Ötzi steht auf einem Felsen und blickt um sich. Am linken Arm und an den Händen hat er brennende Schnittwunden: Etwa einen Tag zuvor hat der Mitvierziger mit anderen Menschen gekämpft. Ist er jetzt auf der Flucht? Wir wissen es nicht.
Als er ins Tal schaut, fährt ihm etwas in die Schulter: Es ist ein Pfeil mit einer Spitze aus Feuerstein, der ihn von hinten trifft. Er durchbohrt vermutlich eine Arterie in der Schulter. Ötzi kippt nach hinten um und schlägt dabei wohl mit dem Kopf auf einen Felsen auf. Was danach geschieht, ist unklar. Doch Ötzi wird diesen Ort nicht mehr lebend verlassen.
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So sah Ötzi aus: Glatze, dunkle Augen, sehr dunkle Haut
Rund 5.300 Jahre nach dem Mord ist viel über den rund 1,60 Meter großen Mann bekannt. Vor 32 Jahren haben ihn Wanderer in den Ötztaler Alpen entdeckt. Seitdem sind Wissenschaftler an ihm dran.
Jetzt haben Forscher des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie mit Hilfe einer Gen-Studie einen Quantensprung in der Ötzi-Forschung hingelegt: Sie haben nicht nur herausgefunden, wer Ötzis Vorfahren waren, sondern auch, wie der Mann genau ausgesehen hat. Das Ergebnis ist eine Überraschung:

Ötzi war demnach nicht langhaarig, hellhäutig und womöglich blauäugig. Im Gegenteil: Er sei dunkler gewesen als ein typischer Südeuropäer von heute, schreiben die Wissenschaftler. Seine Augen waren fast schwarz: Vor allem aber – das zeigen bestimmte Genvarianten – war er vermutlich fast kahlköpfig.
„Es ist der dunkelste Hautton, den man in europäischen Funden aus derselben Zeit nachgewiesen hat“, erklärt der Anthropologe und Mitautor der Studie Albert Zink, Leiter des Instituts für Mumienforschung bei Eurac Research in Bozen: „Man dachte bisher, die Haut der Mumie sei während der Lagerung im Eis nachgedunkelt, aber vermutlich ist, was wir jetzt sehen, tatsächlich weitgehend Ötzis originale Hautfarbe. Dies zu wissen, ist natürlich auch wichtig für die Konservierung.“

Ötzis Vorfahren kamen aus Anatolien – und haben sich in 2.000 Jahren kaum mit anderen vermischt
Und noch etwas haben die Max-Planck-Anthropologen herausgefunden: Ötzis Vorfahren lebten weitgehend isoliert. Denn: Drei Gruppen von Menschen gab es grob in Europa, als Ötzi lebte. Da waren die Ackerbauern, die etwa 6.500 v. Chr. aus Anatolien eingewandert waren. 90 Prozent von Ötzis Genen stammen von ihnen.
Beachtlich viel, wenn man bedenkt, dass diese Menschengruppe da schon mehr als 2.000 Jahre in Mitteleuropa lebte. Daneben gab es nämlich noch die Vorgänger aus den Jäger- und Sammlergruppen. Von denen hatte Ötzi zehn Prozent seiner Gene, was nach so langer Zeit wenig ist.
Gar nicht vermischt hatten sich Ötzis Leute offenbar mit den Hirten und Schäfern, die etwa 4.900 v. Chr. nach Europa kamen. Die Schlussfolgerung der Forscher: Ötzis Clan hatte sehr lange weitgehend isoliert in den Alpen gelebt – und seine anatolischen Gene gut bewahrt.
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Ötzi war 1991 in einem Gletscher in den italienischen Alpen entdeckt worden. Der Fund der gut erhaltenen Mumie war eine archäologische Sensation; seitdem versuchen die Wissenschaftler mit Hilfe modernster Techniken, seinem Leben und Sterben vor rund 5.300 Jahren auf die Spur zu kommen.
Wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge war der Gletschermann mit seinen etwa 1,60 Metern für die Zeit durchschnittlich groß. Er wog um die 50 Kilogramm und war etwa 45 Jahre alt, als er mit einem Pfeil ermordet wurde. Letzte Mahlzeit vor seinem Tod war höchstwahrscheinlich getrocknetes Steinbockfleisch.
Seit Ötzis Entdeckung hat die Wissenschaft große Fortschritte gemacht. Vor allem das neue Forschungsfeld der Paläogenetik vermehrt das Wissen über die Vorgeschichte in rasendem Tempo: Wann hat ein Mensch gelebt? Wer waren seine Vorfahren und wo kamen sie her? Hatte er einen Neandertaler in der Ahnenreihe? All das kann man heute bei vielen alten Skeletten fast perfekt herausfinden.