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AUTOR/IN
Judith Schneider
Judith Schneider (Foto: SWR3)
INTERVIEW
Manuela Rid

Wie kommt es dazu, dass ein Mann seine Ehe-Frau mit einem Messer bedroht? Martin ist das passiert. Eine Geschichte über Gewalt in der Ehe und die Bereitschaft, einen Ausweg zu finden.

Alles begann mit einer Reise nach Thailand, erzählt Martin (der Name wurde von der Redaktion geändert). In seinem Job als Manager war er immer wieder im Ausland, doch als er dieses Mal nach Hause zurückkam, warf ihm seine Frau vor, fremdgegangen zu sein. Sie habe Kontoauszüge kontrolliert und viel nachgeforscht, um Beweise zu finden, die es nicht geben konnte, sagt Martin.

Dieses Nachfassen und immer wieder diskutieren über dasselbe Thema hat sich über fünf, sechs, sieben Wochen hinweggezogen und hat nicht aufgehört. Es hat Ausmaße angenommen, dass ich dann irgendwann in Russland in einem Meeting war und mit SMS bombardiert wurde, sodass mich meine Kollegen und mein Chef schon schräg angeschaut haben, weil mein Telefon nicht stillstand.

Der Streit und die Eifersucht führten schließlich zur Gewalt

Eines Morgens eskalierte die Situation. Seine Frau beschuldigte ihn wieder – diesmal ging es um Nachrichten auf seinem Handy, die er laut ihr gelöscht habe. Beweise dafür habe es wieder nicht gegeben, so Martin.

Mir ist der Kragen geplatzt. Ich wusste mich nicht mehr anders zu verteidigen und habe das Messer rausgezogen, was in der Küche in einem Block stand. Ich habe nach irgendetwas gegriffen. Ich habe ihr das Messer seitlich an die Brust gehalten und zu ihr gesagt: Du hörst jetzt auf der Stelle auf, oder ich vergesse mich.

Für Martin war Gewalt in dieser Situation der einzige Ausweg. „Ich wollte mich durchsetzen. Der Schmerz, den man empfindet, dieses Unwohlsein, wenn man so bedrängt wird, habe ich nur auf mich selbst bezogen und versucht, mich dieses Schmerzes zu entledigen. Und das ist dann das Ventil gewesen.“  

Die gemeinsamen Kinder – 10 und 11 Jahre alt – bekamen alles mit und riefen die Polizei. In dem Moment realisierte Martin, was er getan hatte. Schließlich wurde er von den Beamten aus seinem eigenen Haus verwiesen.

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Gewalt Zuhause: Täter "Martin"

Der Schock über das eigene aggressive Verhalten

Martin selbst hatte es nie für möglich gehalten, dass er einmal gewalttätig sein wird. „Ich war selber von mir entsetzt, wie ich mich so habe provozieren lassen.“ Bis zu diesem Zeitpunkt wusste Martin nicht, dass es Anti-Aggressions-Trainings gibt, die ihm helfen können, seine Wut in den Griff zu bekommen. Durch die Polizei erfuhr er davon und noch bevor die gerichtliche Anordnung bei ihm ankam, meldete er sich dort an.

Martin will sich seiner Aggression stellen – seine Frau sieht das anders

Schon als Kind hat er immer wieder Gewalt erfahren – für ihn ist das eine mögliche Erklärung, warum er so reagierte. Heute ist ihm klar, er hätte es schaffen können, sich umzudrehen und zu gehen. Diese Erkenntnis kam allerdings erst, nachdem er sich Hilfe geholt hatte.

Seine Frau habe den Kurs als unnötig empfunden, so Martin. Sie habe wohl eingesehen, dass sie sich auch nicht richtig verhalten hatte und habe gedacht, dass sie es allein in den Griff bekämen. Für Martin war das aber keine Option. „Ich gehe ja auch zum Zahnarzt, wenn ich Zahnschmerzen habe. Dann geh ich auch irgendwohin, wo ich professionelle Hilfe kriege, wenn so etwas ansteht.“

Das Anti-Aggressions-Training zeigt Erfolg

„Seitdem ich in dem Kurs bin, habe ich eine ganz andere Sichtweise auf das Ganze bekommen“, erklärt er. In dem Kurs lernt er Strategien kennen, um seine Gefühle in den Griff zu bekommen. Sobald er merkt, dass die Wut in ihm wieder hochkommt, sagt er zum Beispiel ein Codewort, das er mit seiner Frau vereinbart hat, um zu signalisieren, dass er nicht mehr kann, dass er sofort aus der Situation raus muss.

Mit seinen Kindern hat Martin mehrfach gesprochen. Er durfte zwei Wochen nicht nach Hause und wollte vermeiden, dass sie sich dafür die Schuld geben und bestärkte sie in dem, wie sie reagiert hatten: „Weggesteckt ist vielleicht das falsche Wort. Aber sie haben verstanden, dass ich einen Fehler gemacht habe und dass ich daran arbeite. Es ist schon so, was ich versuche den Kindern beizubringen: Man muss zu den Fehlern stehen, wenn man sie tut – egal, was man tut.“

Mögliche Täter müssen früh auf Aggressionen angesprochen werden

Viele potentielle Täter wollen sich nicht eingestehen, dass sie Gewalt anwenden würden, wenn es hart auf hart kommt, sagt Martin. Auch er hat sich erst Hilfe geholt, nachdem es schon zu spät war und hätte jeden für verrückt erklärt, der ihm eventuelle Gewaltanwendung unterstellt hätte.

Es ist wichtig, dass man es früh erkennt. (…) Wenn man selbst derjenige ist, sieht man es nicht oder man will es nicht sehen. Nur das Umfeld, das einigermaßen objektiv auf die Situation gucken kann, die können es erkennen – oder die Opfer.

Für ihn sind vor allem zwei Sachen klar: Er hat falsch gehandelt, aber damit seine Frau und er es schaffen können, muss sie sich ebenfalls ändern. Und zweitens: „Wenn man nur den Funken eines Schuldbewusstseins hat und man weiß, wie man sich Rat holen kann, dann macht man so etwas.“



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