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Tamara Trunk
Tamara Trunk (Foto: privat)

Wenn Eltern, Freunde oder Großeltern dement werden, wissen Angehörige oft nicht, wie sie sich verhalten sollen und helfen können. Demenz-Botschafterin Sophie Rosentreter macht Mut.

Demenz: Informationen für Angehörige

Wenn der Geist schleichend verschwindet und geliebte Personen ihre Fähigkeiten und Erinnerungen verlieren, stehen auch Angehörige vor einer großen Belastung. Pflege, Zuwendung und Verständnis sind wichtig – aber alleine muss und kann man diese Last nicht tragen, weiß auch Sophie Rosentreter. Gemeinsam mit ihr beantworten wir hier die wichtigsten Fragen:

Sie war in der Sendung SWR3 Talk mit Kristian Thees zu Gast. Im Interview erzählt sie, was sie selbst im Umgang mit ihrer dementen Oma falsch gemacht hat, was sie daraus gelernt hat und wie sie dieses Wissen jetzt weitergeben möchte. Außerdem erklärt sie, wieso sie den Begriff „demenzkrank“ aus ihrem Sprachgebrauch gestrichen hat und stattdessen lieber von einer demenziellen Veränderung spricht. Die ganze Folge zum Thema Demenz hört ihr hier:

SWR3 Talk Mit Thees (Foto: SWR, Imago Eibner)

Talk mit Thees Sophie Rosentreter: Warum wir bei Menschen mit Demenz alles anders machen sollten

Dauer

Sophie Rosentreter war früher Model und Fernsehmoderatorin. Heute ist sie Demenz-Aktivistin. Nach dem Tod Ihrer geliebten Omi gründete sie die Firma „Ilses weite Welt“, die Angehörige von Demenzkranken unterstützt und Filme speziell für die Patienten produziert. Sie plädiert dafür, mit demenzkranken Menschen anders umzugehen, als wir das oft tun. Sie hat wunderbare Beispiele, und der Humor kommt nicht zu kurz.

Woran erkennt man Demenz?

In Deutschland leben etwa 1,8 Millionen Menschen mit demenzieller Veränderung und die Diagnose betrifft nicht nur Ältere: Nach Schätzungen der WHO sind mehr Menschen unter 65 Jahren betroffen als bislang angenommen. Wieso jetzt mehr Fälle erkannt werden können und welche Risikofaktoren es gibt, lest ihr bei den Kollegen von SWR Wissen.

Es gibt viele verschiedenen Demenzerkrankungen. Oft wird Alzheimer synonym mit Demenz verwendet, jedoch handelt es sich bei Demenz um den Oberbegriff und Alzheimer ist die häufigste Form der Erkrankung. Jeder Mensch, der Alzheimer hat, ist dement, aber ein dementer Mensch hat nicht unbedingt Alzheimer.

Eine Demenz ist mehr als eine Gedächtnisstörung. Sie zieht das gesamte Leben in Mitleidenschaft: die Wahrnehmung, das Verhalten und das Erleben. Die ersten Anzeichen gibt es oft viele Jahre vor der Diagnose – und der Prozess ist schleichend, beschreibt Sophie Rosentreter: „Am Anfang merke ich, dass mir der Name nicht einfällt, ich merke, dass ich die Straße nicht mehr erkenne.“

Bevor die Diagnose gestellt wird, gibt es erste Symptome, die auf eine Demenz hinweisen könnten:

  • gestörtes Kurzzeitgedächtnis
  • verminderte Merkfähigkeit
  • Fehleinschätzung von Gefahren
  • Fähigkeiten und Fertigkeiten verschwinden
  • Sprachstörungen
  • Orientierungslosigkeit
  • hartnäckiges Abstreiten von Fehlern, Irrtümern oder Verwechslungen

Menschen mit Demenz werden zu Experten der Gefühle. In der fortgeschrittenen Demenz gibt es den Punkt: Ich weiß nicht mehr, dass ich etwas habe, das Demenz heißt – ich rutsche ab in meine Welt aus Erinnerungen.

Kommunikation mit Menschen mit Demenz

Menschen mit Demenz gehen meist in das Alter zwischen fünf und 25 Jahren zurück. Es gibt verschiedene Theorien, wie man mit Menschen mit Demenz kommunizieren kann und wie man sie erreicht, wenn sie nicht mehr so sind, wie man sie kennen gelernt hat. Sophie Rosentreter hat dazu im SWR3-Interview auch die Ansichten des Kommunikationsexperten Erich Schützendorf zusammengefasst:

Wir können nur Menschen mit Demenz erreichen, indem wir in ihre Welt eintauchen. Es wird nie hinhauen, dass wir sie in unsere Realität wieder zurückholen.

Ein genereller Tipp von Sophie Rosentreter: Versuche, die Gefühle deines Gegenübers zu erkennen und zu spiegeln. So findest du schneller einen Zugang zu der Person.

5 Alltagssituationen und Lösungsansätze bei Demenz

Jede Form der Demenz ist anders und jeder Mensch hat andere Hintergründe und eine individuelle Lebensgestaltung. Diese Auflistung aus dem Interview mit Sophie Rosentreter soll Denkanstöße geben, wie man Alltagssituationen mit dementen Menschen lösen könnte.

1. Das Umfeld informieren und Freiraum lassen

Die Situation: Menschen, die sich durch die Demenz verändern, halten oft an bestimmten Mustern und Abläufen fest. Vielleicht geht der Opa schon seit 50 Jahren zum Bäcker oder die Oma hat einen festen Termin bei ihrem Friseur. Mit der Demenz kann es passieren, dass sie mehrmals täglich ihren Alltagsort aufsuchen und es nicht merken. Angehörigen kann das unangenehm sein und der Friseur weiß nicht, wie er reagieren soll.

Eine Lösung: Nicht schimpfen oder Türen abschließen – und für Aufklärung sorgen. Lieber vorher auf die Personen zugehen und offen mit der Diagnose umgehen. Beim Bäcker kann man anbieten, ein Mal die Woche für die „Einkäufe“ der dementen Person zu zahlen. Der Friseur kann sagen „Sie sehen heute so toll aus, da brauchen Sie gar keinen Haarschnitt!“ Wer die Diagnose kennt, kann sich darauf vorbereiten und gut reagieren und die demente Person kann an einer Routine festhalten.

2. Verständnis und Empathie zeigen

Die Situation: Sophie Rosentreter beschreibt im SWR3-Interview dieses Szenario. Ihre demente Oma wohnte im zweiten Stock, sie selbst im Erdgeschoss. Eines Tages war ihre Oma plötzlich sehr aufgeregt, sagte, es sei die ganze Nacht ein Mann neben dem Bett gestanden. Die erste Reaktion: „Das kann gar nicht sein, Oma, das bildest du dir nur ein.“ Das hat dazu geführt, dass sie sich zurückzog.

Eine Lösung: Verständnis zeigen und im Zimmer nachsehen, was der Auslöser für das Gefühl der dementen Person sein könnte. Vielleicht hängt ein Bademantel an der Wand, der im dunklen Zimmer als Umrisse eines Menschen erkannt werden könnte. Vielleicht hilft ein Nachtlicht. Und ganz sicher hilft es, die Empathie auszusprechen: „Oh, da hattest du sicher Angst. Lass uns das Zimmer mal gemeinsam anschauen.“

3. Dem veränderten Rollenbild entgegenwirken

Die Situation: Aus einer Beziehung auf Augenhöhe können sich durch die Demenz die Rollen verändern. Jemand, der sich den ganzen Tag um die Versorgung und Pflege des Partners kümmert, fühlt vielleicht weniger Intimität.

Eine Lösung: Aus dem Pflegealltag ausbrechen, Komplimente machen, die Zeit mit Zweisamkeit verbringen und Aufgaben wenn möglich aus der Hand geben. Komplimente geben und bekommen tut gut – generations- und geschlechterübergreifend.

Ein dementer Mensch wird oft in das Alter zwischen fünf und 25 Jahren zurückversetzt. Er oder sie fühlt sich deutlich jünger und erkennt seine Liebsten möglicherweise nicht mehr. Nicht selten kommt es vor, dass sich demente Menschen in Pflegeheimen neu verlieben oder (sexuelle) Nähe suchen. Das kann schwierig für die andere Person sein, sollte aber nicht persönlich genommen werden, rät Sophie Rosentreter.

4. Zum Trinken animieren

Die Situation: Man sitzt beim Essen zusammen und es fällt auf, dass die demente Person kaum getrunken hat.

Eine Lösung: Am Tisch alle paar Minuten zu erinnern, dass viel Trinken gesund ist, hilft den dementen Menschen nicht. Stattdessen kann es helfen, das Glas zu erheben und „Prost“ zu rufen. Ein weiterer Trick: Wasser in einem durchsichtigen Glas ist kaum zu erkennen. Dementen Menschen kann es helfen, eine farbige Flüssigkeit vor sich zu haben. Dazu kann einfach ein Schluck Saft dazugeschenkt werden oder ein farbiges Glas angeboten werden.

5. Beim Kochen ein gutes Gefühl geben

Die Situation: Die Oma oder der Vater haben einen Kuchen gebacken – aber das Geschmacksempfinden bei Dementen verändert sich – und es kann auch mal zu viel Zucker oder Salz in das Gericht rutschen. Kann ich sagen, dass das Essen nicht schmeckt oder gar ablehnen?

Eine Lösung: Klar, Ehrlichkeit siegt – aber um keine Enttäuschungen auszulösen, kann es eine Möglichkeit sein, den Kuchen beispielsweise durch einen zweiten, mitgebrachten Kuchen auszutauschen. Und um das Versalzen eines Gerichts zu verhindern, könnte ein geschmacksneutrales Pulver ein Lösungsansatz sein, das in die Küche gestellt wird, bestätigt Sophie Rosentreter auf Nachfrage von Kristian Thees, der das mal einer Freundin geraten hat.

Übrigens: Essen hat eine große Bedeutung für demente Menschen. Der Sonntagsbraten der Frau, die Lieblingssüßigkeit der Kindheit, eine Erinnerung an ein schlimmes Erlebnis: Essen löst Gefühle aus, positive wie negative.

3 Dinge, die du als pflegender Angehöriger verinnerlichen darfst

Angehörige können viel leisten und leben zwischen Terminen, Pflegeeinrichtungen und der Organisation eines anderen Lebens. Und auch, wenn noch so viel geschafft wird, manchmal kommt das Gefühl auf, nicht allem gerecht zu werden und versagt zu haben.

  • Du kannst nicht immer da sein.
  • Gib dich nicht selbst auf.
  • Hab kein schlechtes Gewissen, wenn du Hilfe in Anspruch nimmst.

Wir können nicht 24 Stunden für einen Menschen da sein, der ‚Hallo’ und ‚Hilfe’ ruft. Wir werden Menschen mit Demenz leiden lassen. Wir können Anker werfen, aber wir können uns nicht selbst aufgeben.

Hilfsangebote für Angehörige von Demenz-Betroffenen

  • Demenz-Hilfe für Angehörige der Stiftung Gesundheitswissen
  • Telefonische Beratung der Deutschen Alzheimer Gesellschaft unter 030 259 37 95 14
  • Lokale Anlaufstellen für Angehörige zu finden auf der Projekt-Landkarte des Bundesfamilienministeriums
  • Forum für Angehörige und weitere Informationen vom Projekt Wegweiser Demenz des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

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