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Ferdinand Vögele
Ferdinand Vögele (Foto: SWR3)
Jakob Reifenberger
Jakob Reifenberger (Foto: Jakob Reifenberger)

Bei dieser Überschrift kommen sofort die krassen Bilder an Silvester aus Berlin und anderswo in den Kopf: Böller und Raketen fliegen auf Rettungskräfte! Aber ist sowas schon Alltag im Rettungsdienst oder die Ausnahme?

Jeder hat körperliche Angriffe schon erlebt“, ist mit das erste, was uns Anne-Katrin Mendoza sagt. Die 37-Jährige leitet die DRK-Rettungswache in Nieder-Olm, einer kleinen Gemeinde, direkt neben Mainz. Seit sie 18 ist, fährt sie Rettungseinsätze – früher in der Stadt, jetzt auf dem Land und hat viel gesehen und erlebt.

Die Übergriffe, bei denen man Verletzungen davon trage, blieben im Gedächtnis, sagt sie. Und natürlich gäbe es auch viele Beschimpfungen und verbale Grenzüberschreitungen jeglicher Art. Gerade bei Frauen würden Außenstehende außerdem gerne mal deren Kompetenz in diesem Beruf anzweifeln.

Das klingt alles ziemlich krass und deckt sich auch mit anderen Berichten. Doch dann erzählt Anne-Katrin, wie sie – aus ihrer Sicht – das alles wahrnimmt und korrigiert manche Bilder, die man vielleicht im Kopf hat. Hier gibt's das Videointerview:

Notfallsanitäterin: So erlebt sie Gewalt gegen Rettungskräfte

Es sei nämlich im Normalfall nicht der prügelnde Mob, der gezielt auf Rettungskräfte, Polizei oder Feuerwehr losgeht, sagt sie. Die Gewalt, so wie sie und ihre Kollegen sie erleben, komme vielmehr ganz oft von den Patienten und habe mit deren Erkrankung zu tun. Sie macht ein Beispiel:

Diabetiker, die eine Unterzuckerung haben, sind häufig aggressiv, weil ihnen der Zucker fehlt.“ Als Notfallsanitäterin werde sie für solche Situationen geschult, sagt sie. Wäre es dann richtig, das als tätlichen Übergriff zu werten, überlegt sie laut. Natürlich sei das ein körperlicher Übergriff. Natürlich sei ihr Gewalt geschehen. Doch ihr Fazit lautet: „Ich bin diejenige, die damit lernen muss, umzugehen in dieser Situation“.

Gewalt gegen Rettungskräfte hat verschiedene Ursachen

Psychische Erkrankungen, Alkohol- oder ein Drogenrausch seinen häufig die Ursachen, wenn es zu Gewalt gegen Rettungskräften kommt, sagt Anne-Katrin. Außerdem sei mit dem Anruf beim Rettungsdienst ja in den seltensten Fällen eine positive Emotion verbunden. Starke Emotionen wie Wut, Frustration, Angst oder Hilflosigkeit seien dann bei den Patienten vorhanden und der Rettungsdienst, der in diese Situation reingeht – sozusagen an vorderster Front – bekomme diese eben ab.

Von wem die körperliche oder verbale Gewalt ausgehe und wie sich diese äußert, habe auch mit dem Einsatzgebiet der Rettungswache zu tun, sagt die Notfallsanitäterin. In der Stadt spielten Themen wie Obdachlosigkeit, soziale Brennpunkte oder das Vorhandensein einer Partyszene eine Rolle. Auf dem Land ist es vielleicht das Weinfest, das früh angefangen hat und bei dem schon entsprechend viel Alkohol geflossen ist.

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Notfallsanitäterin: Gezielte Gewalt gegen Rettungskräfte ist die Ausnahme

Dass Menschen wirklich gezielt und in voller Absicht Gewalt gegen Rettungskräfte ausüben, sei wirklich die Ausnahme, bekräftigt Anne-Katrin mehrfach. „Wer macht denn so etwas mutwillig?“ Aber sie wolle das auch nicht kleinreden. Charaktere, die gezielt übergriffig sein wollen, gäbe es sicherlich, „aber das ist doch eher die Minderheit“. Und dann sagt Anne-Katrin noch einen Satz, der hängen bleibt:

Das, was ich sagen kann: Die letzten Jahre ist das für mich gefühlt auch eher die Hilflosigkeit und die Angst, die aus den Menschen spricht.

An dieser Stelle wechselt das Gespräch in eine andere Ebene und es geht immer wieder um das große Ganze im Gesundheitswesen: Fehlende Ärzteversorgung (auf dem Land), überlastete Hotlines, frustrierte Patienten aber auch um krasse Anspruchshaltungen. Patienten, die unbedingt vom Rettungswagen abgeholt werden wollten – auch bei Kleinigkeiten. Für Anne-Katrin ist es nicht einfach, darüber zu sprechen.

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Das hat sich im Umgang mit Rettungskräften wirklich geändert

Doch dann wird sie wieder ganz konkret und spricht von einem Riesenthema, als es um Gaffer geht. Da habe sich wirklich was verändert im Vergleich zu vor 20 Jahren, sagt sie. Rettungskräfte seien immer mehr konfrontiert mit privaten Handyaufnahmen. Sofort würde das Handy gezückt und drauf losgefilmt. „Wenn man sagt: ‚Bitte, können Sie das Handy ausmachen?' Oder:‚Können Sie es bitte runternehmen? Können Sie bitte Platz machen?' Das wird überhaupt nicht mehr angenommen.

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Anne-Katrin erklärt aber auch, dass Gaffer oft davonkommen. Die Rettungskräfte könnten zwar gegen sie vorgehen, müssten dies aber während des Einsatzes leisten. Das sei häufig nicht machbar, weil sie sich um die Patienten kümmern müssten. Und so bleibe es eben meistens nur bei mündlichen Ansagen an die Gaffer.

Wie ihr euch an einer Unfallstelle richtig verhalten könnt, klären wir in diesem Video:

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