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Lea Kerpacs
Lea Kerpacs: Website-Redakteurin bei SWR3 (Foto: SWR3, Niko Neithardt)

Von einer Tüte Gummibärchen am Tag radikal auf zuckerfrei umstellen? Klingt schwer, ist es auch. Hilft die kleine Extraportion Motivation zum Jahresanfang, es trotzdem zu schaffen?

Zuckerverzicht im Selbstversuch: Wie schwer fällt die Umstellung?

Jeder, der behauptet, es sei einfach, der lügt. Macht euch nichts vor, es ist eine Sucht.

Das sage ich, Lea Kerpacs. Ich bin SWR3-Redakteurin und auf die irrwitzige Idee gekommen, auf Zucker zu verzichten. In meinem Fall heißt das: von einer Tüte Gummibärchen während der Arbeit, Bonbons am Feierabend und Kuchen am Wochenende auf Null, nichts mehr – von einem auf den anderen Tag. Wie das Experiment begonnen hat, welche Fehler, Tipps und Tricks ich gesammelt habe und ob sich der Aufwand überhaupt lohnt, erzähle ich hier.

Auf Zucker verzichten: Wie hat das Experiment begonnen?

Der Einstieg in das Experiment „zuckerfrei“ war nicht ganz freiwillig: Ich hatte ein Loch in einem Backenzahn. Eine Horrorvorstellung für jemanden wie mich mit Zahnarztphobie, aber eben auch selbstverschuldet – das gehört zur Wahrheit dazu. Danach hieß es: lange acht Tage auf den Zahnarzttermin warten.

Diese quälend lange Zeit war für mich der Startschuss: Weg mit den Gummibärchen (und natürlich auch her mit der Zahnseide)! Der Plan war, bis zum Zahnarztbesuch keinen Zucker mehr zu essen. Denn auch wenn ich weiß, dass es Monate dauert, bis aus Karies ein großes Loch im Zahn wird, wollte ich nicht riskieren, dass diese eine Woche den Status noch weiter verschlimmert. Und acht Tage erschienen mir schon unerreichbar lang.

Die erste Aktion war, alles auszusortieren, was einen hohen Zuckeranteil hat. Das Resultat war eine Woche, die vor allem von Nudeln, Tomaten und Gurkensticks geprägt war – mangels kreativer Ideen. Aber viel wichtiger: Ich habe diese Woche durchgehalten! Und nachdem das Loch (nicht so schlimm wie es aussah) gefüllt war, kam die Frage auf: Gummibärchen rausholen oder durchziehen? Warum nicht weitermachen?

Zuckerentzug: Frustration und Heißhunger auf Zeit

Ich war stolz auf meine erste Woche ohne Zucker. Und gleichzeitig ironischerweise ziemlich mies gelaunt. Klar: Ich war auf Zuckerentzug – und nicht sicher, ob der irgendwann mal vorbei sein würde. In einem Werbespot für Zucker von 1954 heißt es:

Ach wie wär' das Leben traurig,
gäb' es keinen Zucker mehr.
Kinder hätten keine Freude,
keine Lust zum Spielen mehr.

Und ganz ehrlich: Genau so haben sich die ersten zwei bis drei Wochen auch angefühlt. Meine Laune war im Keller, der Frust groß. Ich war immer wieder traurig (klingt überzogen, war aber so), meine Gedanken drehten sich ständig um den „verbotenen Stoff“. Wenn jemand wissen möchte, wie sich richtiger Heißhunger anfühlt: Bittesehr. Einfach mal auf Zucker verzichten. Aufgeben wollte ich aber auch nicht: Dafür hatte ich schon zu lange durchgehalten. Diese Hangelpartie hat auch mein Umfeld zu spüren bekommen, obwohl ich mich ehrlich bemüht habe, meine Niedergeschlagenheit nicht allzu sichtbar zu machen. Als ich meinen Partner für diesen Artikel gefragt habe, wie er die Zeit erlebt hat, meinte er:

Es gab Tage, da warst du anders: zurückhaltender, abwesend. Muss der Entzug gewesen sein. Da ich mich darauf eingestellt hatte und Bescheid wusste, war es für mich nachvollziehbar und ich konnte dich da unterstützen.
Oft ist es mir trotzdem passiert, dass ich dir aus Gewohnheit etwas Süßes wie 'ne Cola aus dem Kühlschrank angeboten habe. Das braucht einfach seine Zeit.

Deshalb lohnt sich der Verzicht auf Zucker

Das Schöne am Zuckerverzicht: Besonders hart ist der Anfang – wenn der Zuckerentzug reinhaut. Dann ist die Motivation aber auch noch am höchsten. Danach wird es nur noch einfacher.

Den ersten großen Aha-Moment hatte ich bei der Arbeit: Mein Mittagstief war weg. Der extra Energiekick, den ich mir früher von den Süßigkeiten für den Nachmittag erhofft hatte, war gar nicht mehr nötig. Das Mittagessen hat vollkommen ausgereicht, um durch den Nachmittag zu tragen.

Andere Effekte waren subtiler. Ich habe mich mit jeder Woche weniger träge oder antriebslos gefühlt. Kleine Veränderungen, die mich nach dem Gefühls-Tief durch den Entzug regelrecht in ein Hoch gebracht haben. Zeitweise war ich so motiviert, dass ich sogar wieder angefangen habe, mehr Sport zu treiben! Verrückt, oder? Ich habe mich in meinem Körper einfach leichter und irgendwie auch wacher gefühlt.

Ernährungsumstellung: Wie war die körperliche Ausgangssituation?

A propos „leichter“: Seit ich denken kann, liegt mein Gewicht im tendenziell eher unteren Normalbereich. Und natürlich habe ich am Anfang auch abgenommen – vieles von meinem bisherigen Speiseplan fiel ja ersatzlos weg. Nach der ersten, ernährungstechnisch sehr einseitigen Woche, habe ich aber angefangen, meinen bisherigen Speiseplan umzukrempeln und vielseitig, gesund aufzubauen. Deshalb war ich schnell wieder bei meinem ursprünglichen Gewicht. Laut der heimischen Körperwaage sind dafür der Wasser- und Körperfettanteil gefallen, der Anteil der Muskelmasse stieg. Für eine medizinische Analyse sind diese Waagen zu ungenau, die generelle Tendenz deckt sich aber mit meinem körperlichen Empfinden.

Für mich überwiegen diese positiven Effekte auf jeden Fall. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich keine Lust mehr auf Süßes habe! Wenn ich aber abwäge, geht es mir ohne Zucker auf jeden Fall besser. Solange das so bleibt, werde ich weitermachen.

3 Tipps, wie man den Neujahrsvorsatz durchzieht

Es führt nichts drum herum, vor allem die ersten Wochen können hart sein. Egal, welche neue Routine man etablieren möchte. Da muss man durch und braucht unter Umständen auch einen eisernen Willen. Für mich haben sich drei Tipps herausgestellt, die das Experiment erträglicher gemacht haben:

  1. Ziele stecken, mit denen man sich gut fühlt: Ein Ziel kann der vollständige Verzicht auf Zucker sein. Ein Ziel kann aber auch sein, keine Snacks mehr zu essen oder auch nur für einen begrenzten Zeitraum zu verzichten. Nichts davon ist besser oder schlechter als das andere – solange ihr euch damit wohl fühlt.
  2. Exit-Strategien bereitlegen: Auch wenn man sich fest vorgenommen hat, keine Süßigkeiten mehr zu essen, kickt der Heißhunger durch den Zuckerentzug vor allem zu Beginn rein. Dann helfen vorher festgelegte Strategien: Was tue ich, wenn der Heißunger kommt? Vorher geschnibbeltes Gemüse essen zum Beispiel. Mir hat es geholfen, ein Glas Wasser trinken, denn getrunken habe ich auch immer zu wenig. So kommt man nicht ins Grübeln: „Soll ich oder soll ich nicht?“, sondern greift einfach auf die Ersatz-Routine zurück.
  3. Alles oder nichts? Blödsinn. Wer einzelne Ausnahmen zulässt, hält langfristig besser durch: Ich habe es am Anfang als selbstauferlegtes Verbot empfunden, keine zuckerhaltigen Lebensmittel mehr essen zu dürfen. Dabei ist es genau umgekehrt: Jeden Tag, an dem ich mich besser ernähre, als früher, habe ich etwas gewonnen. Die Entscheidung liegt bei mir: Ich kann jederzeit aufhören, wenn ich das möchte. Und wenn mir zu Weihnachten danach ist, mit der Familie einen Bratapfel zu essen, dann tue ich das, weil es mir das in diesem Moment wert ist. Das macht die Jahresbilanz nicht kaputt und ist keine Schwäche, sondern eine bewusste Entscheidung. Und darum geht es im Grunde: Bewusst zu entscheiden, was man essen möchte, statt unbedacht zu schaufeln.

Zuckerfrei ist kein Patentrezept – fragt euren Arzt!

Auf Zucker zu verzichten ist eine Ernährungsumstellung; je nach Strenge sogar eine ziemlich große. Wer wie ich beispielsweise auch auf Fruchtzucker verzichtet, muss schauen, dass er immer noch alle Nährstoffe bekommt, die er braucht. Vitamine etwa, die sonst über Obst zu sich genommen werden, sollten nicht einfach ersatzlos gestrichen werden. Sprecht bei Vorerkrankungen und großen Umstellungen mit eurem Hausarzt darüber, was in eurem persönlichen Fall geht und was nicht. Eine Woche fällt noch nicht allzu sehr ins Gewicht. Entwickelt sich aus einem gut gemeinten Ansatz aber ein Mangel in einem anderen Bereich, ist nichts gewonnen.

Seit vier Monaten kein Zucker? Das Radio-Interview zum Nachhören

Zu Neujahr 2022 war ich vier Monate im Experiment und habe mit Nicola Müntefering über meine Erfahrungen gesprochen. Hier könnt ihr nochmal reinhören:

Lea Kerpacs: Website-Redakteurin bei SWR3 (Foto: SWR3, Niko Neithardt)

Auf Zucker verzichten Seit vier Monaten kein Zucker mehr? SWR3-Redakteurin Lea Kerpacs erzählt von ihren Erfahrungen

Dauer

Wie hat das Experiment begonnen, wie viele Kilo sind gepurzelt und ist das überhaupt gesund? Das ganze Interview aus SWR3 NOW mit Nicola Münteferig hier nachhören.

Eure Reaktionen auf das Gespräch im Radio haben gezeigt: Ich bin mit dem Experiment nicht allein! SWR3-Hörerin Christiane schreibt zum Beispiel: „Ich lebe seit dem 26.01.2022 OHNE Zucker... das war eine Sucht und es fühlt sich toll an, das überwunden zu haben!

Eberhard weist in seiner Mail ins Studio auf die manchmal irreführende Produktbeschreibung „light“ hin und erklärt: Einfach die light-Variante kaufen und automatisch gesünder leben, ist nicht drin.

Beim Thema Zucker hatte ich mein Überraschungserlebnis bei vielen fettreduzierten „Light“-Produkten. Wer sich gesünder ernähren möchte oder muss, der greift ja zum Beispiel bei Naturjoghurt reflexartig eher zur Variante „Der Leichte“ mit 0,1 % Fett statt zum normalen Joghurt mit 3,5 % Fett. Blöd nur, dass die Hersteller in die Lightvariante mehr Zucker reinpacken, um den Geschmack zu verbessern... Der Joghurt mit 3,5 % Fett in meinem Kühlschrank hat 4,8 % Zuckeranteil, das Schwesterprodukt mit 0,1 % Fett hingegen 6,6 % Zuckeranteil. Bei vielen anderen „Light“-Produkten ist das ganz ähnlich und man muss schon die Zutatenliste durchlesen, damit man sich richtig entscheidet...

Oliver schreibt, bei ihm habe die Diagnose Diabetes dazu geführt, auf Zucker zu verzichten. Auch er kennt den Weg durch den Zuckerentzug, bereut es aber nicht:

Als ich vor 6 Jahren die Diagnose Diabetes bekam habe ich radikal von Heut auf Gestern keinerlei Zucker mehr gegessen.
Es war das Härtete was ich mir selbst bisher zugemutet habe. Ich habe inzwischen 30 kg abgenommen, bin aber was z.B. Obst betrifft etwas lockerer geworden, also zwei Äpfel am Tag, und einen Teelöffel voll selbstgemachte und zuckerreduzierte Marmelade zum Frühstück oder Mal ein Naturjoghurt, sind meine Zuckerbomben am Tag ansonsten keine Fertigprodukte, alles frisch und selbst zubereitet und mir geht's gut.

(Zwischen)Fazit: Wie geht es mir nach über einem Jahr?

Seit meiner Umstellung sind 16 Monate vergangen, fast 1,5 Jahre. Ich bin immer noch dabei. Und ich bin mächtig stolz auf mich! Inzwischen ist das zuckerfreie Leben zur Normalität geworden; das ist das Tolle an Routinen: Die ersten Einkäufe sind wahnsinnig anstrengend, weil alles neu ist. Aber sind wir mal ehrlich: Wir erfinden nicht mit jedem Wocheneinkauf die (Ernährungs-)Welt neu und das macht das zuckerfreie Leben recht unkompliziert. Schwieriger sind da eher Familienfeste und der Apfelkuchen der Oma. Aber auch dafür habe ich eine Lösung gefunden:

Den Druck rausnehmen: Ich bin nicht allergisch gegen Zucker!

Am liebsten würde ich alles perfekt machen, mein Konzept durchziehen und in jedem Moment daran festhalten. Schließlich bestimme ich ja selbst, wie ich mich ernähre. Aber es wird immer wieder Situationen geben, in denen an diesem Grundsatz nicht so leicht festzuhalten ist – zumindest für mich. Und ja, dann esse ich ein Stück des Apfelkuchens. Schließlich bin ich nicht allergisch oder zuckerkrank.

Lea Kerpacs: Website-Redakteurin bei SWR3 (Foto: SWR3, Niko Neithardt)

SWR3 NOW Ein Jahr zuckerfrei? Der Selbstversuch

Dauer

Wie schwer fällt der Verzicht und wie hält man es ein Jahr lang aus, auf Zucker zu verzichten? SWR3-Redakteurin Lea Kerpacs erzählt von ihren Erfahrungen.

Ich akzeptiere, dass es Situationen gibt, in denen ich den Zuckerverzicht hintenanstelle. Weil mir die strahlenden Augen von Oma wichtiger sind, oder die Tradition, an Weihnachten gemeinsam den Stollen zu essen. Und das ist völlig okay. Es bleiben immer noch circa 360 andere Tage im Jahr, in denen ich mich anders ernähre. Und darauf, diese Flexibilität bewahren zu können, ohne das Experiment abzubrechen, bin ich auch ein bisschen stolz.

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