Das Zuhause verloren, die Schule plötzlich meterhoch im Schlamm: Hier gibt es sehr lange keinen Unterricht mehr. Aber wohin gehen, wenn sogar unklar ist, wo die Schülerinnen und Schüler zukünftig wohnen?

Die etwa 800 Schülerinnen und Schüler des Are-Gymnasiums legten im vergangenen Jahr einiges an Wegstrecke zurück: Weil ihre Schule bei der Flut zerstört wurde, wechselten sie sich mit den Schülerinnen und Schülern einer Schule in der Stadt Remagen ab, für jede Gruppe gab es einen halben Tag Unterricht. Das Are-Gymnasium selbst stand damals meterhoch in Wasser und Schlamm. Schulleiter Heribert Schieler sagte auf die Frage, was sie am dringendsten benötigen im SWR3-Interview: „Ja, eine Schule.“

1 Jahr nach der Flut: Diese Schule besteht nur noch aus ContainernErstmal gewöhnungsbedürftig 🤔 Seit Beginn des Jahres werden die Schülerinnen und Schüler des Are-Gymnasiums in fast 300 Containern unterrichtet, weil ihre Schule bei der Flut zerstört wurde.Posted by SWR3 on Friday, July 15, 2022

Seit Beginn des Jahres werden die Schülerinnen und Schüler in einer Containerschule unterrichtet, in fast 300 Containern. Die stehen mitten in einem Acker, am Rande eines Industriegebiets der Gemeinde Grafschaft. Hausnummer: 0. In langen Reihen stehen dort jetzt die aufeinandergestapelten, minzgrünen Baustellencontainer. Dahinter gibt es noch drei Hallen, ähnlich wie man sie von Messen kennt: Sporthalle, Mensa und die naturwissenschaftlichen Räume.

Nach der Flut waren die Schulbusse ein großes Problem

Ein großes Problem waren auch die Schulbusse. „Das war die ersten drei Monate eine Katastrophe“, sagt Schulleiter Schieler. Busse, die einfach nicht kamen, Busfahrer, die von den Kindern per Handy gelotst werden mussten. „Die ersten Wochen haben wir die Kinder mit dem Taxi heimfahren lassen.“ Es sei vorgekommen, dass abends um halb sieben im Januar bei -10 Grad 50 oder 60 Kinder vor der Schule standen und nicht abgeholt wurden.

Das Are-Gymnasium, Heimat für rund 1.000 Schüler wurde in der Flutnacht stark getroffen. Unterricht ist dort nicht mehr möglich. Deswegen ist die Schule nach Grafschaft umgezogen und besteht jetzt aus rund 300 Containern. Dort versuchen Schüler und Lehrer den Schulalltag so normal wie möglich zu gestalten. (Foto: SWR, Rainer Bloch)
Das Are-Gymnasium, Heimat für rund 1.000 Schüler wurde in der Flutnacht stark getroffen. Unterricht ist dort nicht mehr möglich. Deswegen ist die Schule nach Grafschaft umgezogen und besteht jetzt aus rund 300 Containern. Dort versuchen Schüler und Lehrer den Schulalltag so normal wie möglich zu gestalten.

Are-Gymnasium bleibt wohl längerfristig in den Containern

Die Containeschule ist keine kurzfristige Lösung – nach Prognose des Schulleiters kann der Unterricht im Are-Gymnasium noch die nächsten fünf Jahre auf dem Acker stattfinden. Die meisten Schülerinnen und Schüler sind zwar nicht begeistert von den Containern, finden den Unterricht dort aber besser als in die Schule nach Remagen zu fahren.

Die Container bewegen sich auch sehr krass, das heißt, wenn kleine Kinder im Flur laufen, dann spürst du das in den Klassenräumen, man wackelt schon krass.

Ein Schüler beschreibt die Container so: „Hier sieht es aus wie im Knast.“ Es gibt aber auch einen Lichtblick: „Das Wlan ist grandios.“

Hochwasser-Podcast: So geht es den Menschen im Ahrtal ein Jahr nach der Flut

Um einen Eindruck zu bekommen, wie es den Menschen im Ahrtal geht, waren wir zusammen mit SWR3-Reporter Jakob Reifenberger dort unterwegs, um ihre Geschichten zu hören. Wir wollten wissen, was gut voran geht, was schwer ist, und wie sie sich fühlen. Was haben die Menschen seit der Flutnacht erlebt? Wie geht es ihnen heute? Verarbeitet hat Jakob Reifenberger das alles in einem 73-minütigen Podcast, in dem er die bewegenden Geschichten aus dem neuen-alten Alltag der Menschen erzählt.

Den ganzen Podcast könnt ihr hier am Stück hören.

SWR3 Report Ahrtal (Foto: SWR3)

SWR3 Report Ahrtal – Leben nach der Flut

Dauer

Knapp ein Jahr nach der Flutkatastrophe in der Nacht vom 14. zum 15. Juli 2021, begibt sich SWR3 Reporter Jakob Reifenberger ins Ahrtal, um herauszufinden, wie es den Menschen jetzt geht.
Auf seiner Reporterreise spricht er mit einer Familie, die momentan in einem Tiny House leben muss, mit Schüler:innen, die ihr Abitur in einer Containerschule machen werden, mit einem Abrissarbeiter, der ganze Existenzen wegbaggert, mit einer Traumapädagogin und mit der Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz.
Jakob Reifenberger zeigt Einzelschicksale, die für die Ängste und Verzweiflung, aber auch für die Hoffnung der Menschen im Ahrtal stehen.
Mehr Informationen zum Thema findet ihr auf SWR3.de.

Einzelne Kapitel aus dem Podcast gibt es hier auch nochmal als Video oder zum nachlesen und nachhören:

Restaurantbesitzer Roberto Lauricella: Seine Katastrophe kam erst nach der Flut

Roberto Lauricella ist angespannt, als wir ihn im vor etwas mehr als einen Monat in seinem Restaurant in Bad Neuenahr-Ahrweiler, unweit vom Fluss, besuchen. Vom letzten Dreh im November ist er uns gut in Erinnerung geblieben: Der Mann trotz aller Schrecken der Flutnacht alles wieder aufbauen wollte. Der Mann, der damals so optimistisch in die Zukunft geblickt hat. Der Mann, im ganzen Umfeld Hoffnung versprüht hat. Ganz ehrlich: Wir freuen uns auf ihn.

Heute scheint er müde, abgekämpft, wütend... Eine zeitlang ist nicht klar, ob er überhaupt zu einem Interview bereit ist. Schließlich stimmt er doch zu und beginnt zu erzählen, warum die Stimmung sich so verschlechtert hat.

Seine Katastrophe kam erst nach der FlutRestaurantbesitzer Roberto ist mental am Anschlag: Wenige Wochen nach der #Flutkatastrophe haben wir ihn zum ersten Mal in Bad Neuenahr-Ahrweiler besucht, seine Familie und er waren trotz der schrecklichen Erlebnisse voller Tatendrang. Jetzt aber ist die Stimmung eine ganz andere.Posted by SWR3 on Wednesday, July 13, 2022

Nach dem Hochwasser im Ahrtal: Restaurantbesitzer Roberto ist mental am Anschlag

Eigentlich jetzt im Frühjahr, wo es aufwärts gehen sollte, merke ich bei mir, aber auch bei vielen anderen, dass es runtergeht mit der Gemütslage“, sagt er. Spricht von „schlechten Tagen“, an denen er unter der Dusche steht und grübelt, wie er alles schaffen soll. Sagt, dass der Anblick der Zerstörung über einen so langen Zeitraum ihn verändert hat – nicht ins Positive.

Die Katastrophe für mich ist nicht die Nacht gewesen, sondern das danach.

Wer durch Bad Neuenahr-Ahrweiler geht, sieht vielerorts noch die Zerstörung. In großen Teilen der Innenstadt sind die Erdgeschosse nach wie vor unbewohnbar. Der Wiederaufbau stockt. Auch bei Roberto.

Restaurantbesitzer aus dem Ahrtal: Die Menschen sind müde und zermürbt

Roberto spricht das lange Warten bei den Hilfsanträgen an, oder dass es neun Monate gedauert hat, bis eine Straßenlaterne aufgebaut worden ist. Erzählt, dass er auf den Gutachter warten muss, der eigentlich schon mal da war. Aber nun hätten sie neue Risse am Gebäude entdeckt. Auch mit dem Architekten gab es Verzögerungen. Kurzum: Roberto und seine Familie sind abhängig von anderen, müssen warten, können nichts tun. Alles dauert länger als gedacht. Er sagt, dass das ihn und die Menschen hier müde macht und zermürbt.

Gleichzeitig laste die Verantwortung für drei Generationen auf ihm, sagt er und meint damit seine Eltern, seine Kinder, seine Frau und ihn selbst.

Wie schlimm die Zerstörungen im Ahrtal immer noch sind, seht ihr in diesem Video.

SWR3 Report: AhrtalBald jährt sich die Katastrophe im Ahrtal. Wie geht es den Menschen heute? Was bewegt sie? Wie fühlen sie sich? #AhrtalPosted by SWR3 on Friday, June 10, 2022

Roberto will nicht aus Bad Neuenahr-Ahrweiler weggehen

Doch trotz all der Traurigkeit und Wut blitzt auch immer wieder der „alte Roberto“ durch. Zum Beispiel als er erzählt, dass er den Pizzacontainer mittlerweile direkt vor das Restaurant gestellt hat und dort eine Sommerterasse aufmachen will. Und dann kommt der Kämpfer in ihm durch: Viele würden ihn fragen, ob er nicht lieber weggehen will. Warum er wieder so nahe am Wasser bauen wolle, sagt er. Doch das kommt für ihn nicht in Frage, denn:

Das hier ist mein Zuhause und ich will und werd nicht weggehen. [...] Nein, wir bleiben hier, wir bauen wieder auf. Vielleicht nicht so wie vorher. Vielleicht schöner, vielleicht abgespeckter, das kann ich dir jetzt noch nicht beantworten, aber nein, ich gehe nicht weg.

Warum eine Familie aus Bad Münstereifel nicht als 'Flutopfer' bezeichnet werden will

Als Christiane Reinartz im Interview erzählt, dass sie gleich dreifach betroffen ist – die Flut hat ihnen zwei Häuser und ihr Café weggerissen –, muss sie lachen. Die Szene wirkt surreal: Da sitzt sie mit ihrem Mann im Rohbau des zerstörten Cafés vor der Kamera und grinst. Es ist der gleiche Ort an dem sie am 14. Juli 2021 zusammen mit ihrer Tochter eingeschlossen war, als das Wasser immer höher stieg.

Innerhalb von Minuten schlägt das Wasser gegen die Decke

Kurz nachdem Mutter und Tochter beschließen, ein Stockwerk höher zu gehen, passiert es: Die Fenster im Erdgeschoss bersten. Innerhalb von Minuten füllt sich der untere Stock mit Wasser, das wild tobend gegen die Decke schlägt. „Das war wirklich Timing“ sagt sie heute. Sie hat das alles auch gefilmt mit dem Handy. Es ist unheimlich laut und lässt erahnen, was sie meint, wenn sie über die „unglaubliche Geräuschkulisse“ spricht.

Warum sie keine Flutopfer sein wollenRolf und Christiane Reinartz aus Bad Münstereifel haben bei der Flutkatastrophe letztes Jahr ihr Café und zwei Häuser verloren. Wie geht es den beiden heute, ein Jahr später?Posted by SWR3 on Tuesday, July 12, 2022

Nach der Flutkatastrophe kommt die Wut

Wer im Ahrtal und um die Region rund um die Erft unterwegs ist, kann kaum glauben, dass die Hochwasserkatastrophe schon ein Jahr zurückliegt. Denn an vielen Stellen ist die Zerstörung noch deutlich sichtbar. Der Wiederaufbau stockt, kommt nicht voran. Und die Menschen sind müde und mürbe davon. Bei vielen ist mittlerweile ein Gefühl vorherrschend: Wut.

Leben nach der Flut: Die Wut ist zum Grundgefühl geworden

Wut über den Verlust, die Zerstörung, den Stillstand, kennt auch Christiane Reinartz. Die Wut sei zum Grundgefühl geworden, sagt sie. Das war der Moment, als sie die Reißleine gezogen und sich in Therapie begeben hat. Denn sie sagt auch: „Ohne professionelle Hilfe geht es nicht.

Mittlerweile scheint es ihr besser zu gehen. Das Paar stütze sich gegenseitig in schwierigen Momenten, erklären die Reinartz. Kleine Gesten, wie einfach auch mal eine Kerze auf der Baustelle anzünden, helfen. Und dann sagt Christiane Reinartz die Sätze, die ihre neue Einstellung auf den Punkt bringen:

Wir sind keine 'Flutopfer', wir sind 'Flutbetroffene'. Ein Opfer ist machtlos. Ein Opfer macht nichts mehr. Aber jemand der betroffen ist, ist noch in der Lage, etwas zu tun.

Nach dem Hochwasser in Bad Münstereifel: Die Stadt baut wieder auf

Familie Reinartz weiß aber auch, dass in Bad Münstereifel eine besondere Stimmung herrscht. Und die ist wirklich spürbar. Überall rollen Baumaschinen, die Menschen gehen durch ihre Stadt, es wird angepackt. Der Wille, weiterzumachen, ist da. „Sie trägt mich“, sagt Rolf Reinartz über die Stimmung hier. Wohlwissend, dass es in den Nachbarorten schon wieder ganz anders aussieht.

Notunterkunft: Zu fünft im Tiny House auf dem Parkplatz

Als SWR3-Reporter Jakob Reifenberger mit dem Arbeiter-Samariterbund telefoniert, erfährt er, dass auch nach einem Jahr noch 384 Menschen in Notunterkünften leben. Und das nicht insgesamt, sondern allein in den Unterkünften dieses Bundes. Andere Vereine haben eigene Notunterkünfte. Gesammelte Zahlen dazu gibt es nicht, denn jede Kommune zählt für sich und Menschen, die privat untergekommen sind, werden nirgends erfasst.

Zu den Menschen in den Notunterkünften gehört auch Familie El-Bayyari. Sie lebt zu fünft auf 38 Quadratmetern. Ihr aktuelles „Zuhause“ ist ein Tiny House, das in einer Reihe mit 17 weiteren kleinen Häusern steht. Die Konstellation ist bizarr: Das Holz ist noch ganz frisch und hell, die Häuser wirken wie eine nagelneue Ferienanlage. Es sind aber Notunterkünfte auf dem ehemaligen Parkplatz eines Schwimmbads. Der Parkplatz wird nicht mehr gebraucht, denn das Schwimmbad wurde bei der Flutkatastrophe auch zerstört.

Verlockend mag man meinen, Notunterkünfte, die an Ferienhaussiedlungen erinnern, können nicht allzu schlecht sein. Der Alltag holt diese Stimmung aber bald ein. Zu fünft auf 38 Quadratmetern ist die Liste der Einschränkungen lang. Mutter Elif kann beispielsweise nicht kochen, wenn der Jüngste in seinem Bett liegt. Der Topf steht in einer Kiste unter dem Bett der Eltern, weil der Schrank in der Küche zu klein ist. Um an die Kiste zu kommen, muss sie vorher das Kinderbett wegschieben.

Trotzdem ist sie froh über das Tiny House: Ihre Kinder seien wieder gesund. Nachdem in der Wohnung unter ihrer eigenen im alten Haus das Wasser stand, hat sich der Schimmel ausgebreitet und die Kinder waren ständig krank. Sie wissen nicht, ob sie jemals wieder in ihre Wohnung zurückkönnen. In der neuen Nachbarschaft haben die Kinder andere Kinder zum Spielen gefunden. Für Elif ist das das Schönste an der neuen Wohnsituation.

Bis September wollen sie aber wieder raus sein aus der Notunterkunft. Dann endet Elifs Elternzeit. Wenn sie beide wieder arbeiten, hoffen sie, etwas Größeres zu finden.

Als ich mich von den El-Bayyaris verabschiede, bin ich tief beeindruckt, wie sie hier ihren Alltag hinkriegen – auf so engem Raum mit ungewisser Zukunft, ohne völlig durchzudrehen.

Wie sieht es heute im Ahrtal aus? In der Bildergalerie bekommt ihr einen Eindruck von der Zerstörung, die immer noch an ganz vielen Stellen sichtbar ist.

SWR3 Report Ahrtal: Leben nach der Flut (Foto: SWR3, Ferdinand Vögele)
Viele Straßen im Ahrtal sehen noch immer provisorisch aus. Bild in Detailansicht öffnen
SWR3 Report Ahrtal: Leben nach der Flut (Foto: SWR3, Ferdinand Vögele)
Der Wiederaufbau läuft oft schleppend, das zehrt an den Kräften der Menschen. Bild in Detailansicht öffnen
SWR3 Report Ahrtal: Leben nach der Flut (Foto: SWR3, Ferdinand Vögele)
Auch fast ein Jahr nach der Katastrophe sieht es an vielen Stellen noch aus wie in einer Geisterstadt. Bild in Detailansicht öffnen
SWR3 Report Ahrtal: Leben nach der Flut (Foto: SWR3, Ferdinand Vögele)
Der Wiederaufbau des Ahrtals lebt auch von dem Einsatz vieler Helferinnen und Helfer Bild in Detailansicht öffnen

Abriss im Ahrtal: Als würde man den Menschen etwas wegnehmen

Maximilian Gölitzer ist ein Seelsorger in Handwerkerklamotten. Geplant war das Interview mit ihm nicht; er hat Kollegen von SWR3 angesprochen, was sie denn da tun würden. Er ist Arbeiter auf einer Baustelle, der was loswerden will. Und das aus gutem Grund: Er hat einfach keine Lust mehr auf Gaffer. Wenige Meter von ihm entfernt steht ein Holzkreuz mit Blumen davor.

Letztens kam einer, der hat hier gehalten an dem Parkplatz, ist zu dem Kreuz gegangen, hat mit seiner Spiegelreflexkamera das Kreuz fotografiert hat, sich umgedreht und ist wieder gefahren. Da ist mir dermaßen die Zündschnur geplatzt! Das gehört sich doch nicht! […]

Natürlich kann auch ein Verwandter oder Freund das Kreuz für eine Familie fotografiert haben, das wissen wir nicht. Aber das Gefühl, die Betroffenen werden angegafft, ist richtig mies. Auch SWR3-Reporter Jakob Reifenberger kennt bei der Berichterstattung das Gefühl: „Und ich hoffe in dem Moment wirklich, dass sich niemand durch mein Radiomikro genervt oder bedrängt fühlt. Ich versuche natürlich immer, sehr vorsichtig und rücksichtsvoll auf die Leute zuzugehen.“

Gölitzer hat in Wiesbaden ein eigenes Unternehmen für Abbrucharbeiten und erzählt, wie unterschiedlich es sich anfühlt, dort oder im Ahrtal ein Haus abzureißen.

Der Unterschied ist: Normalerweise sind solche Dinge über Monate oder Jahre geplant. Das Haus kommt weg, weil es altersbedingt ersetzt wird. Hier war eine Nacht der ausschlaggebende Punkt und die Leute haben auf einen Schlag ihre komplette Existenz verloren. Deswegen ist die emotionale Ebene hier im Ahrtal ganz anders als wenn man daheim arbeitet. Jedem der mich fragt, ob ich hier gerne arbeite, sage ich ‚Eigentlich nein‘ […] Man hat bei jedem Abbruch das Gefühl, dass man emotional den Leuten etwas wegnimmt, was einem nicht zusteht.

Zuhause sei das Geld einfacher verdient. Die Projekte seien über Monate geplant und es gehe „nur um die Häuser“. Im Ahrtal werde man fast zum Seelsorger. Über seine aktuelle Baustelle erzählt er, er habe vorab mit der Eigentümerin des Hauses besprochen, sie solle sich melden, wenn es ihr zu schnell ginge. Dann würde er den Bagger ausmachen und mit ihr eine Pause einlegen.

ISB: Warten auf die Aufbauhilfe im Ahrtal

Dass sich alles so ewig in die Länge zu ziehen scheint, macht die Leute mürbe und wütend. Drei Buchstaben fallen in solchen Momenten immer wieder: „ISB“ – das steht für die Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz. Sie bezeichnet sich selbst als Förderbank des Landes. Wer Fördergelder erhalten möchte, muss sie hier beantragen. Sei es für die Gründung eines Unternehmens, oder die ökologische Sanierung eines Hauses.

Seit der Flutkatastrophe ist sie auch für die Wiederaufbauhilfen für Betroffene zuständig und damit für die Menschen im Ahrtal unheimlich wichtig. Wird ihr Antrag hier abgelehnt, gibt es keine finanzielle Hilfe. Für viele rückt der Wunsch, irgendwann wieder in eine Normalität zurückzukommen, damit in noch weitere Ferne. Ein Beispiel: Für weggeschwommenen Hausrat bekommt eine vierköpfige Familie rund 28.500 Euro. Geld, das dringend benötigt wird. Dazu kommen noch höhere Förderbeträge für Schäden an der Wohnung oder dem Haus selbst. Eigentlich eine gute Sache, könnte man meinen. Aber viele sind frustriert, dass Anträge lange liegen bleiben und nichts vorangeht. Ein Steuerberater, der anonym bleiben möchte, sagt im Gespräch mit SWR3-Reporter Jakob Reifenberger:

Das Geld wurde ja bereitgestellt, der Fonds ist da! Die ISB steht nur noch dazwischen, zwischen dem Geld und den Leuten, die es brauchen! Und durch Bürokratismus, wie Sie hier sehen, kommt das Geld nicht zu den Leuten.

Die ISB sieht das anders – man bearbeite die Anträge so schnell wie möglich, viele seien aber nicht vollständig. Auch der Steuerberater, der anonym bleiben möchte, berichtet: Immer wieder habe es Nachfragen gegeben, die aber im ersten Formular gar nicht aufgeführt gewesen seien. Dadurch würden sich Anträge über Wochen ziehen. Das Interview mit ISB-Vorstand Dr. Ulrich Link hört ihr in dieser Folge unseres Podcasts SWR3 Report: Ahrtal – Leben nach der Flut:

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