Nach den tödlichen Schüssen an der Waldbachschule im badischen Offenburg sind immer noch viele Einzelheiten unbekannt. Das gilt auch jetzt: Mit Hinweis auf das jugendliche Alter des Verdächtigen, der deutscher Staatsbürger ist, haben Polizei und Staatsanwaltschaft auch fünf Tage nach der Tat nur wenige Informationen bekannt gegeben.
Es gibt auch bislang nichts Belastbares über das Motiv, so die leitende Staatsanwältin Iris Janke. Am Freitag war von einem Delikt die Rede gewesen, das möglicherweise aus Eifersucht begangen worden war.
Vater rettete am Ende die Lage
Was die Ermittler mitgeteilt haben: Der 15-Jährige sei am Donnerstag mit einer Pistole aus Familienbesitz sowie einem Brandsatz in sein Klassenzimmer gekommen. Dort waren neun Schüler, darunter sein Opfer und zwei Lehrerinnen. Dem Opfer schoss er demnach zwei Mal in den Hinterkopf.
Dann wollte er einen Brandsatz entzünden, was ihm aber nicht gelang. Danach flüchtete er auf den Gang und schlug dort, während hinter ihm die Tür abgeschlossen wurde, mit der Waffe einer dritten Lehrerin auf den Kopf. Im Treppenhaus traf er die Schulleiterin und warf den Brandsatz (einen sogenannten Molotowcocktail) nach ihr. Der funktionierte aber wieder nicht.
Dann ging er nach draußen, wo er auf den Vater eines irakischen Schülers traf. Der forderte ihn mit besonnener Stimme auf, so die Polizei, die Waffe hinzulegen, was der Junge auch tat. Der Vater hielt ihn dann fest, bis die Polizei da war. In der Zwischenzeit hatten Lehrerinnen und Lehrer sich und ihre Schüler in den Klassenzimmer eingeschlossen.
Zettel mit Namen im Zimmer des Verdächtigen gefunden: weitere Opfer im Visier?
In der Wohnung des Jugendlichen und seiner Eltern habe man dann handschriftliche Skizzen vom Tatort gefunden. Darauf standen demnach verschiedene Namen. Nach der Tat wurden rund 50 Patronen bei ihm gefunden.
Ob der mutmaßliche Täter noch weitere Opfer im Visier hatte, sagten die Ermittler allerdings nicht. Die Polizei hat eine Sonderkommission mit dem Namen „Mühlbach“ eingerichtet.

Schock und Trauer bei Schülern und Eltern in Offenburg
Eine Mutter, deren Sohn in eine fünfte Klasse der Schule geht, schildert, wie ihr Kind die Situation erlebt hat. Er habe einen Schock gehabt und sei anders als sonst sehr still und ruhig gewesen, erzählt die Mutter.
Notfallseelsorger an Waldbachschule im Einsatz
Die Waldbachschule ist nach eigenen Angaben ein sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum mit dem Förderschwerpunkt Lernen. Schülerinnen und Schüler werden in 15 Klassen unterrichtet.

Trauma-Therapeut: Wie hilft er den Schülern nach einer Gewalttat?
Für die Schülerinnen und Schüler der Offenburger Schule ist der 9. November ein traumatischer Tag. In den ersten Tagen sollen sie gemeinsam, begleitet von Erwachsenen, in einen verkürzten Unterricht gehen. Erst im Lauf der Woche soll der Unterricht wieder normal laufen.
Christian Lüdke ist Psychotherapeut. Er ist nicht in Offenburg im Einsatz, hat aber schon mehrfach nach Gewalttaten oder Amokläufen Betroffenen geholfen. Nach so einem Vorfall gehe es darum, zu beruhigen und den Betroffenen Informationen zu geben, denn diese geben Sicherheit, erklärt Lüdke.
Beim Stabilisieren geht es im Wesentlichen auch darum, Ruhe und Abstand erstmal herzustellen.
Denn: Alle Beteiligten, egal ob als Augenzeuge oder in einer anderen Form betroffen, stünden erstmal unter Schock – und dieser könne wenige Stunde oder sogar mehrere Tage oder Wochen andauern. Es sei auch wichtig, die Jugendlichen darüber aufzuklären, dass manche Symptome nach so einer Gewalttat normal seien – zum Beispiel das Gefühl von Hilflosigkeit, Schlafstörungen oder so genannten Flashbacks.
Diese Symptome, die man jetzt entwickelt – (...) wenn ich nicht schlafen kann, ich schreckhaft bin, Teile des Erlebten sehe oder höre – sind als Symptome eine normale Reaktion auf ein verrücktes Ereignis.
Welche Folgen kann so eine Tat für die Jugendlichen haben?
Im nächsten Schritt sei es wichtig Risiken abzuklären – also zu schauen, ob sich bei einigen Schülerinnen und Schülern in den nächsten Wochen oder Monaten eine posttraumatische Belastungsreaktion entwickeln könne, erklärt der Psychotherapeut. Eine solche Reaktion müsse dann behandelt werden.
Es sei auch wichtig, als Schule und als Klasse Anteil am Tod des Schülers zu nehmen, denn die Schülerinnen und Schüler würden eine „Schicksalsgemeinschaft“ bilden.
Alle haben das miterlebt, alle sind mehr oder weniger betroffen. Und hier geht es darum, das Ganze gemeinsam zu bewältigen und sich einer mehr oder weniger schwierigen Trauerarbeit zu stellen. (…) Es ist ein ganz schwerer Verlust, es gibt keinen Ersatz für das Leben. (…) Der Platz ist erstmal leer, das ist sehr schmerzlich. Es geht darum, an den verstorbenen Schüler zu denken, den Angehörigen eben auch das Mitgefühl mitzuteilen.
Was kann ich als Angehöriger oder Freund tun?
Als Angehöriger oder Freund könne man im Grunde genommen nichts falsch machen, so der Therapeut.
Das Wichtigste ist, dass man sich anbietet. Dass man selbst als stabile Person einem solchen Menschen begegnet.
Wichtig sei auch, immer wieder das Signal zu geben: „Wir schaffen das gemeinsam! Es ist unfassbar tragisch und traurig, aber wir werden das gemeinsam schaffen!“
Weitere Infos zu den weiteren Entwicklungen in Offenburg gibt es bei unseren Kollegen von SWR Aktuell:
Tatverdächtiger in U-Haft Jugendlicher stirbt nach Schuss an Offenburger Schule
An einer Schule in Offenburg hat ein Jugendlicher auf einen Mitschüler geschossen. Das Opfer erlag seinen schweren Verletzungen. Der tatverdächtige 15-Jährige kam in U-Haft.