In Koblenz hat im April weltweit erstmals ein Prozess gegen Verantwortliche des syrischen Regimes wegen Staatsfolter begonnen.

 Der Fall Martin Lautwein

Martin Lautwein war im Juni 2018 auf einem Basar im nordsyrischen Qamischli gemeinsam mit einem australischen Kollegen verhaftet worden. Die genauen Gründe der Festnahme sind unklar. Beide arbeiteten für die gleiche Hilfsorganisation im Irak und in Syrien, die medizinische Infrastruktur aufbaut. Während dieser Zeit hatte Lautwein eigenen Angaben zu Folge auch Kontakt zu Kurden. Möglicherweise geriet er deshalb ins Visier des syrischen Geheimdienstes.

Nach 48 Tagen kamen die beiden frei. Tschechien, das als einziger EU-Staat eine Botschaft in Syrien unterhält, hatte ihre Freilassung verhandelt. Ob es Gegenleistungen gab, ist nicht bekannt.

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