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Autor/in
Kira Urschinger
Kira Urschinger
Saskia Wöhler

Das Essen ist eine Qual, der Blick in den Spiegel Selbstgeißelung: Junge Frauen, die an Magersucht leiden, führen einen schwierigen Kampf gegen sich selbst, wenn sie aus der Essstörung ausbrechen wollen. Wir haben mit einer Frau gesprochen, die diesen Kampf angenommen hat.

Josephine ist 17 Jahre alt und sagt von sich, sie habe die Magersucht fast besiegt. Sie will anonym bleiben, deshalb haben wir ihren Namen geändert. SWR3-Reporterin Saskia Wöhler hat sie getroffen.

Ohne professionelle Hilfe geht es nicht

„Was mir geholfen hat, auch wenn es eine große Überwindung ist, war mit meinen Eltern zu reden. Denn die kennen einen ein Leben lang und die werden einen auch immer lieb haben. Und ich glaube, das nimmt eine große Last weg“, erzählt Josephine. Gemeinsam mit ihren Eltern hat Josephine entschieden: Ohne professionelle Hilfe kann sie ihre Magersucht nicht besiegen.

Sich das einzugestehen, sei schwer für sie gewesen, denn die Krankheit sei wie eine Stimme im Kopf, die ihr immer wieder etwas Positives versprochen hat: „dass es mir hilft, perfekter zu werden und mit mir zufriedener zu werden. Und dass ich dadurch glücklicher werde. Wirklich wahrgenommen, dass das nicht normal ist, habe ich erst an meinem Tiefpunkt vom Gewicht.“

Tiefpunkt: 50 Kilo bei 1,77 m

An diesem Tiefpunkt wog Josephine nur knapp über 50 Kilo, bei einer Größe von 1,77 m. Bis zu ihrer Therapie hat sie Kalorien gezählt und dann ihr Essen nur noch nach einer möglichst geringen Kalorienzahl ausgesucht. In ihrer schlimmsten Phase habe sie sich nur noch von Obst und Gemüse ernährt, weil sie das als „gute Lebensmittel“ bewertet habe – wenig Kalorien und trotzdem gesund. Sie merkte, dass etwas nicht gut läuft, dass sich die Leute um sie herum Sorgen machen. Das ist untypisch, sagen Mediziner: Zumeist würden es die Patienten gar nicht oder erst spät selbst realisieren, dass sie krank sind.

Aber Josephine sagt, sie hat es alleine einfach nicht geschafft, etwas zu verändern, weil sie die Kontrolle über diese Abnehm-Stimme im Kopf nicht wiederbekommen hat. Sie beschreibt, dass es quasi zwei Ichs in ihr gab, die miteinander gerungen haben und sie sich dadurch auch zerrissen gefühlt hat. Der eine Teil, der weiter abnehmen und dünn sein wollte – und der andere Teil, der wusste, dass das falsch ist, aber sich nicht richtig wehren konnte.

„So einen wirklich normalen Alltag gab es gar nicht“

Heute kann sie sehr gefasst mit unserer Reporterin darüber sprechen – früher habe das Thema Essen alles kontrolliert. Auch den Familienalltag: „Einen wirklich normalen Alltag gab es gar nicht. Dadurch, dass das gemeinsame Essen immer zu so einem aufgeladenen Thema wird.“

Dreieinhalb Monate Therapie hat Josephine jetzt hinter sich, wiegt jetzt 60 Kilo. In der Klinik musste sie nicht nur lernen, richtig zu essen, sondern vor allem, ihren Körper nicht negativ wahrzunehmen:

Man stellt sich dann in Unterwäsche vor den Spiegel und versucht, seinen Körper neutral zu beschreiben. Und dass man quasi realistisch sieht, dass man ganz normale Sachen an seinem Körper hat.

Das müsse sie auch nach der Therapie weiter üben. Geholfen hätten ihr in der Klinik vor allem ihre Mitbewohnerinnen, so habe sie sich mit ihrer Krankheit nicht alleine gefühlt. „Ich konnte wirklich tolle Menschen kennenlernen und die haben mir in den Situationen auch einfach so ein bisschen Normalität zurückgegeben, also dass man sich auch wieder so ein bisschen von der Krankheit lösen kann“, so erklärt es Josephine. Sie wirkt selbstbewusst und hoffnungsvoll, wenn sie über die kommende Zeit spricht.

Bald kann sie wieder nach Hause – und freut sich schon riesig auf ihre Familie. Aber vor allem: „Wieder in ein richtig selbstbestimmtes Leben einzusteigen. Und ich glaube, wenn man das wirklich möchte und sich da reinhängt, dann ist das auch möglich.“

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Hilfe oder Gefahr

Welche Rolle spielt das Internet?

Essstörungen sind auch ein großes Thema im Netz. Im positiven Sinne, dass Menschen ihren Weg aus den Essstörungen aufzeigen, Beratungsangebote und Informationen von vertrauenswürdigen Anbietern anonym an Angehörige und Betroffene herangetragen werden. Es gibt Insta-Blogs, auf denen insbesondere junge Frauen dazu aufrufen, den Körper zu mögen oder ihren Weg aus den Essstörungen dokumentieren. Es gibt aber auch viele Foren und Gruppen, die genau das Gegenteil bewirken oder sogar konkret in den Fokus nehmen: Hier treffen sich Betroffene, spornen sich gegenseitig an, noch weiter abzunehmen und noch dünner zu werden. Eine große Gefahr, denn gerade Magersucht richtet schwere körperliche und psychische Folgen an, die letztlich sogar zum Tod führen können.

Definition

Was sind Essstörungen?

Essstörungen sind Erkrankungen, die sich in einem gestörten Verhältnis zum eigenen Körper und Umgang mit Essen ausdrücken. Dabei gibt es viele verschiedene Formen: die Magersucht, die Bulimie als Ess-Brech-Störung oder auch die Binge-Eating-Störung, bei der es immer wieder zu extremen Heißhungerattacken und übermäßiger Nahrungsaufnahme kommt.

Viele Betroffene erleiden Essstörungen nicht in einer Reinform, sondern als Mischung aus den verschiedenen Störungen. Wenn eine Mischung aus verschiedenen Formen besteht oder nicht alle typischen Merkmale vorliegen, spricht man medizinisch deshalb von einer Mischform oder einer nicht näher bezeichneten Essstörung

ANAD e.V., ein Versorgungszentrum für Essstörungen, weist darauf hin, dass nicht jeder Mensch, der beim Essen ab und zu über die Stränge schlägt oder eine Diät eisern durchhält, ernsthaft krank ist. Solche Verhaltensweisen könnten aber, wenn andere Faktoren hinzukommen, der Beginn einer Essstörung sein. Der Übergang von einem auffälligen zu einem krankhaften Essverhalten sei oft schleichend.

Essstörungen können und müssen behandelt werden. Je eher die Störung erkannt und behandelt wird, desto besser sind die Aussichten auf eine erfolgreiche Behandlung.

Die Krankheit früh zu erkennen und in Therapie zu gehen, ist eine große Herausforderung. Das liegt vor allem daran, dass Patienten sich oft zunächst nicht eingestehen könnten, dass sie überhaupt ein Problem haben. Psychologe Gunther Schmitt erklärt im Gespräch mit SWR3, dass das aus Perspektive der Betroffenen logisch ist, „weil die Erkrankung ja vermeintlich verspricht, dass man einen besseren oder schöneren Körper oder ein besseres Leben hätte – und da eine Therapie ja vermeintlich etwas dran verändert.“ Besonders wichtig sei daher zu Beginn einer Therapie die Vermittlung von Motivation und das Erfahren, dass Veränderung etwas Gutes sein kann.

Habe ich eine Essstörung oder jemand, den ich kenne? Der Aktionskreis für Ess- und Magersucht Cinderella e.V. stellt online Checklisten zur Verfügung.

Fakten und Zahlen

Wie häufig sind Essstörungen?

Etwa ein Fünftel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland im Alter von elf bis 17 Jahren zeigen Symptome für Essstörungen, so die die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Einzelne Symptome gestörten Essverhaltens seien relativ weit verbreitet: So gelten mehr als 20 von 100 Kindern und Jugendlichen im Alter von elf bis 17 Jahren als auffällig bezüglich ihres Essverhaltens. Sie zeigen also Symptome einer Essstörung, wie etwa Unzufriedenheit mit Figur und Gewicht oder Heißhungeranfälle.

Es ist schon so, dass der Körper oder auch ein Körperperfektionismus aktuell in der Gesellschaft einen sehr hohen Stellenwert hat und dieser auch schon Jugendliche durch mediale Aufmerksamkeit vermittelt wird. Und Jugendliche – gerade in der Pubertät sowieso – ein eher wankendes Körperbild haben und deswegen in diesem Zeitraum dafür empfänglich sind.

So leiden Frauen unter einem Lipödem „Dass eine Berührung weh tut – das versteht niemand“

„Dann mach halt Sport oder iss ein bisschen weniger!“ Das hören Frauen, die unter einem sogenannten Lipödem leiden, häufig. Dabei sind die Fetteinlagerungen eine ernstzunehmende Krankheit, sie betreffen Millionen Frauen in Deutschland. Wir haben mit Johanna gesprochen, die mit der Krankheit und dem Unverständnis kämpft.

Fast die Hälfte der Mädchen und ein Fünftel der Jungen im Alter von 15 Jahren empfindet sich demnach als zu dick – obwohl sie eigentlich normalgewichtig sind. Mehr als die Hälfte der Mädchen hat in diesem Alter schon Diäten ausprobiert.

Die Magersucht hat ihren Beginn vor allem im frühen Jugendalter oder während der Pubertät, aber auch im jungen Erwachsenenalter. Bulimie und vor allem Binge-Eating-Störung beginnen meist etwas später als die Magersucht. Über alle verschiedenen Formen von Essstörungen hinweg sind Mädchen beziehungsweise Frauen deutlich häufiger betroffen als Jungen oder Männer, Experten sprechen von etwa rund doppelt so vielen weiblichen Betroffenen.

Für Magersucht berechnen die Experten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Über den Zeitraum eines Jahres gibt es neun bis 15 Neuerkrankungen bei 100.000 Frauen. Etwa einer von 100.000 Männern erkrankt an Magersucht. Damit ist dies die am häufigsten auftretende Essstörung.

Suche nach Gründen

Welche Ursachen können Essstörungen haben?

Es gibt viele verschiedene Wege in eine Essstörung. Experten gehen davon aus, dass es sich zumeist um ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren handelt, die die Krankheit auslösen. Oft ist es deshalb gar nicht unbedingt notwendig für Betroffene oder Angehörige, sich mit der Suche nach Gründen zu sehr aufzuhalten. Viele Therapieansätze gehen daher weniger dieser Frage nach als der Aufgabe, mit einer Therapie den Heilungsprozess zu ermöglichen.

Ein zentraler Aspekt ist, dass man versucht, eine Mahlzeiten-Struktur aufzubauen, eine regelmäßige Aufnahme von Nahrung zu etablieren und natürlich auch guckt, dass man den Selbstwert von anderen Dingen entkoppelt – wie Leistung, Gewichtszunahme oder -abnahme und dem Patienten versucht, ein besseres Körperbild zu vermitteln.

Dennoch ist es für einige Menschen wichtig, sich selbst und damit die Krankheit ein bisschen besser zu verstehen. Mögliche Ursachen sollten dabei niemals eine Schuldfrage aufwerfen oder Antworten darauf suchen, wer etwas dafür kann oder dazu beigetragen haben könnte.

Das Versorgungszentrum ANAD fasst folgende möglichen Ursachen zusammen:

Biologische Ursachen

  • genetische Disposition – also „Veranlagung“
  • Einfluss bestimmter Hormone und Neurotransmitter

Übrigens: Auch das individuelle Normalgewicht ist genetisch bedingt.

Individuelle Ursachen

  • geringes Selbstwertgefühl
  • hoher Perfektionismus
  • hoher Leistungsanspruch
  • hohes Kontrollbedürfnis
  • geringe Konfliktfähigkeit
  • traumatische Erlebnisse, wie z.B. sexueller Missbrauch
  • Schwierigkeiten bei der Stressbewältigung
  • Essprobleme oder Übergewicht in der Kindheit

Familiäre Ursachen

  • Essstörung oder andere psychische Erkrankung eines Elternteils
  • Fehlen positiver Vorbilder – insbesondere in Bezug auf das Essverhalten oder die Figur
  • fehlende Streitkultur in der Familie
  • Unterdrückung und Verdrängung von negativen Gefühlen
  • problematische Ablösungsprozesse, z.B. übermäßige Kontrolle durch die Eltern
  • Übernahme von zu viel Verantwortung durch das Kind (z.B. nach einer Scheidung)

Soziokulturelle Ursachen

  • vorherrschendes Schönheitsideal, verbreitet durch die Medien
  • Thematisierung von Essen, Figur, Gewicht und Aussehen unter den Gleichaltrigen
  • Vergleich unter Gleichaltrigen, Mobbing oder negative Kommentare

Was ist Schönheit? Zwischen Sein und Schein.

Für Betroffene und Angehörige

Hier findest du Beratung und Hilfe bei Essstörungen

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