Muss SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich Angst haben, weil er auf einer „Terrorliste“ der Ukraine steht? Am Wochenende hatte der Politiker für Aufregung gesorgt, als er davon beim SPD-Debattenkonvent in Berlin gesprochen hatte.
Mützenich sprach auch von „Sekundärdrohungen“, mit denen nicht leicht umzugehen sei. Dabei handele es sich um Zuschriften und persönliche Begegnungen, heißt es von der Pressestelle der SPD-Fraktion gegenüber SWR3.
Führt die Ukraine wirklich eine „Terrorliste“?
Was ist dran? Es gibt oder gab eine Liste, doch es handelt sich dabei nicht um eine „Terrorliste“. Vielmehr hat das „Zentrum gegen Desinformation des nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats der Ukraine“ im Juli im Internet eine Liste veröffentlicht, auf der rund 70 Personen des öffentlichen Lebens standen. Darunter die französischen Rechtspopulisten Marine Le Pen und Eric Zemour aber auch die Publizistin Alice Schwarzer und eben auch Rolf Mützenich. Der Vorwurf: Die Verbreitung von „Narrativen“, die mit russischer Propaganda übereinstimmen. Bei Mützenich betrifft dies die Forderung nach einem Waffenstillstand. Bei Schwarzer, dass sie sich gegen deutsche Waffenlieferungen stelle.
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Schwarzer hatte Ende April einen offenen Brief von 28 Prominenten an Bundeskanzler Olaf Scholz initiiert. Darin appellierten sie an den SPD-Politiker, nicht noch mehr schwere Waffen an die Ukraine zu liefern.
„Das Zentrum gegen Desinformation untersteht dem Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine und ist somit eine Regierungsbehörde“, erklärt ARD-Korrespondentin Rebecca Barth. Es könne aber keine Sanktionen gegen Personen aussprechen, sondern diene der Analyse. Kritiker hätten dem Zentrum öffentliche Diskreditierung vorgeworfen, berichtet Barth.
Steht Mützenich wirklich auf einer „Terrorliste“? Hier den Bericht von Rebecca Barth aus dem ARD-Studio Kiew nachhören.
Warum stand ausgerechnet Mützenich auf der vermeintlichen „Terrorliste“?
Die Liste ist im Internet nicht mehr abrufbar. Mithilfe der Wayback-Machine – ein Archiv, das einen früheren Stand einer Webseite anzeigen kann – ist allerdings noch ein Website-Snapshot vom 16. Juli 2022 zu finden. Bei Mützenichs Eintrag ist vermerkt, dass er sich für einen Waffenstillstand einsetze. Doch was wäre eigentlich so schlimm daran? Waffenstillstand klingt doch erst mal gut?
In der Ukraine sieht man das vielerorts nicht so. So sagt der ukrainische Ex-Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, dass es für die Ukraine viel zu früh sei, Gespräche mit Moskau zu führen – schon gar nicht mit Putin. Dieser sei ein zynischer Kriegsverbrecher, so Melnyk. Seine Armee verliere auf dem Schlachtfeld und aus Rache beschieße Putin Kiew und andere Städte fast jeden Tag. „Das einzige, was uns aus dieser Lage retten kann, ist die schnelle Lieferung von mehr modernen Waffen. Dann kommt irgendwann der Moment, an dem Russland gezwungen sein wird, ernsthaft zu verhandeln“, sagte Melnyk gegenüber dem RND.
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Ukraines Außenministerium: Wir führen keine Terrorliste
Das ukrainische Außenministerium hat die Vorwürfe von Mützenich zurückgewiesen. „Die ukrainische Regierung führt keine Terrorliste“, schrieb Außenamtssprecher Oleg Nikolenko auf Facebook. „Und soviel ich weiß, gibt es in der Ukraine auch kein Verfahren gegen Rolf Mützenich.“ Alle Behauptungen des deutschen Politikers über seine angebliche Verfolgung durch ukrainische Behörden seien „unwahr“.
„Terrorliste“: Klingbeil nimmt Mützenich in Schutz
Dass die Liste nicht mehr abrufbar ist, hält die SPD-Fraktion für einen guten Schritt. „Es war richtig, sie von der offiziellen Seite herunter zu nehmen, allerdings ist sie im Internet bei entsprechenden Kenntnissen weiterhin abrufbar [...]“, erklärte ein Sprecher gegenüber SWR3.
SPD-Parteichef Lars Klingbeil hat Mützenich in Schutz genommen und gesagt:
Um das ganz klar zu sagen, ein Fraktionsvorsitzender der SPD, der größten Regierungsfraktion, der gehört nicht auf eine solche Liste.
Und der hat die volle Solidarität der SPD, da stehen wir alle an deiner Seite.
Auch die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffman äußerte sich in der Debatte: „Die Bundesregierung ist sehr zufrieden, dass es diese Liste nicht mehr gibt“.
Mützenich erneuert seine Kritik an „Terrorliste“
Einige Tage später hat Mützenich nochmal nachgelegt: Die Autoren der Liste würden ausdrücklich von „Informationsterroristen“ sprechen, die möglicherweise an Kriegsverbrechen schuld seien. Es habe zudem einen Hashtag „Infoterror“ gegeben, erklärte Mützenich. „Dieser Begriff ist nicht von mir eingebracht worden“, betont Mützenich. Er frage sich, ob dies der richtige Umgang mit ihm von einem Staat sei, der in die EU wolle.
Richtig ist, dass es auf der Facebook-Seite der ukrainischen Behörde einen Post gibt, in dem die Liste erwähnt wird. Hier steht ganz unten auch auf ukrainisch der Hashtag „infoterror“. Ansonsten spricht die Behörde im Text des Postings auch hier von Personen, die pro-russische Erzählungen fördern.
Fazit: Eine ukrainische „Terrorliste“ gab es in der Form nicht
Zusammengefasst lässt sich also sagen, dass es eine Liste gab, auf der Mützenich auch stand. Der Begriff „Terrorliste“ ist aber mindestens irreführend. Auf der Liste standen Personen des öffentlichen Lebens. Sie bedienen nach Meinung des Zentrum gegen Desinformation des nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats der Ukraine russische Narrative – bezogen auf den Krieg in der Ukraine.
Das Zentrum ist eine Regierungsbehörde, kann aber keine Sanktionen gegen Personen aussprechen. Verfahren gegen Mützenich gäbe es nicht, betont zudem das ukrainische Außenministerium. Inzwischen ist die Liste von der Homepage der Behörde gelöscht. Mützenich hat seine Kritik an der Liste aber nochmals erneuert.