Erst eine Ryanair-Maschine nach einer angeblichen Bombendrohung zur Landung genötigt, dann einen oppositionellen Blogger und dessen Lebensgefährtin verhaftet – nach den Vorfällen in Minsk steht Belarus international weitgehend isoliert da. Die EU und die USA haben Sanktionen verhängt. Russland will dem Land nun aber finanziell aus der Klemme helfen. Im nächsten Monat solle Belarus eine zweite Tranche von 500 Millionen Dollar eines Kredits über insgesamt 1,5 Milliarden Dollar erhalten, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Samstag der Agentur Tass. Der Kredit sei schon vor den international heftig kritisierten Vorfällen in Minsk beschlossen worden.
Putin und Lukaschenko haben sich in Sotschi getroffen
Der Kredit ist eines der Ergebnisse des Treffens von Russlands Präsidenten Wladimir Putin mit dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko. Die beiden kamen in Sotschi zusammen. Putin ist ein enger Verbündeter von Lukaschenko. Er hatte dem seit 1994 mit harter Hand regierenden Belarussen bereits am Freitag seine Unterstützung zugesagt.
Kreml will Flugzeugvorfall „genau untersuchen“
Man müsse die Situation genau untersuchen und dürfe keine voreiligen Schlüsse ziehen, sagte Kreml-Sprecher Peskow am Samstag mit Blick auf den Flugzeug-Zwischenfall. Offenbar gehe es in den europäischen Hauptstädten aber nicht um eine Klärung der Umstände, sondern es würden Entscheidungen basierend auf Emotionen gefällt, sagte Peskow weiter.
Proteste gegen Lukaschenko in Warschau und Vilnius
Nach der Festnahme des belarussischen Regierungskritikers Roman Protasewitsch haben in der polnischen Hauptstadt Warschau hunderte Menschen gegen das Lukaschenko-Regime demonstriert. Die Eltern von Protasewitsch riefen bei der Demo die EU und die USA zur Hilfe auf. „Wir wollen in einem freien Land leben, in einem Land, in dem jeder das Recht hat, seine Überzeugungen auszudrücken“, sagte Protasewitschs Vater Dmitri.
Auch in der litauischen Hauptstadt Vilnius gingen zahlreiche Menschen auf die Straße. Angeführt wurde die Kundgebung von der belarussischen Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja, die im vergangenen Jahr nach Litauen ins Exil geflüchtet war. Die Demonstranten marschierten zur belarussischen Botschaft.
USA verhängen Sanktionen gegen Belarus
Die US-Regierung wird in der kommende Woche wieder Sanktionen gegen neun staatliche belarussische Firmen in Kraft setzen. In Absprache mit der EU und weiteren Partnern werden außerdem gezielte Sanktionen gegen „Schlüsselfiguren des Regimes“ von Präsident Lukaschenko vorbereitet, hieß es.
Die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, bezeichnete die Vorfälle in Minsk als „direkten Angriff auf internationale Standards“. Die USA folgen damit dem Kurs, den bereits die EU eingeschlagen hat. Diese hatte schon zu Beginn der Woche Sanktionen verhängt.
EU sperrt Luftraum für Fluggesellschaften aus Belarus
Die EU hat als Reaktion auf die Vorfälle in Minsk den Luftraum für belarussische Fluggesellschaften gesperrt. Außerdem soll die Liste mit Personen erweitert werden, gegen die Vermögenssperren und EU-Einreiseverbote gelten. Diese Entscheidungen wurden am Montagabend am Rande eines EU-Sondergipfels in Brüssel bekanntgegeben.
Das Verhältnis der EU zu Belarus wurde nach dem Zwischenfall kurzfristig auf die Tagesordnung des Gipfels gesetzt, der sich eigentlich unter anderem mit den zerrütteten Beziehungen zu Russland befassen sollte.
Fluglinien sollen belarussischen Luftraum meiden
Europäische Fluglinien werden dazu aufgerufen, den belarussischen Luftraum zu meiden. Auch die Lufthansa erklärte am Montagabend, sie werde nicht mehr durch den belarussischen Luftraum fliegen. Großbritannien hat zudem die Betriebserlaubnis für die staatliche belarussische Fluggesellschaft Belavia ausgesetzt.
Boarding von Lufthansa-Maschine unterbrochen wegen „Warnhinweis“
Nur einen Tag nach der Zwangslandung der Ryanair-Maschine in Minsk ist in der belarussischen Hauptstadt das Boarding einer Lufthansa-Maschine gestoppt worden. Es soll einen Warnhinweis gegeben haben. Das Flugzeug wurde durchsucht.
Die Airline hat die Vorgänge bestätigt. Die Maschine sollte nach Frankfurt fliegen. Alle Passagiere mussten einem erneuten Sicherheitscheck unterzogen werden. Das Flugzeug wurde durchsucht, auch die gesamte Fracht und alle Koffer wurden ausgeladen. Betroffen waren 51 Passagiere inklusive fünf Crewmitgliedern. Die Drohung sei per E-Mail eingegangen, teilte der Airport mit. Angeblich sei eine „terroristische Tat“ angedroht worden.
Die Maschine konnte der Lufthansa zufolge mit zwei Stunden Verspätung dann aber starten. Alle Passagiere und Crewmitglieder seien nach dem Check wieder an Bord gewesen, berichtet die Nachrichtenagentur AFP.
Nur ein Tag zuvor erzwungene Landung von Ryanair-Maschine wegen angeblicher Bombendrohung
Belarus hatte am Sonntag vor einer Woche die Zwischenlandung eines Ryanair-Fliegers in Minsk erzwungen. Der oppositionelle Blogger Roman Protasewitsch und seine Freundin, Sofia Sapega, wurden dort festgenommen. Das hat in der EU heftige Kritik hervorgerufen. Was war passiert?
Die Ryanair-Maschine war am Sonntag vor einer Woche in Athen gestartet. Der Flug, der in die litauische Hauptstadt Vilnius gehen sollte, nahm eine ungeahnte Wendung, als die Maschine von belarussischen Behörden wegen einer angeblichen Bombendrohung gewarnt wurde.
Militärjet fängt Passagiermaschine ab
Ein Militärjet stieg daraufhin auf, um die Passagiermaschine abzufangen und zum Flughafen Minsk zu eskortieren. Die Entscheidung zur Landung in Belarus' Hauptstadt habe aber die Besatzung getroffen, erklärte der Vize-Kommandeur der Luftwaffe. Ryanair stellte später klar, dass die belarussische Flugsicherung die Maschine angewiesen habe, den Kurs zu ändern und Minsk anzusteuern. Auch Litauens Präsident Gitanas Nausėda sprach von einer Zwangslandung.
Oppositioneller Blogger Protasewitsch festgenommen
Nach der Landung in Minsk wurde der regimekritische Blogger Roman Protasewitsch festgenommen. Der im polnischen Exil lebende Journalist war von Machthaber Alexander Lukaschenko international gesucht worden.
Der 26-jährige Protasewitsch ist ein ehemaliger Redakteur des oppositionellen Telegram-Kanals Nexta. Darüber waren nach der von massiven Betrugsvorwürfen begleiteten Präsidentschaftswahl in Belarus im vergangenen August hunderttausende Demonstranten mobilisiert worden.
Keine Bombe gefunden
Mit Blick auf eine angebliche Bombendrohung teilten belarussische Regierungsvertreter später mit, es sei kein Sprengstoff gefunden worden. Aus Webseiten für die Nachverfolgung von Flugrouten ging hervor, dass das Flugzeug rund 30 Kilometer von der litauischen Grenze entfernt war, als es den Kurs änderte.
International hatte es scharfe Kritik am Vorgehen von Belarus gegeben. Das belarussische Außenministerium wies die Vorwürfe zurück. Sie seien haltlos. Die Behörden hätten im Einklang mit internationalen Vorschriften gehandelt. Es habe eine der Hamas zugeschriebene Bombendrohung gegeben. Der Hamas-Sprecher Fawzi Barhoum sagte indes, die Gruppierung habe damit „nichts zu tun“.
Auch das russische Außenministerium warf der EU vor, mit zweierlei Maß zu messen.
Waren Geheimdienstmitarbeiter an Bord?
Der Chef der litauischen Kriminalpolizei, Rolandas Kiskis, sagte am Montag, beim Start in Athen hätten sich 126 Passagiere an Bord befunden. Am planmäßigen Ziel in der litauischen Hauptstadt Vilnius seien mit dieser Maschine am Sonntagabend schließlich jedoch nur 121 Passagiere angekommen.
Ryanair-Chef Michael O'Leary und der irische Außenminister Simon Coveney hatten die Vermutung geäußert, dass es sich bei den übrigen fehlenden Passagieren um belarussische Geheimdienstmitarbeiter gehandelt habe. Demnach hätte Belarus Agenten bereits beim Abflug auf griechischem Boden eingesetzt. Auf Twitter spricht das Unternehmen von Luft-Piraterie. Litauens Kriminalpolizei-Chef Kiskis wollte sich zur Identität der fehlenden Passagiere nicht äußern.
Russlands Außenminister Sergej Lawrow sagte am Montag laut der Agentur Interfax, dass auch eine russische Frau in Polizeigewahrsam sei. Er sprach von einer „Bekannten“ von Protasewitsch. Mehrere Medien schrieben, dass es sich um die Freundin des Bloggers handeln soll.
Staatsfernsehen strahlt Video von Protasewitsch aus
Das belarussische Staatsfernsehen zeigte am Montag ein Video, in dem der Blogger Roman Protasewitsch die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zugibt: „Ich werde weiter mit den Ermittlern zusammenarbeiten und gestehe, Massenproteste in der Stadt Minsk organisiert zu haben.“ Weiter sagte der 26-Jährige, das Personal gehe mit ihm völlig angemessen um und respektiere die Gesetze.
Beobachter halten das Geständnis für erzwungen und machen auf die Male an Protasewitschs Stirn aufmerksam, die auf Schläge hindeuten könnten. Laut einer Sprecherin des belarussischen Innenministeriums befindet er sich in Untersuchungshaft im Haftzentrum Nummer eins im Zentrum von Minsk.
Von der festgenommenen Freundin des Bloggers, einer 23-jährigen Studentin mit russischem Pass, weiß man nichts. Die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja geht davon aus, dass sie in das berüchtigte Okrestina-Gefängnis in Minsk gebracht worden ist. Was ihr vorgeworfen werde, sei nicht bekannt.
Der belarussische Staatschef Lukaschenko unterzeichnete unterdessen ein Gesetz, das Medien die Berichterstattung über Protestaktionen so gut wie unmöglich macht.
Brüssel und EU-Länder bestellen Botschafter ein
Der belarussische EU-Botschafter wurde zum Gespräch in Brüssel einbestellt. Die „empörende Aktion der belarussischen Behörden“ stelle „einen weiteren eklatanten Versuch dar, alle oppositionellen Stimmen im Land zum Schweigen zu bringen“, hieß es in einer Erklärung.
Neben anderen EU-Ländern hat auch Deutschland den belarussischen Botschafter ins Auswärtige Amt einbestellt. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) schrieb auf Twitter, die bisherigen Erklärungen zu den Vorfällen in Minsk von der belarussischen Regierung seien abwegig und nicht glaubwürdig. Man brauche Klarheit darüber, was sich zugetragen habe. Maas forderte auch, die beiden Festgenommenen freizulassen.
Merkel fordert sofortige Freilassung
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die sofortige Freilassung des Regimekritikers und dessen Partnerin in Belarus gefordert. Nach dem EU-Gipfel in Brüssel sagte Merkel, sie sei der Meinung, dass es sich um den Bruch eines internationalen Abkommen handelt. Und das sei inakzeptabel.
Internationale Politiker fordern Konsequenzen gegen Belarus
Die erzwungene Landung in Belarus und die Festnahme von Protasewitsch haben international für Kritik gesorgt. EU-Ratspräsident Charles Michel hatte den Vorfall als drastische Verletzung der internationalen Luftverkehrsregeln bezeichnet.
Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte die Aktion als „Entführung“ der Maschine durch Belarus angesehen, die sanktioniert werden müsse.
US-Außenminister Antony Blinken sprach von einer schockierenden Handlung der Regierung Lukaschenkos.
Litauen will transatlantische Reaktion gegen Belarus
Am Sonntagabend ist die Ryanair-Maschine schließlich in Vilnius gelandet – mit mehr als acht Stunden Verspätung. Die litauische Staatsanwaltschaft leitete noch am Sonntag eine strafrechtliche Untersuchung der Vorgänge ein. Unter anderem gehe es dabei um die mögliche Entführung eines Flugzeugs zu terroristischen Zwecken und den Verstoß gegen internationale Verträge, teilten die Behörden mit.
Mehrere Passagiere seien bereits unmittelbar nach der Landung um eine Aussage gebeten worden, teilte Litauens Regierungschefin Ingrida Šimonytė mit. Der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis erklärte am Sonntagabend, er habe mit dem US Assistant Secretary of State für Europa-Angelegenheiten, Philip Reeker, darüber diskutiert, „dass das beispiellose Ereignis eine starke transatlantische Reaktion finden muss“.