Unwürdig – der Fall Christian Wulff
(Off-Stimme) 598 Tage. So lange war Christian Wulff Bundespräsident. Der bisher jüngste – und der mit der kürzesten Amtszeit. Noch nie ist ein Politiker so schnell so hoch aufgestiegen – und dann so tief gefallen.
Collage produziert: Es sind verschiedene Zitate von Wulff und Berichterstattungen zu hören
Lammert und Wulff: “Christian Wulff, nehmen Sie die Wahl zum Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland an?”
“Sehr geehrter Herr Präsident, ich nehme die Wahl außerordentlich gerne und aus Überzeugung an und freue mich auf die verantwortungsvolle Aufgabe.”
Tagesschau: “Christian Wulff ist zum neuen Bundespräsidenten gewählt worden.”
Christian Wulff: “Ich war CDU-Ministerpräsident und war innerhalb von einem Tag quasi zum überparteilichen Bundespräsidenten mutiert.”
Ulrich Deppendorf: “Christian Wulff ist im 100-Kilometer-Tempo von einem Ministerpräsidenten eines Landes in dieses Amt hochgeschossen worden.“
Panorama: “Und so sieht der momentan beliebteste deutsche Politiker aus. Ministerpräsident Wulff, ganz Staatsmann, wenngleich immer noch ein wenig blass.”
Christian Wulff: “ Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.”
Tagesschau 13.12.2011: “Bundespräsident Wulff ist wegen eines früheren privaten Darlehns in die Kritik geraten.“
Angela Merkel: “Ich wiederhole gerne noch einmal, dass ich die Arbeit des Bundespräsidenten schätze.“
Schausten und Wulff: “Aber da hätten Sie natürlich auch sagen können, ich gebe euch mal pro nach 150 € so, was spricht dagegen eigentlich? Machen Sie das bei Ihren Freunden so? Ja.”
Kai Diekmann: “Hier ging es um die Frage, ist ein Bundespräsident seinem Amt gewachsen, oder ist er dem nicht gewachsen.”
Götschenberg: “Ich bin ja der Überzeugung, dass das im Endeffekt ein Machtkampf zwischen dem Bundespräsidenten und den Medien war.“
Politiker*innen über Wulff: “Das kommentiere ich nicht.“
“Als hätte unser Land keine wichtigeren Probleme.“
“Ich kann kein juristisches Fehlverhalten erkennen.”
Christian Wulff: “Ich trete deshalb heute vom Amt des Bundespräsidenten zurück, um den Weg zügig für die Nachfolge frei zu machen.”
Christian Wulff: “Man kann das überhaupt nicht in Worte fassen und gar nicht beschreiben, was das mit einem macht. Man könnte in einem solchen Moment zugrunde gehen.”
Leyendecker: “Es ist ja ein großes Glück, dass er nicht von der Brücke gegangen ist.”
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[Musik]
Christian Wulff – Der Fall des Bundespräsidenten Episode 1: Die Mailbox
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Kilian Pfeffer: So, das war diese unglaubliche Geschichte im Schnelldurchlauf. Wie Christian Wulff Bundespräsident wurde – und wie schnell das dann vorbei war. Die Story geht gleich richtig los. Vorher wollen wir uns aber mal schnell vorstellen. Wer sind wir eigentlich, warum machen wir diesen Podcast und was passiert in den nächsten sieben Folgen.
Christopher Jähnert: Ich bin Christopher Jähnert, das ist Kilian Pfeffer. Und wir sind Korrespondenten im SWR-Hauptstadtstudio in Berlin. Und unglaubliche Geschichte wird dem was da passiert ist, glaube ich, noch gar nicht unbedingt gerecht. Man muss klar sagen: So etwas gab es noch nie in Deutschland. Ein Bundespräsident, der so schnell so tief gefallen ist. Das ist das höchste Amt, muss man sich vorstellen, dass es in Deutschland gibt. Der erste Mann im Staat. Und er wurde damals, vor zehn Jahren ungefähr, regelrecht gejagt. Das ist einmalig – und ich glaube, das dürfte auch erst mal einmalig bleiben.
Kilian: Viele erinnern sich noch an diese Story. Und wir haben auch vor etwa eineinhalb Jahren festgestellt: Ja, wir wissen schon noch grob, was ungefähr passiert ist. Aber die Details – ich hatte die nicht mehr so richtig präsent. Obwohl wir sagen müssen: Wir beide waren zu der Zeit als Nachrichtenredakteure auch für SWR3 im Einsatz und haben so ungefähr alles mitverfolgt – aber eben nicht selbst recherchiert. Und jetzt haben wir festgestellt: Das ist ein absoluter Polit-Krimi, der da abgelaufen ist. Und deshalb sind bei uns jetzt so im Nachhinein auch noch viele Fragen entstanden, denen wir unbedingt nachgehen wollten.
Christopher: Man kann auf jeden Fall sagen: Christian Wulf, das war von 100 auf Null in kürzester Zeit. Erst der beliebteste Politiker, er und seine Frau Bettina, die Kennedys von Berlin und so weiter. Und ganz plötzlich war das vorbei. Der brutale Absturz. Er verliert sein Amt und muss dann sogar noch vor Gericht. Und da fragt man sich natürlich schon: Wie ist es dazu gekommen?
Kilian: Genau. Was wir uns zum Beispiel gefragt haben: Hatte er zu viele Feinde? Wer wollte ihn abschießen? Hat er vielleicht selbst Fehler gemacht? Wir gehen solchen Fragen nach. Wir haben Christian Wulff selbst interviewt – obwohl er da gar nicht mehr so gerne drüber spricht. Da mussten wir ihn lange überzeugen, dass er nochmal was dazu sagen möchte. Wir haben mit Kai Diekmann gesprochen, dem damaligen Chef der Bild, der ja auch immer wieder sozusagen als sein großer Gegenspieler galt. Und wir haben mit vielen Politikern gesprochen, anderen Journalisten, Betroffenen, Zeitzeugen. Weil wir nochmal genau wissen wollten: Was muss alles zusammenkommen, damit ein Bundespräsident zurücktreten muss.
Christopher: Wir beide gehen einfach die komplette Affäre Wulff noch einmal durch. Das war für uns nochmal unglaublich spannend, weil wir nie wussten, wo uns das hinführt. Das berühmte „Weiße Blatt Papier“ sozusagen. Wir stoßen da immer wieder an Punkte, an denen wir selbst auch ratlos waren und keine Ahnung hatten, warum die Geschichte sich in eine bestimmte Richtung entwickelt hat.
Kilian: Und ganz ehrlich: Wir haben uns wirklich oft gefragt: Was ist das denn jetzt? Wenn unsere Informanten uns zum Beispiel einen Tipp gegeben haben. Uns Dinge erzählt haben, die wir noch nie gehört hatten. Wir haben dann immer wieder zusammengesessen und lange diskutiert und versucht, irgendeine Antwort zu finden. Manchmal haben wir eine gefunden, manchmal sind wir aber auch einfach ratlos zurückgeblieben.
Christopher: Und daraus ist dann nach und nach dieser Podcast entstanden, der immer wieder auch so Züge eines Polit-Thrillers hat, wo einem dann auch Schauer über den Rücken laufen. Wie gesagt: So etwas gab es zuvor nicht – und sowas wird es womöglich auch nicht mehr geben. Dass jemand so schnell zur Nummer 1 in Deutschland aufsteigt – ganz oben ist, und dann so schnell so tief fällt.
Kilian: Irgendwie geht es in diesem Podcast auch immer um die Frage: Wie schmutzig ist eigentlich Politik? Und jetzt schauen wir erstmal darauf, wie diese ungeheuerliche Geschichte angefangen hat.
Dezember 2011. Bundespräsident Christian Wulff ist unterwegs. Auf einer Reise durch die arabischen Golfstaaten. Oman, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate, Kuwait. Und am Abend des 12. Dezember begeht Christian Wulff einen der wohl größten Fehler seines Lebens. Er spricht auf die Mailbox von Bild-Chefredakteur Kai Diekmann.
[Mailbox-Piepen]
„Guten Abend, Herr Diekmann, ich rufe Sie an aus Kuwait. Bin grad auf dem Weg zum Emir und deswegen hier sehr eingespannt, weil ich von morgens acht bis abends elf Termine habe. Ich bin in vier Golfstaaten unterwegs und parallel plant einer Ihrer Journalisten seit Monaten eine unglaubliche Geschichte, die morgen veröffentlicht werden soll und die zum endgültigen Bruch mit dem Springer-Verlag führen würde. Und die Frage ist einfach, ob nicht die Bild-Zeitung akzeptieren kann, wenn das Staatsoberhaupt im Ausland ist, zu warten, bis ich Dienstagabend wieder komme. Also morgen. Und dann Mittwoch eine Besprechung zu machen, wo ich mit Herrn X, den Redakteuren und Ihnen, wenn Sie möchten, die Dinge erörtere und dann können wir entscheiden, wie wir die Dinge sehen. Und dann können wir entscheiden, wie wir den Krieg führen.“
[Mailbox-Piepen]
Kai Diekmann, der Bild-Chef, das ist sozusagen Wulffs großer Gegenspieler in dieser Geschichte.
Das, was wir eben gehört haben, ist zwar der Original-Text. Wir haben ihn allerdings gekürzt und von einem neutralen Sprecher vorlesen lassen. Denn: Die Aufzeichnung ist nach wie vor unter Verschluss. Christian Wulff möchte sie nicht freigeben. Fernmeldegeheimnis. Woher wir den Text trotzdem kennen, darum geht es ausführlich in Folge 2.
Jetzt klären wir erst mal: Warum hat Wulff überhaupt bei Diekmann angerufen? Es geht um eine Geschichte, an der die Bild-Zeitung und andere Redaktionen schon monatelang recherchiert haben. Sie wollten herausfinden: Wie hat Christian Wulff sein Haus in Großburgwedel bei Hannover finanziert? Wer hat ihm den Kredit gegeben? Und ging alles mit rechten Dingen zu?
Tagesschau 13.12.2011:
“Bundespräsident Wulff ist wegen eines früheren privaten Darlehens in die Kritik geraten. Als niedersächsischer Regierungschef hatte Wulff sich 500.000 Euro von der Frau eines befreundeten Unternehmers geliehen. Bei seiner Antwort auf eine Anfrage der Grünen, ob er geschäftliche Beziehungen zu dem Unternehmer unterhalte, erwähnte er den Kredit nicht. Nach Ansicht der Grünen hätte Wulff das Darlehensverhältnis offenlegen sollen.“
Ein Ausschnitt aus der Tagesschau vom 13. Dezember 2011. Schon am Abend davor hat die Bild-Zeitung online ihren Artikel dazu veröffentlicht. Überschrift:
„WIRBEL UM PRIVAT-KREDIT ÜBER 500 000 EURO - Hat Wulff das Parlament getäuscht?“
Genau diesen Artikel wollte Wulff so nicht lesen – und ruft deshalb kurz vorher bei Chefredakteur Diekmann an. Wir haben Christian Wulff gefragt, was ihn dazu motiviert hat.
Christian Wulff: „Die übelsten investiven, investigativen Journalisten, die die Bild-Zeitung zur Verfügung hat - was Sie im Internet schnell recherchieren können - waren wochenlang auf mich angesetzt und hatten bei den Voreigentümern des Hauses und anderen Angst und Schrecken verursacht, mit Strafverfahren gedroht, mit Mittäterschaft von Mittäterschaft gesprochen und das drang immer mehr zu mir durch. Und das fand ich völlig unangemessen.“
Das klingt einigermaßen emotional. Aber Wulff sagt: Er habe nur darum gebeten, dass die Veröffentlichung des Artikels verschoben wird. Kai Diekmann sieht das allerdings anders. Wir fragen direkt nach.
Kai Diekmann: „Ich bin im Flugzeug nach New York gewesen, auf dem Weg zu einer Veranstaltung, und die Geschichte war zur Veröffentlichung geplant für den Montag und während des Fluges hatte ich dann telefonisch Kontakt mit meiner Redaktion und wurde informiert, dass der Bundespräsident den Wunsch geäußert hat, mit der Beantwortung der Fragen einen weiteren Tag Zeit zu bekommen. Und das war für mich eine Selbstverständlichkeit, dass, wenn der Bundespräsident, der auf Reisen ist, hier um Aufschub bittet, dass er diesen Aufschub auch bekommt.“
Aus der Redaktion der Bild-Zeitung kam offenbar der Vorschlag, dass Wulff nochmal selbst mit Chefredakteur Diekmann telefonieren soll – und mit ihm über die gewünschte Verschiebung sprechen. Das Problem: Wulff erreicht ihn nicht – und spricht ihm stattdessen auf die Mailbox.
Kai Diekmann: „Dass es eine große Geschichte wird, allerdings anders als ich mir das vorgestellt hatte, war mir klar, nachdem ich die Mailbox abgehört hatte.“
Jetzt geht es nicht mehr nur darum, ob der Bundespräsident sein Haus möglicherweise zweifelhaft finanziert haben könnte. Sondern darum, welches Verhältnis Wulff zu den Medien hat – und ob er versucht, Berichterstattung zu verhindern.
Christian Wulff: „Ja, sie bekommen bei einer Golfreise zwischen verschiedenen Golfstaaten, einem Staatsbesuch in verschiedenen Golfstaaten mit einer Riesendelegation, bekommen Sie um halb sieben gesagt: Morgen wird die Bild mit der und der Nachricht aufmachen, bei der ich wusste, dass sie so falsch ist. Und wir können das nicht verhindern. Die bringen das Morgen und der Einzige, der das verhindern kann, das sind sie selbst, Herr Bundespräsident. Dann müssten sie jetzt versuchen, den Chefredakteur zu erreichen. Und da hab ich gesagt, dann versuche ihn zu erreichen. Und da ging die Mailbox an. Dann habe ich ausführlich meine Position sehr sachlich, sehr ruhig dargestellt und dann nimmt das Ding seinen Lauf.“
Genau da gibt es aber offenbar einen gewissen Interpretationsspielraum. Wie ruhig und sachlich hat Wulff sein Anliegen wirklich vorgetragen?
Kai Diekmann: „Wenn zwei Mal von Krieg die Rede ist, dann ist das gar nicht anders zu verstehen als eine Drohung. Und genau das ist es ja auch gewesen.“
Kilian Pfeffer:: Kilian Pfeffer und Christopher Jähnert nochmal. Wir hatten durch unsere Quellen die Gelegenheit, die Mailboxnachricht zu hören – obwohl sie ja eigentlich unter Verschluss ist. Das war schon spannend.
Christopher Jähnert: Wir kannten ja bis dahin auch nur den Text. Und haben uns natürlich gefragt: Wer sagt die Wahrheit – Christian Wulff oder Kai Diekmann? War es jetzt eine Drohung oder war es keine?
Kilian: Es gibt da einen ganz interessanten Effekt. Wenn man sich nur den Text durchliest, dann hat man den Eindruck: Das ist schon ganz schön bedrohlich.
Christopher Jähnert: Und dann hört man ihn – und man merkt Wulff an, dass er sicherlich wütend ist, dass sich da was aufgestaut hat. Vielleicht auch ein bisschen Verzweiflung. Aber er trägt das relativ sachlich vor alles.
Kilian: Er ist schon angespannt, aber er schreit nicht rum oder so. Er verhaspelt sich ab und an mal. Klingt am Ende fast schon ein bisschen versöhnlich.
Hat Christian Wulff Kai Diekmann und der Bild-Zeitung gedroht oder nicht? Für den damaligen Chef des ARD-Hauptstadtstudios, Ulrich Deppendorf, war ganz unabhängig vom Ton klar, dass so etwas einfach nicht geht.
Ulrich Deppendorf: „Ja ich habe gedacht, das ist der größte Fehler, den ein Bundespräsident machen kann. Dass er einen Chefredakteur anruft, unter dem Motto, ich möchte gerne. Wobei man eines ja noch sagen muss, er hat ja in dem Mail-Anruf zunächst mal nur gesagt, ich würde gerne noch einen Termin mit ihnen haben und dann kam ja dieser entscheidende Satz.”
„dann können wir entscheiden, wie wir die Dinge sehen und dann können wir entscheiden, wie wir den Krieg führen.“
Ulrich Deppendorf: „Und das war eigentlich unentschuldbar. Also als ich das gehört habe, sowas habe ich noch nie gehört und da muss irgendeiner ihn entweder falsch beraten haben, oder aber, was wohl eher der Fall ist, es war gar keiner da, der ihn beraten hat, sondern er war so aufgebracht und hat da gleich angerufen. Wobei es auch, Herr Wulff früher auch schon mal, bei anderen Sendern sich ab und zu mal meldete, wenn ihm was nicht gefallen hatte.”
Kai Diekmann: „Das war mir schon klar, dass das etwas ist, was mit dem Amt des Bundespräsidenten in dieser Form nicht vereinbar ist, ne. Das war nicht die Bitte um Aufschub, sondern es war eine klare Drohung. Ne, hier ist ein Rubikon überschritten und das Wort Krieg ist zweimal gefallen. Also, da, und ich werde mich hinsetzen und wir werden die Anwälte in Gang setzen und so weiter und so fort.”
Christian Wulff: „Das war nicht mein Ansehen, hier jemanden in irgendeiner Form unter Druck zu setzen. Sondern es war mein Ansehen, darum zu bitten, dass man aufhört, hier gegen mich zu operieren, auch noch in der Zeit wo ich mich gerade im Ausland befinde als Repräsentant unseres Landes. Und da hätte sich keiner einen Zacken aus der Krone gebrochen, wenn er dann einen Tag oder zwei, bis nach meiner Rückkehr, gewartet hätte.”
Vielleicht fragt sich jetzt der ein oder andere: Wo ist eigentlich das Problem? Wieso kann ein Bundespräsident nicht einfach bei einer Zeitung anrufen und sagen, dass er mit der Berichterstattung nicht einverstanden ist? Kurzer Blick ins Grundgesetz:
„Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“
Das bedeutet: Der Bundespräsident, der über allem steht und genau diese Pressefreiheit auch gewährleisten soll, darf sich so etwas nicht erlauben – selbst wenn er wütend ist. Findet auch der Medienjournalist Stefan Niggemeier.
Stefan Niggemeier: „Natürlich war mir klar, dass das ein Fehler ist. Also ein Bundespräsident, der dem Chefredakteur der BILD-Zeitung auf die Mailbox spricht und ihn dazu auffordert, eine gewisse Berichterstattung zu unterlassen, setzt natürlich sofort in Gang, so einen solidaritäts-, solidarisierungs-Effekt der Presse. Also zu sagen, was immer man sonst von der BILD-Zeitung halten mag, das geht natürlich nicht, dass das Staatsoberhaupt in eigener Sache den Journalisten auffordert, irgendetwas nicht zu veröffentlichen, irgendetwas nicht zu bringen.”
Das ist also die Mailboxnachricht, von der kurze Zeit später alle sprechen. Aber zu diesem Zeitpunkt weiß die Öffentlichkeit noch gar nichts davon. Es ist eine Sache zwischen Wulff und Diekmann.
Erst mal geht es um ein anderes gewaltiges Problem: Die Presseanfragen, die sich um den Hauskredit drehen. Den finden zum damaligen Zeitpunkt viele merkwürdig. Die Sache wächst Wulff und seinem Team im Bundespräsidialamt offenbar über den Kopf. Sie haben die Kontrolle verloren. Jetzt muss ein Profi ran.
Gernot Lehr: „Ich bin Gernot Lehr, bin Anwalt seit rund 34 Jahren.”
Dieser Mann ist ausgewiesener Spezialist für solche Fälle. Und er hat auch schon anderen Bundespräsidenten aus der Klemme geholfen.
Gernot Lehr: „Ich weiß noch genau, ich war in einer Verhandlung beim Bundesgerichtshof, saß im Zug zurück nach Bonn aus Karlsruhe. Und während dieser Zugfahrt erreichte mich auf dem Handy ein Anruf, ob ich die Möglichkeit hätte, am kommenden Morgen, am Tag drauf morgens um 08:00 Uhr im Bundespräsidialamt zu sein.”
Einen Tag später: Krisensitzung im Schloss Bellevue. Und bei dieser Sitzung erfährt Gernot Lehr auch, dass es noch ein anderes Problem gibt. Die Mailbox, über die wir eben schon gesprochen haben.
Gernot Lehr: „Dass der Bundespräsident mit all seiner staatlichen Autorität bei einem Chefredakteur auf die Mailbox Nachricht spricht und dort eine bestimmte Berichterstattung, die drohte, oder eine bestimmte Recherche, die begonnen hatte, kritisierte, das ist ein Schritt, den man menschlich verstehen kann. Die menschliche Motivation war mir klar, er wollte da seine Familie, seine Nachbarschaft schützen. Die aber natürlich sofort rechtlich sehr problematisch eingeschätzt werden kann. Und habe das für einen Fehler gehalten, habe das auch so formuliert.”
Trotzdem: Gernot Lehr glaubt nicht, dass die Ansage auf der Mailbox des Bild-Chefredakteurs der einzige oder entscheidende Faktor für das war, was mit Christian Wulff in den Tagen und Wochen nach der Mailbox-Nachricht passiert.
Gernot Lehr: „Ich bin fest davon überzeugt, dass diese unselige Mailbox-Nachricht nicht der Grund ist dafür, dass man mit aller Gewalt versucht hat, in den Medien, Herrn Wulff in irgendeiner Form ein Fehlverhalten nachzuweisen.”
Aber: Was könnte es dann gewesen sein? Sollte Christian Wulff absichtlich gestürzt werden? Das klären wir in den nächsten Folgen. Kleiner Spoiler: Christian Wulff kann nicht für alles was. Aber die Mailbox war nicht der einzige Fehler von Christian Wulff.
[ENDE Folge]