Montagabend, Frankfurt. EM-Achtelfinale, Portugal gegen Slowenien. In der Nachspielzeit ist noch immer kein Tor gefallen. Dann gibt es für Portugal die Chance: einen Elfmeter. Aber: Superstar Cristiano Ronaldo verschießt – ein seltenes Ereignis, dass ein Elfmeter von Ronaldo nicht im Tor ankommt.
Die Szenen danach fluten am nächsten Tag die sozialen Netzwerke: Cristiano Ronaldo steht weinend auf dem Platz, seine Teamkollegen trösten ihn. Portugal gewinnt das Spiel am Ende doch. In den Interviews danach wird es dann regelrecht martialisch. Der 39-Jährige sagt über das anstehende Viertelfinale: „Wir werden jetzt ein schwieriges Spiel gegen Frankreich haben, das einer der Favoriten auf den Titel ist. (...) Aber wir ziehen in den Krieg.“ Und: „Zuerst war ich wahnsinnig traurig, jetzt bin ich glücklich. So ist der Fußball nun mal.“
Experte zu Emotionen: Ronaldos Tränen sind „Gold wert“
Rudelbildung, Ausraster, Jubel und Tränen – Emotionen gehören zum Fußball dazu, nicht nur bei Ronaldo. Dazu kommt natürlich der enorme Druck, der auf den Spielern lastet. Professor Dr. Harald Lange ist Fan- und Fußballforscher an der Universität Würzburg. Er sagt: Ronaldos Tränen seien „Gold wert“, denn sie würden seine Glaubwürdigkeit unterstreichen.
Tränen seien dann authentisch und das würde wiederum auf den Tribünen registriert und wertgeschätzt werden. Denn: Fußball ist auf jeden Fall auch für die Fans eine emotionale Angelegenheit.
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Warum sind Fans beim Fußball so emotional?
Neben Autofahren ist wahrscheinlich auch Fußball schauen eine der Situationen, in denen noch mal völlig neue Seiten an den Mitmenschen entdeckt werden können: Den Schiedsrichter beschimpfen oder vor Freude weinend in den Armen des völlig fremden Menschen nebenan liegen – alles Emotionen, die wir so normalerweise nicht an der Kasse im Supermarkt rauslassen würden. Beim Fußball gelten eben andere Regeln wie im Alltag.
Dabei ist Fußball ja rein rational betrachtet einfach nur Sport. Aber genau darin liegt wohl auch der Grund für ausufernde Emotionen, sagt Lange. Denn: Hier können Emotionen ganz ohne Risiko ausgelebt werden. Anders ist das zum Beispiel in der Beziehung, bei der Arbeit oder in der Schule: „Da müssen wir etwas vorsichtiger agieren, dürfen uns nicht so sehr reinsteigern, weil dann hinterher die Enttäuschung umso größer ist. Weil da unter Umständen Lebensentscheidungen getroffen werden, die dann gegen uns laufen. Und deshalb sind wir da immer etwas angespannt, etwas vorsichtig. Da haben wir gewisse Hemmungen, Emotionen auch frei rauszulassen. (...) Der Sport ist unwichtig und gleichzeitig wichtig.“
Meine Mannschaft verliert ein Spiel oder fliegt aus einer EM oder WM? Eigentlich geht das Leben dann am nächsten Tag ganz normal weiter. Ohne ernsthafte Konsequenzen. Das wird sich aber mindestens 90 Minuten lang für viele anders anfühlen. Aber der Exit-Plan im Hinterkopf macht es offenbar erträglicher. Lange erklärt: „Ich kann wunderbar in diese Welt eintauchen, aber dann nach einer gewissen Zeit auch wieder rauskommen in die reale Welt. Und diese Sportwelt, die ist tatsächlich so, dass sie quasi eine Scheinwelt ist, die mir suggeriert: In der Spanne des Wettkampfes ist es wirklich (...) das einzige und wichtige Thema dieser Welt und im Hinterkopf weiß ich: Selbst wenn es schief geht, danach geht mein Leben normal weiter.“
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Kann Fußball verbinden?
Nicht-Fans kennen es: Das ganze Jahr über spielt Fußball nicht wirklich eine Rolle im Leben. Dann steht eine EM oder WM an und plötzlich steht man mitten im Public Viewing. Und ist plötzlich Fan.
Verantwortlich dafür sei das Gruppengefühl, als Gemeinschaft zu agieren, erklärt der Fan- und Fußballexperte. Fußball verbindet also? Nicht unbedingt. Das sei vor allem ein Slogan, der von PR-Strategen großer Fußballinstitutionen eingebracht werde, so Lange.
Denn: Im Fußball geht es im Wesentlichen um zwei rivalisierende Mannschaften. Und das kann manchmal alles andere als verbindend sein: „Da sind die Fanlager einander nicht wohlgesonnen, sondern verfeindet. Und dann ist das alles andere als eine verbindende Veranstaltung. Sondern die macht Differenzen sichtbar. Die provoziert die Schmähungen, die provoziert Beleidigungen und die führt dann am Ende dazu, dass bestimmte Mannschaften in ihren Fans voneinander getrennt werden müssen, das in den Blöcken Polizei eingesetzt wird, um die Menschen zu trennen.“ Diese unschönen Szenen gibt es beim Fußball natürlich auch. Aber: Das geht auch anders.
Emotionen beim Fußball? Kennt auch Tom Gregory! Er war übrigens auch beim SWR3 Rheinland-Pfalz Open Air in Mainz dabei!
Emotionen beim Fußball: Fans sind die „Gewinner dieser EM“
Was sich gerade bei dieser EM zeige: Zahlreiche berührende und lustige Fan-Momente. Bier wird von deutschen Balkonen an vorbeiziehende Fans gereicht, Schotten halten älteren Menschen im Regen einen Schirm – diese Europameisterschaft sorgt auf jeden Fall für viele schöne Bilder. Und ist damit tatsächlich besonders, findet Lange.
Woran liegt das? Woher kommen diese schönen Szenen? Sehnen sich die Menschen bei einer weltpolitisch oder gesellschaftlich angespannten Lage nach der Unbeschwertheit des Fußballs? Nein, das ist zu weit gegriffen, findet Lange. „Das ist so ein Narrativ, was quasi im öffentlichen Diskurs drinsteckt, was auch bewusst gebraucht wird für alle möglichen Instrumentalisierungen. Das ist sehr opportun, dieses Argument, dieses Narrativ so zu gebrauchen, weil damit kannst du dann, wenn du willst, alles erklären. (...) Davon halte ich überhaupt nichts.“ Emotionen im Fußball würden gerade deshalb funktionieren, weil sie eben unabhängig vom Weltgeschehen und den Problemen des Alltags stattfinden.
Fußball ist halt am Ende doch einfach nur Fußball – und irgendwie auch so viel mehr.
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