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Björn Widmann
Björn Widmann (Foto: SWR3)
Leo Eder
Leo Eder (Foto: SWR3)

Mit dem Slogan „Keinen Bock auf Arbeit morgen?“ hat das baden-württembergische Kultusministerium nach neuen Lehrkräften gesucht. Der Schuss ging aber nach hinten los.

Viele Lehrerinnen, Lehrer und Verbände waren schockiert über zwei Plakate, die das Kultusministerium Baden-Württemberg am Stuttgarter Flughafen aufgehängt hat. „Gelandet und gar keinen Bock auf Arbeit morgen? Hurra! Mach was Dir Spaß macht und werde Lehrer*in“, stand darauf.

Das Plakat brachte viele Lehrkräfte gegen ihren Arbeitgeber auf, Verbände und auch Eltern waren sauer. Deshalb hat Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) jetzt angekündigt, dass das umstrittene Plakat angepasst wird. „Gelandet und gar keinen Bock auf deine jetzige Arbeit? Hurraaa! Mach was dir Spaß macht und werde Lehrer*in“ steht jetzt darauf. Die neue Version soll so schnell wie möglich am Flughafen aufgehängt werden.

Kultusministerin Theresa Schopper entschuldigt sich

Kultusministerin Schopper entschuldigte sich sogar nach dem Anwerbeversuch für neue Lehrer.

Es war nie unser Ansinnen, auch nur eine Lehrkraft mit diesem Plakat zu diskreditieren. Bei uns ist niemand überhaupt nur auf die Idee gekommen, Lehrkräfte mit dem Attribut faul in Verbindung zu bringen.

Monika Stein, die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), ist froh, dass die Kampagne jetzt geändert wird: „Ohne Bock auf den Beruf geht die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen nicht.

Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) ist auch zufrieden mit der Korrektur. Der neue Spruch sei unverfänglich. „Das alte Plakat war eine ständige Provokation! Wir sind erleichtert, dass unsere Anstrengungen dazu geführt haben, dass das Kultusministerium das Plakat korrigiert hat. Der Schrecken hat ein Ende!“, sagte VBE-Chef Gerhard Brand.

Ein Werbeplakat für den Beruf des Lehrers hängt am Flughafen in Stuttgart (Foto: picture-alliance / Reportdienste, Christoph Schmidt)

SWR3 Comedy Fragen Sie Kretschmann: Lehrerplakat

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Von einer Plakat-Kampagne des Kultusministeriums in Stuttgart fühlten sich unzählige Lehrer diskreditiert. Das Plakat wurde deshalb jetzt geändert...

Grundschullehrerin Annika: Gekränkt durch altes Plakat

Viele Lehrer hatten sich bei den Verbänden über das alte Motiv beschwert, weil es ihrer Meinung nach Klischees bestätige. Lehrer arbeiten sechs Stunden am Tag und haben so viel Urlaub – diese Vorurteile schwirren schon durch „The Länd“, seit es Schulen gibt. Aber der Alltag sieht anders aus, hat Annika aus Baden-Württemberg SWR3 gesagt. Sie ist Grundschullehrerin und fühlt sich durch das Plakat „veräppelt und in keiner Weise wertgeschätzt“.

Unzufrieden: Viele Lehrkräfte wandern in die Schweiz ab

Für Annika ist das Plakat nur die Spitze des Eisbergs, „mit dem der Unmut über das Land echt wächst“, sagt sie. Viele ihrer ehemaligen Studienkollegen seien in die Schweiz abgewandert. Wegen der besseren Arbeitsbedingungen.

Ein Teil hangle sich aber mit Vertretungsstunden und Krankheitsvertretung durch, bis ein Platz frei wird in Städten wie Freiburg oder Karlsruhe – oder wird direkt schwanger. Ein weiterer Teil habe sowohl im Referendariat oder schon während des Studiums abgebrochen, „weil das System nicht gepasst hat“.

Plakat in Stuttgarter Flughafen trifft Lehrkräfte

Und genau das ist der Punkt, der die Lehrkräfte an diesem Plakat stört: „Keine Lust auf Arbeit morgen“ vermittle den Eindruck, dass Lehrer sein ein einfacher und stressfreier Job sei. Annika bringt ein Gegenbeispiel.

Im vergangenen Herbst und Winter sei eine Kollegin an ihrer Schule länger ausgefallen und auch Annika habe sich drei Wochen lang krank in die Schule geschleppt, „da ich wusste, was es für ein Chaos bedeutet, wenn ich ebenfalls zuhause bleibe“.

Lehrerin sauer: Plakat vermittelt Klischees

Daher treffe sie dieses Plakat besonders, da es ihren wunden Punkt in Sachen Wertschätzung für den Lehrerberuf, faire Bezahlung und fehlende Lehrkräfte anspreche. Insbesondere die Aussage „kein Bock auf Arbeit“ provoziere dahingehend, dass es das Klischee „morgens Schule, mittags frei“ fördere und den Eindruck vermittle, man würde den Schülern nur „ein bisschen Wissen“ vermitteln.

Vor allem jetzt, zu Beginn der Sommerferien, unterstreiche es zusätzlich die Aussage, dass man als Lehrkraft „eh nur frei hat und nicht so jammern soll, bei all den Ferien“. Zwar gebe es seit Corona Eltern, denen mittlerweile bewusst sei, dass „Lehrkräfte viel mehr machen, als erahnt“. Leider seien diese Eltern „nur ein Bruchteil unserer Gesellschaft“.

Annika: Lehrer sind alles andere als faul

Und wie sieht Annika das Klischee des „faulen“ Lehrers, ist da was dran? Natürlich nicht, sagt sie. Ihr Job sei kein 9-to-5-Job, sondern eher ein 9-to-9-Job: „Als Lehrerin beginnt die eigentliche Arbeit erst, wenn ich nach Hause komme.

Mails beantworten, Elterntelefonate führen, Unterricht vor- und nachbereiten, Korrekturen durchführen, Rücksprache mit Kollegen oder Förderpläne schreiben – das alles findet bei Annika außerhalb des Unterrichts statt.

Dazu kommt, dass vor allem Grundschullehrer am Vormittag kaum Zeit für Pausen hätten, weil „immer jemand was von einem möchte oder man noch Dinge kopieren muss“. Dazu kommt, dass „Überstunden, Klassenfahrten – die sind vergleichbar mit Nachtzuschlägen –, Konferenzen, Schulfeste und Elternabende“ nicht extra vergütet würden – sie seien Teil des „All-Inclusive-Gehaltes“.

SWR3-Podcaster und Lehrer Bob Blume sieht das ähnlich und hat es schon vor einiger Zeit in einem Instagram-Post auf den Punkt gebracht.

Zur aktuellen Plakatkampagne des baden-württembergischen Kultusministeriums meint er:

Es ist schon klar, was die Verantwortlichen wollen: Aufmerksamkeit um jeden Preis. Und konsequent prahlt man mit 8.000 Aufrufen auf der Kampagnenseite. Ich meine, dass das Ministerium dafür sorgen sollte, nicht auch noch diejenigen zu vergraulen, die seit Jahren im Beruf sind und sich tagtäglich aufreiben. So erreicht man das Gegenteil. Es ist eine Unverschämtheit!

Grundschullehrerin: Lehrer sind mehr als Wissensvermittler

Annika sagt, das sei die eine, die stressige Seite. Dann gebe es aber auch die andere Seite – der Grund, warum sie sich für den Beruf der Grundschullehrerin entschieden hat. „Ich darf Kindergartenkindern Schreiben und Rechnen beibringen. Man darf die Freude am Wissen vermitteln und die damit verbundene Macht der Bildung weitergeben.

Gleichzeitig ist man Mentor, Vorbild, Mama-Ersatz, Freundin und Wegbegleiterin sowie auch Sozialarbeiterin, Erzieherin und so weiter. Der eigentliche Wissensvermittlungsanteil ist nur ein geringer Bruchteil des Ganzen.

Die Schule sei dabei der Ort, an dem man „herausfinden darf, was in einem steckt und Werte mitbekommt, die langfristig unsere Gesellschaft mitprägen dürfen“. Daher wünsche sie sich, dass der Beruf generell die Wertschätzung erfahre, „die er verdient hat, und weniger belächelt wird“.

Letztendlich ändere das Plakat nichts an ihrer Meinung, dass sie einen tollen Beruf hat: „Ich würde den Job doch stets wieder so wählen, weil er der schönste der Welt ist.“ Deshalb ruft sie ihre Kolleg:innen dazu auf, „ihre Stimme zu erheben und gemeinsam laut zu werden“.

Annika hofft, dass „The Länd“ nicht nur „mit millionenschweren Kampagnen für Baden-Württemberg wirbt, sondern dass unsere Bildung das Qualitätsmerkmal für unser Bundesland wird“. Schließlich sei Bildung der Schlüssel für Wohlstand und Expertise im Land.

Keinen Bock auf Arbeit morgen? Das steckt hinter dem Slogan

Aber will das Kultusministerium in Baden-Württemberg wirklich seine Lehrer schlechtmachen und gleichzeitig dafür werben, Lehrkraft zu werden? Natürlich nicht! Die Slogans seien bewusst provokant gewählt, um Aufmerksamkeit zu erregen, sagte ein Sprecher des Kultusministeriums. Dabei sei die werbliche Ansprache der Kampagne ausdrücklich auf eine Zielgruppe gerichtet, die momentan noch nicht als Lehrerin oder Lehrer arbeite, sagte ein Sprecher auf SWR3-Anfrage.

Darauf zielt die Kampagne ab. Eher grell, eher bunt, eher laut – aber positiv, einladend und Interesse weckend. Die Slogans sind bewusst so gewählt, um Aufmerksamkeit etwa bei potentiellen Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern zu erregen.

Die Botschaften gäben dabei einen kurzen, knappen Einblick in die vielen guten Argumente, sich für den Lehrerberuf zu entscheiden. „Unser Blick auf die Lehrkräfte in Baden-Württemberg ist grundsätzlich von Respekt und Achtung geprägt. Das ist selbstredend.“

Wir wissen um die enormen Leistungen und den täglichen Einsatz unserer Lehrkräfte. Auf die Idee, dass Lehrkräfte faul seien, kommt hier überhaupt niemand. Wir – und da sind wir uns ja etwa mit den Verbänden sehr einig – möchten einfach mehr Lehrkräfte gewinnen.

Das sei dem Ministerium auch gelungen. Schon nach der ersten Woche der Kampagne hätten mehr als 8.000 Interessenten die Webseite zur Lehrkräfteeinstellung besucht. Ein Drittel davon wolle direkt in den Beruf einsteigen. Auch bei der Zahl der Vertretungskräfte sei ein deutlicher Anstieg zu bemerken: Seit dem Start der Kampagne Mitte Juli bis Anfang August hätten sich mehr als dreimal so viele Personen registriert.

Dass das Ministerium seine eigenen Schäfchen nicht dissen will, sieht Annika trotz ihres Ärgers auch. Das Plakat solle ihrer Meinung nach „nur darauf aufmerksam machen, dass der Lehrerjob eine Alternative sein könnte und auch Quereinsteiger gesucht werden“.

Lehrerverbände sauer auf „The Länd“-Plakat

Nicht nur Annika findet das mittlerweile überholte Plakat daneben, auch Lehrerverbände kritisierten die Wortwahl. Die Vorsitzende des Realschullehrerverbandes Baden-Württemberg, Karin Broszat, warf dem Kultusministerium „Niveaulosigkeit“ und „Geringschätzung des Lehrerberufs“ vor.

Man wusste vor dieser Kampagne nicht, wie viel Blödheit auf ein einziges Plakat passt. 

Der Philologenverband im Südwesten hat ein alternatives Plakat vorgeschlagen mit dem Text: „Null Bock auf Arbeit? Dann geh ins Kultusministerium! Da genügen hohle Sprüche!

Der Verband Bildung und Erziehung Baden-Württemberg bezeichnete das Plakat als „Beleidigung“ für alle Lehrer im Land. Es sei ein Schlag ins Gesicht für alle Lehrkräfte, die sich in 60-Stunden-Wochen um die Beschulung Tausender Flüchtlingskinder aus der Ukraine, Syrien und anderen Ländern kümmerten.

Außerdem verhöhne es alle Lehrkräfte, die sich seit Jahren aufrieben, um den Lehrermangel auszugleichen und das System am Laufen zu halten.

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