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Leo Eder
Leo Eder (Foto: SWR3)
Christian Kreutzer
Christian Kreutzer (Foto: SWR3)

Manfred Genditzki hatte die Vorwürfe gegen ihn stets bestritten – und bekam erst dank neuer Gutachten endlich Recht. Auch daran, dass der „Badewannen-Mord“ wirklich ein Verbrechen war, bestehen erhebliche Zweifel.

Bis vergangenen August hat Manfred Genditzki im Knast gesessen: 4.912 Tage oder knapp 13,5 Jahre. Das Landgericht München II hatte ihn 2010 zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt. Nach Ansicht der damals zuständigen Kammer hatte er im Oktober 2008 eine 87 Jahre alte Bewohnerin des Hauses, in dem er als Hausmeister arbeitete, in der Badewanne ertränkt.

Wenn der Staatsanwalt auf Seiten des Angeklagten steht

Zweimal war er wegen Mordes verurteilt worden. Dann tauchten neue Gutachten auf und alles stellte sich anders dar: Vermutlich ist die alte Frau verunglückt, steht beispielsweise in einem biomechanischen Gutachten zu dem Fall. Im vergangenen August wurde Genditzki freigelassen und das Verfahren in diesem Frühjahr wieder aufgenommen.

Nicht nur die Verteidigung, auch die Staatsanwaltschaft hatte nun einen Freispruch gefordert. „Hat überhaupt eine Tat stattgefunden?“ – das sei die entscheidende Frage, sagte Michael Schönauer vorab. Er ist Staatsanwalt und vertrat die „Anklage“ im Wiederaufnahmeverfahren, das am Freitag (7. Juli) abgeschlossen wurde.

Genditzki zeigte sich nach seinem Freispruch erleichtert, sagte aber auch:

Ich werde keine Freudensprünge machen. Einen Grund zum Jubeln habe ich nicht, 14 Jahre sind weg.

„Badewannen-Mord“-Prozess: Richterin kritisiert Justiz

Die Vorsitzende Richterin Elisabeth Ehrl hat die Ermittlungs- und Justizbehörden scharf kritisiert. Sie sprach von einer „Kumulation von Fehlleistungen“, die dazu geführt hätten, dass Genditzki zweimal verurteilt wurde für ein Verbrechen, das es nach heutiger Auffassung des Gerichts nie gegeben hat – und dazu, dass er 13 Jahre lang unschuldig in Haft saß. Ihr erscheine es so, als sei bei den Ermittlungen „manches sehr einseitig verarbeitet und zu Lasten von Herr Genditzki“ gewertet worden.

Kontrollmechanismen hätten hier nicht funktioniert. „Es tut uns wirklich aufrichtig leid, dass Sie mitten aus Ihrem normalen Leben gerissen wurden“, dass es Genditzki nicht vergönnt gewesen sei, „Ihre beiden jüngeren Kinder aufwachsen zu sehen, zur Beerdigung Ihrer Mutter zu gehen“.

Jetzt ist es so weit. Sie haben den Tenor gehört, auf den Sie fast 14 Jahre lang gewartet haben.

Es sei ein steiniger Weg für den Angeklagten gewesen, den er mit bewundernswerter Geduld gegangen sei. „Wie es in Ihnen aussieht, kann man nur erahnen“, sagte die Vorsitzende Richterin Elisabeth Ehrl. Die Staatskasse müsse ihn für die zu Unrecht verhängte Gefängnisstrafe entschädigen. Das hatte zuvor auch schon Staatsanwalt Schönauer gefordert.

75 Euro Entschädigung pro unrechtem Haft-Tag

75 Euro pro Haft-Tag – so viel bekommt ein zu Unrecht Inhaftierter als Entschädigung laut Justizministerium. Genditzki würde somit für seine knapp 13,5 Jahre Gefängnis 368.400 Euro bekommen. Diese Summe sei viel zu gering, sagen Kritiker. Bis vor einigen Jahren lag der Tagessatz sogar nur bei 25 Euro. Genditzki kann zusätzlich zur Entschädigung noch materiellen Schaden geltend machen, zum Beispiel für Verdienstausfall.

Hier seht ihr den ganzen erschütternden Fall des Manfred Genditzki in der Crime-Time-Doku des SWR:

Nix „Badewannen-Mord“: Seniorin ist wohl schlicht gestürzt

Möglich sei laut dem biomechanischen Gutachten, dass die Seniorin, die laut dem früheren Urteil von Genditzki ermordet worden sein soll, schlicht in die Wanne stürzte, sich den Kopf anschlug und ertrank. Laut einem weiteren thermodynamischen Gutachten starb die alte Frau zudem mit sehr großer Wahrscheinlichkeit deutlich nach dem von der Staatsanwaltschaft angenommenen Tatzeitraum.

Genditzki hat die Vorwürfe stets bestritten. Der Tag seiner Verhaftung sei für ihn der „Tag seiner persönlichen Zeitenwende“ gewesen, sagte sein Anwalt Klaus Wittmann in seinem Schlussplädoyer und forderte – ebenso wie seine Kollegin Regina Rick – Freispruch wegen erwiesener Unschuld und nicht aus Zweifel an Beweisen.

Genditzki-Verteidigerin: „Die Anklage war nicht nur bösartig, sondern auch schlampig“

„Es ist absolut nicht gerechtfertigt, irgendeinen Makel noch an Herrn Genditzki hängen zu lassen“, sagte Wittmann vor dem Freispruch. Die Vorwürfe seien „Unfug, einfach Unfug“. „Er ist unschuldig und das muss meines Erachtens nach in dem Urteil drinstehen.“

Rick fügte hinzu: „Man hat jemanden verurteilt, gegen den nichts vorlag, und hat damit eine Realität geschaffen, die es nie gab.“ Sie kritisierte die Ermittlungsbehörden von damals scharf: „Die Anklage, die war nicht nur bösartig, sondern auch schlampig.“

Die Geschichte um Manfred Genditzki erinnert manche an den Justizirrtum im Fall Harry Wörz:

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Vorwurf: Anklage hat 2010 den Streit zwischen Seniorin und „Täter“ schlicht erfunden

Sie glaube nicht daran, dass Indizien, die ihren Mandanten entlasteten, zufällig nicht in den Akten auftauchten, so die Anwältin. „Nichts von dem hat sich bewahrheitet, was in der Anklage steht.“

Behauptungen in der Anklage seien nicht von Beweisen unterfüttert. Als Motiv wurde beispielsweise ein Streit angenommen. „Dieser Streit war immer und ist eine Erfindung der Justiz“, betonte Rick.

Staatsanwalt: Erkenntnisse, die es im ersten „Badewannen-Mord-Prozess“ noch nicht gab

Das damalige Urteil war nach zwei Revisionen rechtskräftig geworden. Nach Genditzkis jahrelangem Kampf wurde der Fall schließlich neu aufgerollt – was höchst selten vorkommt. Im neuen Verfahren waren nun Gutachter gehört worden, die den jahrelang inhaftierten Mann aus Sicht seiner Verteidigung und dann auch der Staatsanwaltschaft entlasteten.

20 Jahre zu Unrecht im Gefängnis „Schlimmste Serienmörderin Australiens“ ist gar keine

Stell dir vor, du hast vier Kinder. Alle sterben. Die Gesellschaft denkt, du hättest sie umgebracht. Hast du aber nicht. Und nach 20 Jahren in Haft wird dir endlich geglaubt.

Der Prozess sei „vor allem ein Sachverständigenprozess“ gewesen, sagte Staatsanwalt Schönauer. Und diese hätten auf Erkenntnisse zurückgreifen können, die es in den vergangenen beiden Prozessen noch nicht gegeben habe.

Genditzki: „Ich möchte noch sagen, dass ich unschuldig bin“

Die Wissenschaft habe sich seither sehr weiterentwickelt. Genditzki selbst hatte in seinem letzten Wort „nur drei Dinge, die ich loswerden möchte“: „Ich habe hier das erste Mal erfahren, dass sich die Kammer mal für die Wahrheit interessiert“, sagte er, bevor er seiner Frau, seiner Familie, seinen Unterstützern und seinen Anwälten dankte. „Und: Ich möchte noch sagen, ich bin unschuldig. Das war's.“

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