Kann jemand wie Sebastian Lehmann überhaupt wütend werden? Hier verrät er's uns...
Leider werde ich manchmal wütend. Und raste ein wenig aus. Ein Freund von mir meint, ich sei so etwas wie ein umgedrehter Hulk. Wenn ich mich aufrege, werde ich nicht grün, sondern rot – und noch kleiner.
Die Wut in der Warteschlange
Wie kürzlich bei Ikea. Ich stehe in der Kassenschlange. Ein Typ kommt angeschlendert – und stellt sich einfach vor mich. „Entschuldigung, hier ist eine Schlange“, sage ich.
„Achso! Das habe ich gar nicht gesehen.“
„Na, klar, du verblödeter Volldepp“, schreie ich, jetzt doch leicht erregt. „Diese 40 Menschen, die hintereinander vor der Kasse stehen, sind hier nur zufällig vorbeigekommen. Eigentlich warten wir alle, dass wir von unseren Erziehungsberechtigten abgeholt werden.“
„Regen Sie sich doch nicht gleich so auf“, sagt der Mann.
Ich nehme einen Teller namens Klökmann aus meinem Einkaufswagen und werfe ihn vor ihm auf den Boden. Dann kommt auch schon der Sicherheitsdienst. „Herr Lehmann, Sie schon wieder? Kommen Sie mit zum Kinderparadies. Im Bällebad können Sie sich doch immer so gut abregen.“
Ich kann besser mit Menschen umgehen, die wenigstens offen zugeben, rücksichtslos zu sein. Er hätte einfach sagen sollen: „Ja, natürlich hab ich mich vorgedrängelt. Ich bin einfach viel wichtiger als du mit deinen billigen Klökmann-Tellern.“ Da weiß man, woran man ist. Ich nenne das den Friedrich-Merz-Move.
Die Wut über SUV-Fahrer
Noch wütender macht mich aber, wenn mich ein riesiger SUV auf der Busspur überholt und sich dann vor mir auf die normale Spur einfädelt. Da kann ich schon an der nächsten Ampel aussteigen und wie wild gegen den Kofferraum treten. Leider sieht mich der SUV-Fahrer nicht, weil ich so klein und rot bin. Als ich dann zurück zu meinem Auto will, ist schon ein Passant eingestiegen – und fährt weg.
Die Wut im Supermarkt
Aber wirklich am wütendsten macht mich, wenn der Pfandflaschen-Rücknahme-Automat im Supermarkt meine Pfandflasche nicht zurücknimmt und sagt: „Flasche nicht im Sortiment.“ „Ich habe die Flasche Eierlikör aber hier im Supermarkt gekauft, du beschissene Maschine“, schreie ich und stecke meinen Kopf in die Öffnung des Rücknahme-Automat.
„Flasche nicht im Sortiment“, sagt er. Vor Wut bewerfe ein paar Kinder mit Plastikbällen. „Herr Lehmann, bitte“, sagt der Sicherheitsmann. „Oder wir rufen wieder ihre Mutter an.“
Podcast-Kolumne Sebastian Lehmann – Elternzeit
Sebastian Lehmann, in Freiburg geboren, lebt in Berlin. Seit über zehn Jahren schreibt er Kurzgeschichten über Themen wie Langeweile, Apokalypse, Jugendkulturen, Kapitalismus und Elche (!!!). Er liest sehr erfolgreich auf Poetry Slams in ganz Deutschland und bei der Lesebühne Lesedüne in Kreuzberg. Hauptthema: Seine Jugend und die Beziehung zu seinen Eltern.